Virtuose Selbstzerfleischung eines israelischen Komödianten
Salzburger Festspiele. Mit der Komplexität von David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“kann sich Duˇsan David Pa˘r´ızeks im Republic uraufgeführte Dramatisierung nicht messen. Samuel Finzi spielt intensiv einen Stand-up-Comedian, aber er verzett
Darf man über den Massenmörder Josef Mengele, den Arzt im Vernichtungslager von Auschwitz, Witze machen? Es kommt darauf an, wer sie erzählt. Zum Beispiel ein Sohn von Überlebenden, ein Stand-up-Comedian in Israel: „ . . . wir sind, so viel ich weiß, sogar von Mengele erforscht worden, ich meine, nur teilweise natürlich . . . Wir haben die Neugier dieses zurückhaltenden, feinen Mannes geweckt. Aus der Familie meines Vaters sind mindestens zwanzig an der Rampe an ihm vorbeimarschiert . . .“Alle durften sie entdecken: „The sky is the limit.“
Reiner Sarkasmus. Die Passage stammt aus David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“(2014) , einem jener raren Bücher, die man nicht aus der Hand legen kann, weil man es zwar ahnt, dann aber sofort wissen will, wie sie zu Ende gehen. Der israelische Autor erzählt darin aus der Perspektive Avischais, eines pensionierten Richters, den letzten Auftritt eines kleinen Mannes – Dov Grinstein, der in der Industriestadt Netanja an seinem 57. Geburtstag bei seiner Stegreif-Show nicht nur gröbste Zoten von sich gibt, sondern eine Lebensbeichte ablegt, in den Abgrund blicken lässt. Er versetzt sich zurück in die Zeit, als er ein Teenager war, und weiter noch – als die meisten Verwandten von den Nazis ermordet wurden. Viele im Publikum nehmen ihm den Ernst des Abends übel. Sie flüchten vor der Zeit, haben keine Lust auf Verlust. Nicht einmal mit Pointen über schießwütige Siedler oder abgehobene Linke kann Grinstein sie halten.
Kann ein Engel diesen Grinstein retten?
Der Tod ist allgegenwärtig. Avishai trauert um seine vor Jahren verstorbene Frau, Dov um seine vor vier Jahrzehnten verstorbene Mutter. Der Richter wurde von ihm dezidiert gebeten, sich diesen Auftritt in Netanja anzusehen und danach ein Urteil abzugeben. Avischai zögert, er hatte den anderen zuletzt vor vierzig Jahren bei einem Jugendlager gesehen. Von dort wurde Dov wegen eines To- desfalls weggeholt. Sie waren, so der Richter, flüchtige Bekannte. Nun aber erhält die ferne Beziehung absurd viel Gewicht. Die Geschichte drängt. Ist Grinstein todkrank? Warum will er all das Vergangene loswerden? Im Publikum befindet sich eine kleine Frau, die beide Herren flüchtig kennen. Diese Pitz baut der Komödiant in die Show ein, aber an solch einer ernsten Prophetin prallt dessen Spott ab. Sie sieht das Gute in Grinstein, sie ist sein Engel. Wird sie ihn retten? Grossman versteht es, Spannung aufzubauen.
Wie kann man diese Geschichte dramatisch umsetzen? Regisseur Dusanˇ David Par˘´ızek hat es in seiner Bearbeitung mit heiligem Ernst, mit Klamauk und technischer Spielerei versucht. Seine Uraufführung bei den Salzburger Festspielen (eine Koproduktion mit dem Burgtheater und dem Deutschen Theater Berlin) ist mit knapp drei Stunden etwa so lang wie eine flüchtige Lektüre des Romans. Doch fehlt ihr im Vergleich die Komplexität und auch die Attraktion des Originals, wie sich am
Mittwoch im Republic in Salzburg erwies. Man sieht meist ein starkes Solo von Samuel Finzi als Grinstein, ergänzt durch rührende, feenhafte Auftritte von Mavie Hörbiger als Pitz. Er holt sie aus dem Publikum. Da knistert es. Aber die Bühnenfassung hat eine große Schwäche: Der Richter ist abhandengekommen, dieser notwendige Kontrast zum Komödianten, der Zweifler, der im Buch mit Wesentlichem konfrontiert wird – mit Freundschaft und Nähe und deren Versäumnis, mit Tod und Trauer. Der Prozess der Läuterung wird auf der Bühne zur unkommentierten One-ManShow, assistiert durch die aufgewertete Rolle einer zarten Dame. Statt Grossmans Komplexität erlebt man Pa˘r´ızeks Wiederholungszwang.
Krachend fällt die Holzwand um
Das heißt jedoch nicht, dass diese Aufführung nicht intensiv wäre. Nach einer Einlage am Cello, nach einem etwas nervösen Beginn, steigert sich Finzi in einen Spielrausch hinein, zerreißt seinen glänzenden Anzug. Fast scheint es, Dov zerreißt sich selbst. Er blutet bald am Kopf, weil er sich selbst brutale Schläge zufügt, auf der Suche nach der versäumten Zeit mit den Eltern, die lang schon tot sind. Ihn plagen Schuldgefühle. Um die Mutter, die in ihm die Liebe zur Kunst weckte, sorgte er sich stets, er ging auf den Händen, um von ihr, dem traumatisierten Opfer, abzulenken. („Als sie die Shoa absolviert hatte, war sie zwanzig . . .“)
Finzi macht einen Handstand, eine große Holzwand fällt krachend um. Sie diente zuvor als Screen für Videos (er filmte sich selbst), wird nun zum flachen Podest, auf das er beim Erzählen eine Menge rote Blumen wirft. Ihre Stängel haben Metallspitzen. So entsteht eine blühende Wiese. Die letzte Blume wirft er himmelwärts, sie blüht jetzt an der Decke. Ein positives Zeichen? Am Ende wird „Let It Be“gesungen. Ein quälender Akt der Verzweiflung klingt gelassen mit einem tröstenden Song der Beatles aus. Das war wohl nicht zynisch gemeint.