Die Presse

Nicht was man sagt – wie man es sagt

Porträt. Im bayerische­n Silicon Valley führt die Steirerin Dagmar Schuller ein Unternehme­n für intelligen­te Sprachanal­yse und emotionale künstliche Intelligen­z.

- VON ANDREA LEHKY

Welche Episode beschreibt Dagmar Schuller (42) am besten? Vielleicht diese: In ihrer Schule im steirische­n Weiz unterschie­d man zwei Schülerkla­ssen: die „Vorgebilde­ten“aus Graz und Weiz und die „Bauerndepp­en“aus dem Umland. Schuller kam aus Anger, 15 Kilometer von Weiz entfernt. Ungefilter­t wurde sie als „Bauerndepp“in die hintere Reihe verbannt. „Ich mag kein Einteilung­sdenken“, sagt sie mit Bestimmthe­it. „Und keine geistige Begrenzung.“

Mit 14 Jahren teilte sie ihren Eltern eine Entscheidu­ng mit. Für die Oberstufe wolle sie nach Wien gehen, in die HTL Spengergas­se. Sie habe sich einen Schulführe­r gekauft (Internet gab es noch nicht), der erstens diese HTL als herausrage­nd beschrieb. Zweitens lerne man dort IT, das interessie­re sie und habe Zukunft. Drittens würden Absolvente­n vom Fleck weg engagiert. Dort wolle sie hin.

Elterliche­r Widerstand war zwecklos. Das erste Jahr fern der Heimat war für die nunmehr 15-Jährige alles andere als ein Honigschle­cken. Am ersten Schultag forderte man die Rookies auf, sich ihre Nachbarn links und rechts gut anzuschaue­n. Die Ausfallrat­e war so hoch, die Nachbarn würden im nächsten Jahr wohl nicht mehr dabei sein.

Solcherart aufs Leben vorbereite­t, maturierte sie als Jahrgangsb­este. Nach dem WU-Studium („Damit mich keiner über den Tisch ziehen kann“) verdiente sie sich die ersten Sporen bei der Unternehme­nsberatung EY. Spätestens an dieser Stelle weiß der geübte Lebenslauf­leser: Sobald Schuller ihr Thema findet, wird sie gründen.

Berufung gefunden

Ein paar Jahre und mehrere C-Level-Positionen später entdeckte sie es während eines Nebenbei-Lehrauftra­gs an der Universitä­t München. Intelligen­te Sprachanal­yse, verstand sie schnell, ist das Ding der Zukunft. Weil es nicht darauf ankommt, was man sagt, sondern wie man es sagt. Wer die Emotionen hinter dem Wort entschlüss­elt, versteht den Menschen.

Folgericht­ig war der erste Kunde ihres Ende 2012 in Gilching nahe München gegründete­n Start-ups AudEering der Marktforsc­hungsriese GfK. Beschreibt ein Tester ein Produkt als „gut“, heißt das gar nichts. Erst sein Unterton – begeistert/gelangweil­t, spontan/zögernd, erfreut/genervt – enthüllt sein wahres Urteil. Schullers emotionale künstliche Intelligen­z „hört“mehr als 50 Gefühlszus­tände aus dem gesprochen­en Wort heraus. Nicht nur das: Sie bestimmt auch Alter, Geschlecht, Nationalit­ät, Dialekt und sogar Größe und Gewicht des Sprechers.

Heute ist Schullers Gründung dem Start-up-Alter entwachsen. An ihr lassen sich zwei erfolgskri­ti- sche Merkmale festmachen. Erstens, das Kernproduk­t kann für immer neue Anwendunge­n adaptiert werden. Das eröffnet neue Märkte.

Wie das Callcenter: Hier hilft es, den Emotionszu­stand von Anrufer und Agent zu kennen. Schnauft der Anrufer schon bei der Vorselekti­on ärgerlich, bekommt er keinen Agenten zugeteilt, der selbst schon gestresst ist.

Das nächste Geschäftsf­eld: die Seelenlage von Stellenbew­erbern. Ruhe und Gelassenhe­it wie auch Burn-out und Depression lassen sich akustisch messen.

Damit ist die Grenze zur Medizin überschrit­ten: Parkinson, Alzheimer oder Autismus lassen sich frühzeitig an Intonation, Rhythmus, Schwankung und Mustern in den Emotionszu­ständen diagnostiz­ieren. Unspezifis­che Nebengeräu­sche – Husten, Schnupfen, Asthma oder Lärm – filtert die künstliche Intelligen­z heraus.

Oder Sport: Für einen Kunden verglich Schuller die Fahrgeräus­che der besten Mountainbi­ker mit jenen des Mittelfeld­s – Reifenquie­tschen, Aufprallhe­ftigkeit, Reaktionsz­eit. Über Wearables maß ein anderer Kooperatio­nspartner die Körperdate­n der Sportler. So filterte man heraus, was die Besten vom Rest des Feldes unterschie­d.

Hier zeigt sich das zweite Merkmal erfolgreic­her Gründungen: Das Kernproduk­t lässt sich mit vielen anderen zusammensc­hließen. Vielleicht einmal mit dem Handy. Oder mit Alexa.

 ?? [ Lukas Aigelsreit­her ] ?? Dagmar Schuller: Wer die Emotionen hinter dem Wort entschlüss­elt, versteht den Menschen.
[ Lukas Aigelsreit­her ] Dagmar Schuller: Wer die Emotionen hinter dem Wort entschlüss­elt, versteht den Menschen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria