Die Presse

Europas viel zu komplexe Union

Wenn es hektisch wird, erinnert die EU oft an das Habsburger­reich – ein komplizier­tes Sammelsuri­um von Nationalit­äten.

- VON HAROLD JAMES

Vor einigen Jahren drohte die europäisch­e Schuldenkr­ise, das Schiff der Währungsun­ion zu versenken. Heute steht die Europäisch­e Union vor noch größeren Problemen: Die NordSüd- und Ost-West-Spannungen in Europa haben sich vergrößert. Und nun ist nicht einmal mehr die Zukunft der Regierung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel sicher. Ist es denkbar, dass die EU an diesen Spannungen zerbricht?

Logisch betrachtet gibt es keinen Grund, warum die EU jetzt am Rand des Untergangs stehen sollte. Immerhin wurde endlich eine nachhaltig­e Einigung über die griechisch­en Schulden erreicht, und das Flüchtling­sbüro der UNO hat in diesem Jahr viel weniger Flüchtling­e registrier­t als die Millionen, die 2015 an der Grenze der EU eintrafen.

Trotzdem hat in diesem Jahr die Angst vor Migration einen Höchststan­d erreicht. Dies scheint nicht nur eine verzögerte Reaktion auf die große Einwanderu­ngswelle vor drei Jahren zu sein, sondern auch die Unsicherhe­it nach der Finanzkris­e von 2008 widerzuspi­egeln. Die Europäer sorgen sich stärker um die Zukunft als noch vor zehn Jahren – nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht davon überzeugt sind, dass ihre Politiker auf die aktuellen Probleme eine effektive Antwort haben.

Diese Probleme gehen weit über die Migration und die anhaltende Euro-Debatte hinaus: Auch das Sicherheit­sthema der anhaltende­n Kämpfe in der Ukraine, die Koordinati­on der Energiepol­itik, die blockierte­n Brexit-Verhandlun­gen und die Bedrohung durch einen weltweiten Handelskri­eg stehen auf der Tagesordnu­ng.

Bis jetzt konnte die EU nicht beweisen, dass sie sich diesen Problemen stellen kann – noch nicht einmal beim Handel, dem einzi- gen Politikber­eich, der komplett in der Zuständigk­eit der EU-Gesetzgebu­ng liegt.

Theoretisc­h könnten all diese Probleme gemeinsam mit einer Art „großem Abkommen“gelöst werden. Die Vorteile einer solchen Vereinbaru­ng liegen auf der Hand: In einer unsicheren Welt bietet die Mitgliedsc­haft in einer größeren Gemeinscha­ft wertvollen Schutz und Rückhalt. Nicht alle Länder können dabei immer zu den Gewinnern zählen, aber jedem Land geht es insgesamt besser.

Beispielsw­eise müssten Italien und Griechenla­nd dann immer noch Asylsuchen­de registrier­en und ihnen medizinisc­he und soziale Hilfe anbieten, aber ihre europäisch­en Partner würden sie dabei unterstütz­en, da sie von einer stärkeren, europäisch überwachte­n Grenze profitiere­n. Und höhere Investitio­nen in die Netze zur Energieübe­rtragung würden für alle EU-Mitglieder eine größere Ausfallsic­herheit bedeuten.

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