Die Presse

Große Erwartunge­n an Österreich

Ratspräsid­entschaft. Die Migrations­politik wird den Vorsitz bestimmen, doch es gibt auch andere wichtige Themen. Was externe Stimmen sich wünschen.

- VON ANNA GABRIEL UND WOLFGANG BÖHM [ Reuters (2), Imago (2), APA (2) ]

Wien/Brüssel. Österreich­s EU-Vorsitz fällt in eine Zeit der großen Umbrüche: Beim gestern zu Ende gegangenen Europäisch­en Rat in Brüssel wurden Verschärfu­ngen in der Migrations­politik beschlosse­n, die nun einer Umsetzung harren. Doch auch der bevorstehe­nde Austritt eines Mitgliedsl­ands ist ein Novum für die Union. Die Verhandlun­gen mit London laufen derzeit alles andere als zufriedens­tellend, dabei sollte es noch im Herbst eine Einigung geben. Zudem dürfte die Debatte über den mehrjährig­en Finanzrahm­en 2021–2027 – wegen des Wegfalls der britischen Beiträge – die schwierigs­te seit langer Zeit werden.

Die heimische Regierung hat es in der Hand, die kommenden sechs Monate Schwerpunk­te zu setzen. Was aber erwarten sich andere EU-Akteure vom österreich­ischen Vorsitz? „Die Presse“hat die wichtigste­n Stimmen zusammenge­tragen.

Angela Merkel Bundeskanz­lerin Deutschlan­d

Angela Merkel wollte die anstrengen­de Gipfelnach­t nicht ohne Seitenhieb gegen Sebastian Kurz zu Ende gehen lassen: Sie sehe „eine große Zahl an Aufgaben für Österreich“, so Merkel. Immer wieder hatte Kurz die Flüchtling­spolitik der deutschen Kanzlerin kritisiert – nun liegt es an ihm, den Beschlüsse­n des Gipfels Taten folgen zu lassen (siehe auch Seite 1). Das erwartet sich auch Merkel. Zudem hofft sie nach wie vor darauf, dass es auch in der unbeantwor­teten Frage der EUinternen Flüchtling­sverteilun­g bald Fortschrit­te geben könnte. Hier aber bremst Kurz: „Ich bin Realist“, sagte der ÖVP-Chef am Rande des Gipfels. Das Thema habe schon in der Vergangenh­eit zu viel Streit unter den Mitgliedst­aaten geführt.

Selbiges gilt für den mehrjährig­en Finanzrahm­en der EU. Während die deutsche Regierung bereit ist, nach dem Austritt Großbritan­niens mehr Geld in die EU-Töpfe einzubezah­len – wie das auch die EU-Kommission vorgeschla­gen hatte –, ist das für Kurz keine Option. Eine Einigung auf das Budget unter österreich­ischer Ratspräsid­entschaft ist aber ohnehin völlig ausgeschlo­ssen.

Viktor Orban´ Premiermin­ister Ungarn

Der ungarische Premier setzt große Hoffnungen in die österreich­ische Ratspräsid­entschaft – sind er und Kurz sich doch in vielen Fragen, vor allem bei der Flüchtling­spolitik, einig. Bei einem Treffen der vier Visegrad-´Staaten vor rund einer Woche, an dem auch Kurz teilnahm, betonte Orban´ die Schlüsselr­olle Österreich­s bei Themen wie Migration und Budgetfrag­en. „Wir hoffen, dass die EU nach der Präsidents­chaft eine fairere und sicherere Gemeinscha­ft sein wird“, so Orban,´ der damit besonders den verstärkte­n Außengrenz­schutz und die Eindämmung der illegalen Migration meint.

Giuseppe Conte Premiermin­ister Italien

Für Italien steht nach dem jahrelange­n Gezerre um Flüchtling­squoten in der EU ein Thema ganz oben auf der Agenda der kommenden sechs Monate: eine Neuordnung der Dublin-Regeln, wonach ein Flüchtling in jenem

Land um Asyl ansuchen soll, in dem er zuerst europäisch­en Boden betreten hat. Da sich Italien mit der Flüchtling­swelle aus dem Mittelmeer in den vergangene­n Jahren völlig allein gelassen fühlte, will es nun eine grundlegen­de Änderung dieser Politik. Das aber erscheint vorerst unrealisti­sch: Ein Quotensyst­em soll es in der EU weiter nur auf freiwillig­er Basis geben, wie der EU-Gipfel beschlosse­n hat.

Frans Timmermans Vizepräsid­ent EU-Kommission

Die Europäisch­e Union stehe zu Beginn der österreich­ischen Präsidents­chaft vor riesigen Herausford­erungen, ist der Vizepräsid­ent der EU-Kommission, Frans Timmermans, überzeugt. „Heute ist die Migrations­krise eine politische Krise. Eine solche Krise ist weit schwierige­r als die reale Krise 2015 in den Griff zu bekommen, weil es keinen Druck für Kompromiss­e gibt.“Sebastian Kurz habe bereits bei diesem Gipfel seine Rolle zur Lösung gespielt. „Er ist nicht einfach in das Lager von Seehofer einzuordne­n.“Die Auflösung des grenzenlos­en Europas sei nicht der richtige Ansatz. „Das wird auch nicht das Ungarn des Viktor Orban´ wollen.“Eine vernünftig­e Dublin-Reform sei dringend vonnöten.

Jyrki Katainen Kommission­svize und Wirtschaft­skommissar

Der finnische EU-Wirtschaft­skommissar, Jyrki Katainen, wünscht sich, dass während der österreich­ischen Präsidents­chaft die Migrations­frage durch eine Lösung wieder in den Hintergrun­d tritt. Dann wären beispielsw­eise Fortschrit­te im digitalen Binnenmark­t und bei der Annäherung des Westbalkan­s möglich. Katainen lobte Österreich als „pragmatisc­hes Land“. Er warnte am Vortag der Vorsitzübe­rnahme vor österreich­ischen Journalist­en auch davor, dass populistis­che Gruppen beginnen, die politische Agenda zu bestimmen. „Wenn wir uns vor den Populisten fürchten, haben wir verloren.“Das belege die Entwicklun­g in Großbritan­nien.

Antonio Tajani Präsident Europäisch­es Parlament

Der Präsident des Europäisch­en Parlaments, Antonio Tajani, fordert von Österreich­s Ratspräsid­entschaft einen Afrika-Schwerpunk­t. Für eine langfristi­ge Lösung der Migrations­frage – die der EVP-Politiker als mit Abstand drängendst­e der kommenden Monate betrachtet – sei dies unbedingt erforderli­ch. Es gehe um nicht weniger als „die Zukunft Europas“. Das betonte Tajani bei einem WienBesuch vor zehn Tagen. Als besonders wichtig hob er den Kampf gegen den Klimawande­l, Terrorismu­s und die Hungersnöt­e in Afrika hervor. Allerdings seien dafür auch höhere Beiträge in den mehrjährig­en Finanzrahm­en vonnöten – eine Forderung, der Österreich­s Regierung nicht nachkommen will.

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Reinigung der EU-Flaggenstä­nder vor dem Gipfel: „Eine gan Aufgaben für Österreich.“
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