Ein profitables Inkasso für die Kassen
Sozialversicherung. Die Regierung will die Einhebung der Kassenbeiträge zur Finanz verlagern. Laut einem Gutachten ist das aber verfassungsrechtlich nicht möglich, sagen die Kassen.
Bei der Reform der Sozialversicherungen rückt nun ein Thema in den Mittelpunkt: die Frage, ob die Krankenkassen ihre Beiträge weiterhin selbst einheben dürfen. Bundeskanzler Sebastian Kurz pocht auf die Festlegung im Regierungsprogramm: Zumindest auf längere Sicht wandert die Einhebung von den Kassen zu den Finanzämtern.
Dagegen wehren sich die Sozialversicherungen. „Ein bisschen Selbstverwaltung geht nicht“, sagt Hauptverbandspräsident Alexander Biach und legt ein Gutachten vor, das seine Position stützt. Verfasst hat es der renommierte Verfassungsjurist Walter Berka, der zu dem Schluss kommt, dass den Sozialversicherungen die Verantwortung für Einhebung und Verwaltung der Beiträge nicht weggenommen werden darf.
Der Einhebung, Kontrolle und Verwaltung der Beiträge komme eine systemrelevante Bedeutsamkeit zu. Von ihr hänge die sachgerechte Erfüllung der Pflichtaufgaben der Sozialversicherung ganz wesentlich ab. Einer Verstaatlichung der Beitragsverwaltung sei damit eine „deutliche verfassungsrechtliche Grenze“gesetzt.
Die Einschränkung des Juristen: Das gelte nur, solange die Sozialversicherungen nach dem Prinzip der Selbstverwaltung geführt werden. Die Selbstverwaltung selbst ist nämlich verfassungsrechtlich nicht geschützt, sie könnte also jederzeit abgeschafft werden.
Die Sozialversicherungen werden jedenfalls weiterhin für die Selbstverwaltung und für das Recht, selbst Beiträge einzuheben, kämpfen. Ihr Argument: Bei einer staatlichen Einhebung der Beiträge gebe es keine Garantie, dass diese auch tatsächlich dem Gesundheitssystem zugutekommen und nicht für andere Aufgaben verwendet werden.
Kritiker des Systems sehen aber noch einen ganz anderen Grund dafür, warum die Kassen die Beiträge einheben wollen: Das sei nämlich ein ganz gutes Geschäft. Dazu muss man wissen, dass die Krankenkassen nicht nur ihre eigenen Beiträge einheben, sondern auch eine ganze Reihe anderer Abgaben: Pensionsversicherungsbeiträge, Unfallversicherung, Arbeiterkammer-Umlage, Wohnbauförderungsbeitrag oder die Einzahlungen in die betrieblichen Vorsorgekassen.
Dafür gibt es eine Abgeltung, die durchaus ordentlich ausfällt: Wie Neos-Abgeordneter Gerald Loacker herausgefunden hat, machte diese im Jahr 2015 288 Millionen Euro aus. „Es liegt auf der Hand, dass die Finanzierung der Krankenkassen mit diesen Vergütungen künstlich aufgebessert wird“, sagt Loacker. Die Abgeltung macht nämlich im Schnitt 34 Prozent der Verwaltungskosten der Kassen aus, im Extremfall – bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse – sogar 62 Prozent. Und das sei sicher weit mehr, als der Aufwand tatsächlich ausmacht. Im Hauptverband wollte man auf die konkreten Zahlen nicht eingehen, aber: Die Einhebung der Beiträge sei ein wesentlicher Teil des Verwaltungsaufwands.
Noch eine Kritik an der Beitragseinhebung durch die Kassen gibt es: Diese seien bei ihrer Prüf- tätigkeit viel unfairer als die gleichzeitig prüfenden Finanzbehörden, sagt Christian Ebner, Obmann der Wirtschaftskammer-Fraktion Freemarkets.at. „Die Kassen sind Ankläger, Richter und Begünstigte in einem“, sagt Ebner. Sie seien beispielsweise bestrebt, Auftragnehmer zu Dienstnehmern zu machen, um so zu höheren Beiträgen zu kommen.
Die Kassen verteidigen ihre Prüftätigkeit: Da gehe es meist darum, die richtige kollektivvertragliche Einstufung der Mitarbeiter zu überprüfen. Das sei auch im Interesse der Dienstnehmer, für die es um höhere Gehälter und in späterer Folge um höhere Pensionen gehe.