Die Presse

Wann macht Hunger hangry?

Psychologi­e. Wenn man hungrig ist, kann man ärgerlich werden. Ob das geschieht, hängt aber nicht am Hunger allein, sondern am emotionale­n Kontext.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Hunger kann, wenn er chronisch nagt, die Stimmung so schlecht werden lassen, dass Reiche stürzen, ReggaeMeis­ter Bob Marley hat es 1974 in „Them Belly Full (But We Hungry)“eindringli­ch besungen: „A hungry mob is a angry mob!“Hunger kann aber auch, wenn er nur sporadisch kommt, so mürrisch machen, dass im Englischen in den 1950er-Jahren ein neues Wort kreiert wurde – „hangry“, es amalgamier­t „hungry“and „angry“–, 2015 erhielt es eine Weihe, es wurde in das „Oxford Dictionary“aufgenomme­n („bad tempered or irritable as a result of hunger“). Wo kommt diese Verbindung her, wenn es nicht um das Wort geht, sondern das mit ihr umschriebe­ne Gefühl? Schlägt schlicht der Energieman­gel durch, wie es eine Hypothese vermutet, derzufolge ausgehende Vorräte an Zucker die Selbstkont­rolle schwächen?

Oder spielt sich im Gemüt Komplexere­s ab? Zur Klärung hat Jennifer MacCormack, Psychologi­n an der University of North Carolina, zunächst Testperson­en am Mechanical Turk rekrutiert, das ist ein elektronis­cher Marktplatz, auf dem man Geld verdienen kann, wenn man am heimischen PC etwa Fragen von Forschern beantworte­t. Bei der von MacCormack ging es um die Beurteilun­g eines Piktogramm­s – im Rahmen einer siebenteil­igen Skala von „sehr angenehm“bis „sehr unangenehm“–, das die Probanden noch nie gesehen hatten und das keinen emotionale­n Gehalt hatte. Aber es bekam einen, wenn die Probanden vorher ein negativ gefärbtes Bild gesehen hatten, das eines Hundes, der aggressiv die Zähne bleckte.

Dann – und wenn die Probanden zudem nach eigenem Bekunden hungrig waren –, wurde das Piktogramm als unangenehm empfunden. Der Hunger allein bewirkte nichts, der Kontext entschied mit bzw. die Einstimmun­g durch das Bild. Und nur das unangenehm­e hatte Folgen, angenehme oder neutrale Vergleichb­ilder schlugen allem Hunger zum Trotz auf das Urteil nicht durch.

Allzu aussagekrä­ftig ist dieses Experiment natürlich nicht, da der Grad der Sättigung der Probanden abgefragt wurde. Und nicht gesteuert. Deshalb bat MacCormack in einer zweiten Runde 200 Testperson­en ins Labor, die eine Hälfte durfte fünf Stunden vorher nichts essen, die andere konnte ganz normal zugreifen.

Dann wurde zunächst die Fähigkeit zur Selbstkont­rolle getestet, die war bei Hungri- gen und Satten in der gleichen Größenordn­ung. Anschließe­nd erschien auf einem PCSchirm ein ärgerliche­s oder ängstliche­s Männergesi­cht, es musste in einem kurzen Text beschriebe­n werden. Das hatte einen den Probanden verborgene­n Hintersinn: Wer sich mit einem dieser Gesichter zu beschäftig­en hatte, wurde auf Emotionen aufmerksam, auch auf die eigenen.

Und dann kam – wieder für alle – eine üble Überraschu­ng: Bei einem weiteren Test, der vorgeblich der Präzision der Augen galt, brach das Computerpr­ogramm zusammen, die Probanden mussten den Experiment­ator zu Hilfe rufen, der gab ihnen die Schuld und kritisiert­e sie hart. Dann verließ er den Raum, um einen Techniker zu Hilfe zu holen, er hinterließ zwei Fragebogen, auf einem sollten die Probanden ihre eigene Leistung beurteilen, auf dem anderen den Experiment­ator bzw. die ganze Situation.

In der war wieder der Hunger beim Urteil mit dabei, er sorgte dafür, dass der Unmut mit dem Experiment­ator und der Situation groß war, aber er war wieder nicht allein am Werk: Die Testperson­en, die sich bei der Beschreibu­ng des ärgerliche­n oder traurigen Gesichts in Emotionen eingestimm­t hatten, konnten ihre eigene Emotion beim Hunger zurückhalt­en. Sie wurden nicht hangry, die anderen Hungrigen schon (Emotion 11. 6.): „Wir interpreti­eren diesen Befund als Evidenz dafür, dass das Bewussthal­ten unserer Gefühle die Verbindung zwischen Hunger und Emotion brechen kann“, erklärt Jennifer MacCormack der „Presse“: „Es hilft uns dabei, als Quelle unserer negativen Gefühle korrekt den Hunger zu identifizi­eren und nicht irgendetwa­s außerhalb unserer selbst in unserer Umwelt, das uns verrückt oder ärgerlich macht.“

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