„In Singapur muss man als Forscher flexibel sein“
Der Kärntner Bioinformatiker Sebastian Maurer-Stroh heftet sich in einem Forschungszentrum in Singapur an die Fersen der jeweils neuesten Virenmutationen – von Grippe bis Ebola.
Mit einer Abfahrt von der heimatlichen Gerlitzen kann es natürlich nicht mithalten. „Aber immerhin gibt es in Singapur eine Skihalle mit künstlicher 60-Meter-Piste“, erzählt Sebastian Maurer-Stroh. Seit elf Jahren lebt der Bioinformatiker in der südostasiatischen Stadt der Superlative. Weit entfernt von Klagenfurt, wo er einst als Schüler am Gaschromatografen der väterlichen Stroh-Rum-Fabrik seine Lei- denschaft für Chemie entdeckt hat. Maurer-Stroh ist Experte für computergestützte Proteinsequenzanalyse und leitet eine Forschungsgruppe am BioinformatikZentrum (BII) der Singapurer Regierungsbehörde Astar (Agency for Science, Technology and Research). Außerdem ist er dort Programmdirektor für menschliche Infektionskrankheiten. „Schön sind hier das tropische Flair, die spektakuläre Architektur und die zwar schnelllebige, aber trotzdem angenehme Atmosphäre“, schildert der 42-Jährige sein Leben im Inselstaat.
Das Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) sei ein gutes Sprungbrett für ihn gewesen: Von 2000 bis 2005 hat er hier in der Bioinformatikgruppe von Frank Eisenhaber mitgearbeitet und 2004 seine Doktorarbeit geschrieben. „Das IMP war schon damals ein Ort für Forschung auf höchstem internationalen Niveau.“Zuvor hatte er an der Uni Wien alle Bereiche der Chemie erkundet. Die Verknüpfung moderner Elektronik mit theoretischer Chemie und Biochemie reizte ihn schließlich am meisten. „Das war um die 2000er-Jahre nicht nur ein aufregendes neues Gebiet, sondern es gab auch tolle Leute an der Uni, die uns intensiv in ihre Forschung eingebunden haben.“
Die nächste Weiche stellte eine brasilianische Kollegin, seine heutige Frau. Als sie nach einem Kurzaufenthalt am IMP für ihre Dissertation nach Brüssel ging, folgte Maurer-Stroh. Mit einem MarieCurie-Fellowship und einem Grant der Federation of European Biochemical Societies (FEBS) forschte er drei Jahre in der belgischen Hauptstadt am VIB-Switch-Labor. 2007 brach das Paar mit dem ersten Kind nach Singapur auf.
„Durch großzügige staatliche Förderungen hat Singapur in den letzten Jahrzehnten viele internationale Talente angelockt und einen kometenhaften Aufstieg in der Forschung hingelegt“, so der Bioinformatiker. Sowohl er als auch seine Frau arbeiten bei Astar. Die Regierungsinstitution setze auf Innovationen, die das Leben der Menschen direkt verbessern: „Sei es durch neue Technologien oder den Kampf gegen Krankheiten.“Als Brücke zwischen akademischer Welt und Wirtschaft kooperiere man sowohl mit Universitäten als auch der Industrie.
Maurer-Strohs Spezialgebiet in der Bioinformatik ist die sogenannte Sequenz- und Strukturanalyse von Eiweißmolekülen. Diese sorgen für die Signalübertragung zwischen den Zellen und halten wie winzige Maschinen fast alle Lebensfunktionen in Gang. Dazu falten sie sich zu komplexen dreidimensionalen Strukturen. Den Bauplan für die Eiweißmoleküle bekommen die Zellen über die Gene. Das Genom ist Speicherort der gesamten Erbinformation.
„Bei Krankheiten kann es zu Mutationen im Erbgut kommen und wir verfolgen, wie sich diese auf die Struktur und Funktion der Eiweißmoleküle auswirken“, erklärt der Wissenschaftler. So kann man die zellulären Mechanismen bei Leiden wie Krebs oder Demenz erforschen, aber auch sich schnell verändernde Viren aufspüren. Einen Gutteil seiner Arbeitszeit jagt Maurer-Stroh am Computer die neuesten Viren, von Ebola und Dengue-Fieber bis Zika. Und natürlich auch die Grippe. „Mit unserem sogenannten FluSurver können wir feststellen, ob ein Virus Resistenzen gegen gängige Medikamente gebildet hat oder ob ein Vogelgrippevirus auf Menschen überspringen kann.“Dabei arbeitet er mit der WHO (Weltgesundheitsorganisation) zusammen. Darüber hinaus prüft er das Allergiepotenzial von Produkten und entwickelt natürliche Geschmacksstoffe oder neue Enzyme zur Herstellung von Medikamenten.
Den größten Unterschied zu Österreich sieht Maurer-Stroh in der Geschwindigkeit und Entschlossenheit, mit der in Singapur Forschungsvorhaben initiiert werden. „Oft werden die Gelder aber auch schnell wieder auf andere Projekte umverteilt.“Die Wissenschaft sei vor allem trend- und anwendungsorientiert. „Als Forscher muss man hier ziemlich anpassungsfähig sein und der Druck, selbst in neuen Disziplinen zur Weltspitze zu gelangen, ist groß.“
Maurer-Stroh macht es Spaß, neue Methoden zu erfinden und Gruppen für größere Aufgaben zusammenzubringen. Dafür wurde er im Vorjahr von Astar als Forscher des Jahres mit dem „Star“Preis ausgezeichnet.
Seine zweite Tochter wurde in Singapur geboren. Zu Hause spricht die Familie Portugiesisch, Deutsch und Englisch. „Auf Chinesisch und Malaiisch kann ich nur Essen bestellen“, lacht der Wissenschaftler. „Aber meine Mädchen lernen in der internationalen Schule Chinesisch und Deutsch.“Seine Familie in Österreich besucht er gern. „Ich liebe es, meinen Töchtern die Kultur und die Naturschönheiten zu zeigen, mit denen ich aufgewachsen bin.“