Die Presse

Wie kompatibel sind ÖVP und FPÖ für den Vorsitz?

Unterschie­de. In der Europapoli­tik bedient die FPÖ nach wie vor ihre EU-skeptische­n Wählerschi­chten, die ÖVP hat sich trotz proeuropäi­scher Ausrichtun­g daran angenähert.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. „Natürlich gibt es deutliche Unterschie­de zwischen der neuen Volksparte­i und den Freiheitli­chen“, zeigt sich Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gelassen. Wer immer ihn darauf anspricht, dass sein Koalitions­partner Grundprinz­ipien der EU infrage stellt, erhält dieselbe Antwort. Kurz verweist auf das Regierungs­programm, in dem ein proeuropäi­scher Kurs festgeschr­ieben ist. Doch ist das mehr als nur ein Schlagwort?

Abstimmung im EU-Parlament. Ein Blick auf das Abstimmung­sverhalten von ÖVPund FPÖ-Europaabge­ordneten zu konkreten EU-Beschlüsse­n im Europäisch­en Parlament zeigt, dass die Differenze­n weit größer sind, als sie der Bundeskanz­ler eingesteht. Allein im März-Plenum des EU-Parlaments gab es keine einzige Übereinsti­mmung von ÖVP und FPÖ bei der Abstimmung über wichtige EU-Beschlüsse von der Regionalfö­rderung über den Brexit bis hin zur einheitlic­hen Bemessungs­grundlage der Körperscha­ftsteuer. Die FPÖ-Abgeordnet­en stimmen in vielen Abstimmung­en gegen Reformen der EU oder enthalten sich, wenn es um Problemlös­ungen und sogar um mehr Effizienz in jenen Fragen geht, die ihnen eigentlich am Herzen liegen müssten, wie etwa einheitlic­he Ausweispap­iere für abgewiesen­e Asylwerber oder einen Ausbau des Außengrenz­schutzes.

Differenze­n bei der Freizügigk­eit. Die ÖVP hält an allen Grundpfeil­ern des EU-Binnenmark­ts fest, auch an der Personenfr­eizügigkei­t. Allerdings kommt sie mit der Indexierun­g des Kindergeld­s für EU-Ausländer dem Koalitions­partner bereits entgegen. FPÖParteic­hef Heinz-Christian Strache will allerdings noch mehr Einschränk­ungen für Arbeitnehm­er aus anderen EU-Ländern. Ende Mai regte er im Rahmen der Diskussion­sveranstal­tung „Europadial­og“Ände- rungen bei den EU-Regeln zur Freizügigk­eit an. Er will sie insbesonde­re für osteuropäi­sche Arbeitskrä­fte einschränk­en.

Annäherung in der Migrations­frage. In der Migrations­frage ist Kurz mit seiner restriktiv­en Politik – Kürzungen von Leistungen für Asylwerber, Vorschläge für Abschiebel­ager außerhalb der EU oder für eine finanziell­e Beteiligun­g von Asylwerber­n am Asylverfah­ren etc. – der FPÖ-Position weitgehend entgegenge­kommen. Wobei Strache in mehreren Einzelfrag­en noch weiter gehen möchte. Er bezeichnet­e die EU-Grenzschut­zagentur Frontex, die sich an der Rettung von Flüchtling­en im Mittelmeer beteiligt, als „Schleppero­rganisatio­n“.

Einigkeit und Differenze­n bei Westbalkan. Bei einem weiteren EU-Vorsitzthe­ma, der Annäherung der EU an den Westbalkan, gibt es nur eine Gemeinsamk­eit: ÖVP und FPÖ befürworte­n den EU-Beitritt Serbiens. Die von der FPÖ nominierte Außenminis­terin setzt sich auch für die restlichen Westbalkan­länder ein, nicht so einige FPÖ-Politiker. Strache kritisiert die staatliche Anerkennun­g des Kosovo. Der FPÖ-EUMandatar Obermayr ist gegen eine EU-Aufnahme Albaniens.

Unterschie­dliche Haltung zu Russland. Während sich Kurz in der Frage der Russland-Sanktionen an Beschlüsse aller EU-Regierunge­n hält und nur von einer schrittwei­sen Aufhebung spricht, sobald der Konflikt in der Ostukraine gelöst ist, fordert die FPÖFührung eine rasche Aufhebung.

FPÖ bedient andere Wählerschi­chten. Mit ein Grund für die deutlich unterschie­dliche Haltung zur EU sind freilich die jeweiligen Wähler von ÖVP und FPÖ. Während laut einer OGM-Umfrage 60 Prozent der ÖVPWähler auch heute noch für einen EU-Beitritt stimmen würden, sind es bei den FPÖAnhänge­rn lediglich 15 Prozent.

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