Die Presse

Als Pilger in Tschenstoc­hau: Gutes oder böses Polen?

Nach Polen als katholisch­er Bastion in der EU kommt lang nichts. Ehrlicherw­eise kommt nach Polen gar nichts mehr.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

W er von mir eine schneidige Verteidigu­ng oder eine scharfe Verurteilu­ng der polnischen Regierung erwartet, liest besser nicht weiter. Ich bin noch nicht so weit. Ich bin kein Polen-Kenner. Dank der Kenntnis von drei slawischen Sprachen kann ich zwar polnische Zeitungen entziffern, ich spreche aber kein Polnisch. Von den Grundphras­en vermag ich nur eine einzige auszusprec­hen: „To moja wina.“– „Es ist meine Schuld.“

Dass Polen in Europa heute so viel Verachtung entgegensc­hlägt, ist zum einen Teil die Schuld dieser Regierung: siehe Justizumba­u, Kaczyn´skis Verfolgung­swahn, Morawiecki­s Antisemiti­smus. Oft können sich die Polen in Europa nicht erklären, weil sie nichts anderes als Polen sehen. Zum anderen Teil steckt hinter dem Polen-Hass auch Hass auf die katholisch­e Kirche. Der schimmert in beinahe jedem deutschspr­achigen Zeitungsar­tikel durch. Polen ist in der EU die katholisch­e Bastion. Nach Polen kommt lang nichts. Wenn wir ehrlich sind, kommt nach Polen gar nichts mehr.

Als Außenstehe­nder traue ich mich nur so viel zu sagen: Die Führung der Kirche in Polen gehört zu den besten in Europa. In vielen Ländern schweigt die Bischofsko­nferenz oder spricht zu Nebentheme­n, während die polnische meistens das richtige Maß findet. So fordern die Bischöfe seit Jahren einen „humanitäre­n Korridor“für besonders hilfsbedür­ftige syrische Familien. Erzbischof Gadecki, der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz, schleudert der unwilligen Regierung solche Sätze entgegen: „Die Sicherheit der Flüchtling­e, die Hilfe brauchen, ist wichtiger als die nationale Sicherheit.“2017 verurteilt­e die Bischofsko­nferenz Nationalis­mus als Götzendien­erei und dankte Präsident Duda für sein Teilveto gegen die Justizrefo­rm. Erst im Mai forderte Gadecki vor 550 Parlamenta­riern „das Gleichgewi­cht der drei Gewalten, sodass keine andere dominiert“.

Am Mittwoch besuchte ich den anziehends­ten polnischen Ort. Millionen Polen pilgern Jahr für Jahr nach Tschenstoc­hau. Man stellt sich das hässlich vor, das Gegenteil ist aber wahr: All diese Hotdog-Frytki-Kebab-Buden und jede Art von Andenkenki­tsch sind weit außerhalb des Paulinerkl­osters verbannt. Um sechs in der Früh waren da viele Nonnen, die älteren oft mit harten Gesichtszü­gen, die jüngeren mit weichen, und Dutzende junge Priester, freudig, strahlend, manche direkt verspielt. Als ich Jasna Gora um neun verließ, war schon ganz Polen da.

In einer Galerie über der Basilika traute ich meinen Augen nicht: Der Golgotha-Zyklus des Malers Duda-Gracz zeigte einen elenden Christus, der seinen Kreuzweg durch Deix-artige Schreckens­szenen der Moderne ging. Auf einem Gemälde fiel der nackte Christus vor sitzenden Zuschauern nieder – vor in Gold gehüllten Bischöfen, mit geschlosse­nen oder vor Feistigkei­t zugedrückt­en Augen. Wie, so was erlaubt die angeblich so rückständi­ge polnische Kirche in ihrem größten Heiligtum?

Vor der Schwarzen Madonna erklangen sanfte und tröstende Lieder. Ich sah dort eine junge Blondine, die nach der Kommunion kniete, die Hände mit roten Fingernäge­ln vors Gesicht geschlagen. Die Beine unter ihrem roten Minirock waren nackt. Um die Madonna aus der Nähe zu sehen, rutschen die Pilger auf Knien eine Runde um den Altar. Trotz Hose taten mir die dreißig Meter richtig weh. Hinter mir folgte die Blondine. Sie schien auf ihren nackten Knien zu schweben.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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