Als Pilger in Tschenstochau: Gutes oder böses Polen?
Nach Polen als katholischer Bastion in der EU kommt lang nichts. Ehrlicherweise kommt nach Polen gar nichts mehr.
W er von mir eine schneidige Verteidigung oder eine scharfe Verurteilung der polnischen Regierung erwartet, liest besser nicht weiter. Ich bin noch nicht so weit. Ich bin kein Polen-Kenner. Dank der Kenntnis von drei slawischen Sprachen kann ich zwar polnische Zeitungen entziffern, ich spreche aber kein Polnisch. Von den Grundphrasen vermag ich nur eine einzige auszusprechen: „To moja wina.“– „Es ist meine Schuld.“
Dass Polen in Europa heute so viel Verachtung entgegenschlägt, ist zum einen Teil die Schuld dieser Regierung: siehe Justizumbau, Kaczyn´skis Verfolgungswahn, Morawieckis Antisemitismus. Oft können sich die Polen in Europa nicht erklären, weil sie nichts anderes als Polen sehen. Zum anderen Teil steckt hinter dem Polen-Hass auch Hass auf die katholische Kirche. Der schimmert in beinahe jedem deutschsprachigen Zeitungsartikel durch. Polen ist in der EU die katholische Bastion. Nach Polen kommt lang nichts. Wenn wir ehrlich sind, kommt nach Polen gar nichts mehr.
Als Außenstehender traue ich mich nur so viel zu sagen: Die Führung der Kirche in Polen gehört zu den besten in Europa. In vielen Ländern schweigt die Bischofskonferenz oder spricht zu Nebenthemen, während die polnische meistens das richtige Maß findet. So fordern die Bischöfe seit Jahren einen „humanitären Korridor“für besonders hilfsbedürftige syrische Familien. Erzbischof Gadecki, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, schleudert der unwilligen Regierung solche Sätze entgegen: „Die Sicherheit der Flüchtlinge, die Hilfe brauchen, ist wichtiger als die nationale Sicherheit.“2017 verurteilte die Bischofskonferenz Nationalismus als Götzendienerei und dankte Präsident Duda für sein Teilveto gegen die Justizreform. Erst im Mai forderte Gadecki vor 550 Parlamentariern „das Gleichgewicht der drei Gewalten, sodass keine andere dominiert“.
Am Mittwoch besuchte ich den anziehendsten polnischen Ort. Millionen Polen pilgern Jahr für Jahr nach Tschenstochau. Man stellt sich das hässlich vor, das Gegenteil ist aber wahr: All diese Hotdog-Frytki-Kebab-Buden und jede Art von Andenkenkitsch sind weit außerhalb des Paulinerklosters verbannt. Um sechs in der Früh waren da viele Nonnen, die älteren oft mit harten Gesichtszügen, die jüngeren mit weichen, und Dutzende junge Priester, freudig, strahlend, manche direkt verspielt. Als ich Jasna Gora um neun verließ, war schon ganz Polen da.
In einer Galerie über der Basilika traute ich meinen Augen nicht: Der Golgotha-Zyklus des Malers Duda-Gracz zeigte einen elenden Christus, der seinen Kreuzweg durch Deix-artige Schreckensszenen der Moderne ging. Auf einem Gemälde fiel der nackte Christus vor sitzenden Zuschauern nieder – vor in Gold gehüllten Bischöfen, mit geschlossenen oder vor Feistigkeit zugedrückten Augen. Wie, so was erlaubt die angeblich so rückständige polnische Kirche in ihrem größten Heiligtum?
Vor der Schwarzen Madonna erklangen sanfte und tröstende Lieder. Ich sah dort eine junge Blondine, die nach der Kommunion kniete, die Hände mit roten Fingernägeln vors Gesicht geschlagen. Die Beine unter ihrem roten Minirock waren nackt. Um die Madonna aus der Nähe zu sehen, rutschen die Pilger auf Knien eine Runde um den Altar. Trotz Hose taten mir die dreißig Meter richtig weh. Hinter mir folgte die Blondine. Sie schien auf ihren nackten Knien zu schweben.