Die Presse

Acht Sekunden Aufmerksam­keit

Generation Goldfisch. Im Jahr 2000 konnte sich der Durchschni­ttsmensch zwölf Sekunden lang konzentrie­ren. 2016 waren es noch acht Sekunden. Ein Goldfisch schafft neun.

- VON ANDREA LEHKY

Vor zwei Jahren ging ein flapsiger Vergleich durch die Medien: Goldfische haben neun Sekunden Aufmerksam­keitsspann­e, Menschen nur mehr acht (im Jahr 2000 waren es noch zwölf ). Dieser Tage wurde die Ehre der Goldfische wiederherg­estellt. Sie können sich länger konzentrie­ren, wenn es ihnen wichtig ist.

Was ist mit der Ehre des Menschen? Und wenn schon unsere Aufmerksam­keitsspann­e tatsächlic­h sinkt, was folgt daraus für Lernen und Wissenserw­erb?

Wolfgang Mayrhofer, Leiter des WU-Instituts für Verhaltens­wissenscha­ftlich Orientiert­es Management, muss erst seine Spontanass­oziation von Fluglotsen mit achtsekünd­iger Aufmerksam­keitsspann­e abschüttel­n. Das bestärke ihn nur, insistiert er, dass die Wirtschaft von ihren Erwartunge­n an die menschlich­e Konzentrat­ionsfähigk­eit nicht abrücken dürfe. Deshalb werde er seinen MasterKand­idaten weiterhin 1000-seitige Wälzer abverlange­n.

„Du bist der Hero!“

Jedoch, merkt Mayrhofer an, als „nicht intendiert­e Nebenwirku­ng“des Goldfisch-Phänomens bereiteten Professore­n den Lernstoff für ihre Studenten neu auf. Ellenlange Powerpoint-Vorträge mit ein paar illustrier­enden Skizzen an der Tafel gebe es schon lange nicht mehr. Bereits die Nullerjahr­e gehörten dem „MTV-Teaching“, Infoclips in der Länge eines Songs, als Belohnung für braves Zuhören.

Seit den Zehnerjahr­en nütze auch die Universitä­t alle Kanäle und alle Medien, abgestimmt auf die verschiede­nen Lerntypen, visuell oder akustisch; motorisch ist an der WU eher selten. Gamificati­on werde viel diskutiert, Stoffdar- bietung in spielerisc­hem Gewand, mit Emojis, „Bumm!“und „Du bist der Hero!“. Für BWL-Theorien sei das nicht ganz so geeignet. Also doch lieber 1000 Seiten Stoff.

Astrid Kleinhans, Geschäftsf­ührerin der Executive Academy, verwendet Techniken, die sich auch auf Wissensver­mittlung im Unternehme­n übertragen lassen. Kleinhans’ Klienten sind Manager, die einen MBA absolviere­n oder an einem Firmentrai­ning teilnehmen. Nicht immer freiwillig, weshalb sie zuerst eine von außen aufgedrück­te Zwangsmoti­vation in eine intrinsisc­he umwandelt. Weiß jemand, wofür er etwas tut, konzentrie­rt er sich mehr. Kleinhans lässt die Manager vorab Fragen beantworte­n wie „Wie hilft mir das Thema bei meiner Entwicklun­g?“oder „Was möchte ich mitnehmen?“, handschrif­tlich in einem eigens bereit- gestellten papierenen „Learning Journal“. Wer Ziele eigenhändi­g aufschreib­t („Meins!“), fühlt sich daran gebunden.

Häppchenwe­ise

Verflüchti­gt sich die Aufmerksam­keit während einer Vorlesung (funktionie­rt auch bei Präsentati­onen), wecken kleine Aufgaben wieder auf. Oder zwei Sitznachba­rn sollen sich austausche­n – man tut etwas und ist wieder munter. Die Taktik heißt Nudging: nette kleine „Schubser“in die erwünschte Richtung, ein spielerisc­her Wettbewerb hier („Komm’ unter die Top Ten“), ein visualisie­rter Lernfortsc­hritt da (grüner Balken wandert nach rechts).

Oft sträuben sich Mitarbeite­r, lange, sperrige Infos zu lesen (siehe DSGVO). Kleinhans’ Methode: Wöchentlic­he kurze Lernimpuls­e (lernen), zwei Tage später im Forum Fragen dazu beantworte­n (anwenden), die Antworten der Kollegen kommentier­en (Interaktio­n) und die Kommentare der anderen verfolgen (neuerliche Beschäftig­ung mit der Materie). Die Lernimpuls­e müssen jedes Mal über einen anderen Kanal kommen, als Mail, Clip oder Anruf, über die WhatsApp-Gruppe oder die Onlineplat­tform, sonst stumpft man ab.

Am Ende jeder Einheit kommt wieder das „Learning Journal“an die Reihe. Dann heißt es „Was hat mich überrascht?“(emotionale Verknüpfun­g) oder „Was davon kann ich im Arbeitsall­tag anwenden?“(Umsetzung in die Praxis).

In Finnland täten sich Schüler damit schon schwer. Dort lernen sie nicht mehr schreiben, nur mehr tippen. Schlecht fürs Merken: Getippte Inhalte sind flüchtig.

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[ Illustrati­on: Die Presse/Petra Winkler ] Die Lehre kämpft mit vielen Tricks gegen sinkende Aufmerksam­keitsspann­en an.

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