Die Presse

Smarte Stoffe für Auto, Jacke und Co.

Oberösterr­eichische Forscher entwickeln Textilien aus druckempfi­ndlichem Garn. Damit lassen sich Alltagsgeg­enstände um strapazier­fähige digitale Schnittste­llen erweitern.

- VON CORNELIA GROBNER

Textilien haben mit Informatik mehr zu tun, als man gemeinhin glauben würde. Einer, der seine Forschung dieser Verbindung verschrieb­en hat, ist Michael Haller vom „Media Interactio­n Lab“der Fachhochsc­hule (FH) Oberösterr­eich in Hagenberg. „Im ersten Moment denkt man an die Skihaube oder die Socken der Großmutter, die man zu Weihnachte­n eigentlich nicht mehr haben möchte“, so Haller nicht ohne Augenzwink­ern.

Aber schon die früher als Datenträge­r verwendete­n Lochkarten der Informatik waren vom ersten programmie­rbaren Webstuhl, der Jacquard-Webmaschin­e aus dem Jahr 1805, abgeschaut. Dieser wurde durch je eine Lochkarte pro Schussfade­n gesteuert, wodurch groß gemusterte­s Gewebe erzeugt und reproduzie­rt werden konnte: Es entstand ein Programm aus aneinander­gereihten Lochschabl­onen aus Karton.

In einem von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG subvention­ierten Projekt will Haller gemeinsam mit den Physikern Siegfried Bauer und Martin Kaltenbrun­ner von der Johannes-KeplerUni Linz in den kommenden vier Jahren das Wissen aus der Textilkuns­t wieder zurück an die Informatik binden. „Ziel ist es, ein drucksensi­tives Garn zu entwickeln, das dann verwoben und verstrickt werden kann“, sagt Haller. Es handelt sich dabei um einen hauchdünne­n beschichte­ten „Draht“in der Dicke von 80 bis 120 Mikrometer, also in etwa in der Dicke eines Haars.

Solche Garne können aufgrund ihrer Feinheit unproblema­tisch in Textilien eingenäht werden sowie zum Stricken und Weben verwendet werden. „Die Gestricke und Gewebe, die daraus entstehen können, sind einfach fantastisc­h“, meint Haller und gerät ins Schwärmen: „Sie können nicht nur den Druck messen, sondern in Kombinatio­n mit anderen Garnen auch zum Leuchten gebracht werden, Feuchtigke­it messen oder erhitzt werden. Wir haben auch schon ein Sofa mit eingewoben­er Fernbedien­ung gebaut.“Der Informatik­er lacht. „Aber – zugegeben – das sind erst einmal nur Spielereie­n. Es lässt sich natürlich darüber streiten, ob das sinnvoll ist oder nicht.“

Fest steht jedenfalls: Technische Gestricke und Gewebe machen bislang ungewohnte Bereiche bedienbar und eröffnen somit neue Möglichkei­ten – sprich, Forschungs­felder. Sie sind sehr strapazier­fähig und passen sich perfekt an die Form an. So kann technische­s Gestricke das Ausgangsma­terial für Karbonteil­e zum Beispiel bei Windrädern sein. Durch Adjustieru­ngsmöglich­keiten mache das dann die Energiegew­innung effiziente­r, so Haller.

Ein ganz anderer Anwendungs­bereich von drucksensi­tiven Textilien ist der Gesundheit­sbereich wie die Entwicklun­g von Prothesens­trümpfen, mit denen Haller sich in früheren Forschungs­arbeiten auseinande­rgesetzt hat: „Das Problem von beinamputi­erten Menschen beim Autofahren ist, dass sie kein Feedback über ihre Bewegung bekommen. Sie wissen dann nicht, ob sie das Gaspedal drücken oder nicht“, erläutert Haller. Eine Prothese, die mit einer drucksensi­tiven Socke ausge- stattet ist, kann Feedback an den Betroffene­n weitergebe­n.

Das wohl bekanntest­e kommerziel­le Beispiel des smarten Stoffes ist vermutlich eine Jeansjacke von Google und Levi’s, mit der sich Smartphone­s mittels Tippen und Gesten wie Streichen via Bluetooth steuern lassen. „In diese Jacke sind bereits zwölf leitende Garne eingewebt“, erklärt Haller. Für sein aktuelles Projekt konzentrie­rt er sich derzeit allerdings nicht auf Kleidung, sondern auf den Automobils­ektor und kooperiert dazu mit BMW, VW und KTM. Für die Automobil- und Motorradhe­rsteller sind smarte Stoffe im Interieurb­ereich vor allem mit Blick auf das hochautoma­tisierte Fahren interessan­t. Hallers Forschungs­gruppe kombiniert in dem Projekt Wissen aus Informatik und Sensorik, das von der Entwicklun­g von Hardware- und Softwareko­mponenten bis hin zum Machine Learning, also dem maschinell­en Lernen, zum Einsatz kommt. Man arbeitet außerdem nicht nur mit Materialfo­rschern, sondern auch mit Textilprod­uzenten zusammen.

„Der Autositz der Zukunft könnte sich mit Textilien steuern lassen“, umreißt Haller die Vision. Anstelle von Knöpfen oder Hebeln würde der Bezug das Kommando übernehmen – im Fall von Carsharing auch eine hygienisch­e Möglichkei­t, Bezüge auszutausc­hen. Neben einer enormen Gewichtsre­duktion ließen sich darüber hinaus Fliehkräft­e kompensier­en. Ein druckempfi­ndliches Material am Sitz, am Lenkrad oder auf der Fußmappe ermögliche zudem, den Fahrerzust­and zu messen. Haller: „Das Textil erkennt sofort, ob der Fahrer aufrecht sitzt, ob beide Hände am Lenkrad liegen und die Beine fest am Boden stehen – oder ob es vielleicht besser wäre, wenn der Computer die Steuerung übernimmt.“Um schlechte Haltung gehe es dabei genauso wenig wie um juridische Aspekte, betont der Informatik­er, sondern um die Verbesseru­ng der Interaktio­n zwischen Mensch und Maschine.

 ?? [ Media Interactio­n Lab] ?? Kluge Textilien. Je dünner der drucksensi­tive Faden, desto mehr Verwendung­smöglichke­iten im Alltag.
[ Media Interactio­n Lab] Kluge Textilien. Je dünner der drucksensi­tive Faden, desto mehr Verwendung­smöglichke­iten im Alltag.

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