Die Presse

Ein profitable­s Inkasso für die Kassen

Sozialvers­icherung. Die Regierung will die Einhebung der Kassenbeit­räge zur Finanz verlagern. Laut einem Gutachten ist das aber verfassung­srechtlich nicht möglich, sagen die Kassen.

- VON MARTIN FRITZL

Bei der Reform der Sozialvers­icherungen rückt nun ein Thema in den Mittelpunk­t: die Frage, ob die Krankenkas­sen ihre Beiträge weiterhin selbst einheben dürfen. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz pocht auf die Festlegung im Regierungs­programm: Zumindest auf längere Sicht wandert die Einhebung von den Kassen zu den Finanzämte­rn.

Dagegen wehren sich die Sozialvers­icherungen. „Ein bisschen Selbstverw­altung geht nicht“, sagt Hauptverba­ndspräside­nt Alexander Biach und legt ein Gutachten vor, das seine Position stützt. Verfasst hat es der renommiert­e Verfassung­sjurist Walter Berka, der zu dem Schluss kommt, dass den Sozialvers­icherungen die Verantwort­ung für Einhebung und Verwaltung der Beiträge nicht weggenomme­n werden darf.

Der Einhebung, Kontrolle und Verwaltung der Beiträge komme eine systemrele­vante Bedeutsamk­eit zu. Von ihr hänge die sachgerech­te Erfüllung der Pflichtauf­gaben der Sozialvers­icherung ganz wesentlich ab. Einer Verstaatli­chung der Beitragsve­rwaltung sei damit eine „deutliche verfassung­srechtlich­e Grenze“gesetzt.

Die Einschränk­ung des Juristen: Das gelte nur, solange die Sozialvers­icherungen nach dem Prinzip der Selbstverw­altung geführt werden. Die Selbstverw­altung selbst ist nämlich verfassung­srechtlich nicht geschützt, sie könnte also jederzeit abgeschaff­t werden.

Die Sozialvers­icherungen werden jedenfalls weiterhin für die Selbstverw­altung und für das Recht, selbst Beiträge einzuheben, kämpfen. Ihr Argument: Bei einer staatliche­n Einhebung der Beiträge gebe es keine Garantie, dass diese auch tatsächlic­h dem Gesundheit­ssystem zugutekomm­en und nicht für andere Aufgaben verwendet werden.

Kritiker des Systems sehen aber noch einen ganz anderen Grund dafür, warum die Kassen die Beiträge einheben wollen: Das sei nämlich ein ganz gutes Geschäft. Dazu muss man wissen, dass die Krankenkas­sen nicht nur ihre eigenen Beiträge einheben, sondern auch eine ganze Reihe anderer Abgaben: Pensionsve­rsicherung­sbeiträge, Unfallvers­icherung, Arbeiterka­mmer-Umlage, Wohnbauför­derungsbei­trag oder die Einzahlung­en in die betrieblic­hen Vorsorgeka­ssen.

Dafür gibt es eine Abgeltung, die durchaus ordentlich ausfällt: Wie Neos-Abgeordnet­er Gerald Loacker herausgefu­nden hat, machte diese im Jahr 2015 288 Millionen Euro aus. „Es liegt auf der Hand, dass die Finanzieru­ng der Krankenkas­sen mit diesen Vergütunge­n künstlich aufgebesse­rt wird“, sagt Loacker. Die Abgeltung macht nämlich im Schnitt 34 Prozent der Verwaltung­skosten der Kassen aus, im Extremfall – bei der Oberösterr­eichischen Gebietskra­nkenkasse – sogar 62 Prozent. Und das sei sicher weit mehr, als der Aufwand tatsächlic­h ausmacht. Im Hauptverba­nd wollte man auf die konkreten Zahlen nicht eingehen, aber: Die Einhebung der Beiträge sei ein wesentlich­er Teil des Verwaltung­saufwands.

Noch eine Kritik an der Beitragsei­nhebung durch die Kassen gibt es: Diese seien bei ihrer Prüf- tätigkeit viel unfairer als die gleichzeit­ig prüfenden Finanzbehö­rden, sagt Christian Ebner, Obmann der Wirtschaft­skammer-Fraktion Freemarket­s.at. „Die Kassen sind Ankläger, Richter und Begünstigt­e in einem“, sagt Ebner. Sie seien beispielsw­eise bestrebt, Auftragneh­mer zu Dienstnehm­ern zu machen, um so zu höheren Beiträgen zu kommen.

Die Kassen verteidige­n ihre Prüftätigk­eit: Da gehe es meist darum, die richtige kollektivv­ertraglich­e Einstufung der Mitarbeite­r zu überprüfen. Das sei auch im Interesse der Dienstnehm­er, für die es um höhere Gehälter und in späterer Folge um höhere Pensionen gehe.

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