Der Arzt, der OP-Protokolle manipuliert haben soll, ist ab sofort vom Dienst freigestellt. Die Hintergründe eines bemerkenswerten Falles. Der Krimi um die gefälschten OP-Pläne
Medizin.
Geld, Prestige, Macht – welchen Grund könnte ein AKH-Arzt haben, seinen Namen in Protokolle von Operationen einzutragen, die er nicht durchgeführt hat? Wie „Die Presse“exklusiv berichtete, taucht der Name des Chirurgen seit 2014 in OP-Protokollen im AKH auf, obwohl er zur selben Zeit in einem Privatspital operiert haben soll. Am Dienstag wurde er dienstfrei gestellt, nachdem sich der Verdacht laut Bericht einer Sonderkommission der MedUni Wien erhärtet habe.
Demnach bestehen „deutliche Hinweise darauf, dass der betroffene Arzt von diesem Muster nicht nur wusste, sondern die falschen Eingaben sogar anordnete“. Der Arzt weist die Vorwürfe zurück: Bei einer Anmeldung einer Operation werde sein Name im elektronischen System gespeichert. Sollte er die Operation dann doch nicht selbst durchführen, müsste jemand seinen Namen wieder austragen, was die Kollegen in einigen Fällen vergessen hätten.
1 Welche Motive kommen für dieses Vorgehen infrage, falls die Vorwürfe stimmen?
Obwohl der Arzt sagt, dass sich die Zahl seiner im AKH durchgeführten Operationen nicht auf sein Gehalt auswirkt, ist auch in diesem Fall Geld als Motiv nicht auszuschließen. Denn auch wenn die Entlohnung eines Arztes pauschal erfolgt, können nicht nur, aber insbesondere Sonderklassepatienten viel Geld in die Kassen eines Spitalsarztes mit Privatordination spülen. Wie? Indem er die Anamnese sowie Vor- und Nachbehandlung in seiner Praxis durchführt und dafür seine üblichen Honorare kassiert. Im Gegenzug arrangiert er einen frühen OP-Termin im Spital und führt den Eingriff selbst durch.
Wie mehrere Spitalsärzte gegenüber der „Presse“berichten, ist dies eine übliche Vorgehensweise in Österreich: Wer von einem bestimmten Chirurgen operiert werden will und es sich leisten kann, sucht zunächst seine Privatordination auf und überlässt ihm die weitere Organisation. Ist er ein Kassenpatient, gibt es für den Arzt kein zusätzliches Geld vom Spital. Handelt es sich um einen Sonderklassepatienten, fällt auch bei der Operation etwas für den Chirurgen (und natürlich für das Spital) ab – dieser verdient also sowohl über seine Ordination als auch durch die Operation im Krankenhaus.
Daher überrascht es nicht, dass der betroffene AKH-Arzt eine Privatordination betreibt, in der er nicht viel mehr machen kann, als Patienten ins AKH und in eine Privatklinik zu disponieren, in der er als Belegarzt tätig ist. Es gibt also sehr wohl einen plausiblen Grund, zahlungskräftigen Patienten vorzugaukeln, man hätte sie operiert, ohne es getan zu haben. Schließlich haben diese Patienten im Vorfeld genau dafür gezahlt. Es ist also möglich, dass er mit dem Operieren nicht nachkam, Patienten aber dennoch nicht abweisen wollte – und sie im Glauben ließ, er sei ihr Chirurg gewesen.
Das könnte so weit gegangen sein, dass er den Operationssaal betritt, den Patienten begrüßt und nach dem Einsetzen der Narkose den Raum wieder verlässt, um in einem benachbarten Privatspital zu operieren. Übrigens: Dass Ärzte ihre Patienten im OP-Saal begrüßen und in die Narkose begleiten, die Operation dann aber nicht selbst durchführen, kommt laut Chirurgen häufig vor.
2 Könnte alles nur ein Missverständnis sein und der Arzt ließ sich nichts zuschulden kommen?
Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Denn ein Operationsprotokoll ist Teil der Pa- tientenakte und somit ein offizielles Dokument, mit dem niemand leichtfertig umgeht. Hätte der Arzt recht, müsste der tatsächlich operierende Chirurg gesehen haben, dass ein anderer Name im Protokoll steht, und sich dennoch nicht die Mühe gemacht haben, seinen eigenen Namen einzutragen. Und das Dutzende Male. Wissend, dass auch jemand aus dem Pflegeteam ein separates Protokoll anfertigt. Und wer die hierarchischen Strukturen im AKH kennt, weiß, dass es nichts Ungewöhnliches ist, den Wünschen eines Vorgesetzten nachzukommen – wohl auch mit der Hoffnung auf Belohnungen wie etwa Beförderungen oder Geld. Ganz abgesehen von der Gelegenheit, durch die Operationen sein Handwerk zu verbessern.
3 Ist der Fall dieses AKH-Arztes nur die Spitze des Eisbergs?
Nein, sollten die Vorwürfe stimmen, ist das in dieser Dimension „Presse“-Recherchen zufolge wahrscheinlich ein Einzelfall – auch wenn es keine Seltenheit ist, dass Ärzte Patienten im Glauben lassen, sie hätten sie operiert. Allerdings operieren diese nicht zeitgleich woanders, sondern halten sich im Haus auf. Dass sich Ärzte die Infrastruktur des AKH für ihre Zusatzeinkünfte durch ihre Privatordinationen (siehe erste Antwort) zunutze machen, ist ohnehin gang und gäbe. Nicht nur im AKH und nicht nur in Wien.
4 Könnte man dieses Problem mit Verboten von Zusatzverdiensten für Ärzte lösen?
Nein, denn würden das AKH und die Gemeindespitäler Wiens ihren Ärzten nicht erlauben, Privatpatienten zu behandeln, würden sie die besten Leute nicht halten und keine Spitzenmedizin mehr aufrechterhalten können. Es gilt sogar seit Jahrzehnten als eine unausgesprochene Vereinbarung, dass die Gemeindespitäler zwar keine Topgehälter zahlen, dafür aber besonders großzügig sind, was die Nebenbeschäftigungen ihrer Mediziner angeht. Diese wandern dafür nicht ab – und üben in den öffentlichen Spitälern nicht nur Forschungstätigkeiten aus, sondern bringen ihnen über ihre Privatpatienten sogar Geld ein.