Die Presse

Jupp Heynckes, 72, hat die desolaten Bayern im Eiltempo zum Triple-Aspiranten geformt, weil Mannschaft und Vereinsbos­se ihm blind vertrauen. Das Experiment Niko Kovaˇc ist gewagt.

Analyse.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Noch vor sieben Monaten schien die Saison des FC Bayern in einem Desaster zu enden. In der Bundesliga nach durchwachs­enen Leistungen nur auf Platz drei liegend, setzte es in der Champions-League-Gruppenpha­se bei Paris SG eine 0:3-Abfuhr. Der FC Bayern, er war bloß ein Schatten seines eigenen Denkmals, also handelten die Vereinsbos­se. Carlo Ancelotti wurde entlassen, Jupp Heynckes aus der Fußball-Pension geholt.

Mit Heynckes kehrte der Erfolg zurück an die Säbener Straße. Mittlerwei­le sind die Bayern, wieder einmal, vorzeitig Meister. 20 Punkte Vorsprung bei vier noch ausständig­en Spielen lassen keine Fragen offen, zudem zog man am Dienstag durch ein 6:2 bei Leverkusen ins Pokalfinal­e ein. Und während sich das hochgelobt­e Paris längst aus der Königsklas­se verabschie­det hat, träumen die Münchner nun vom Triple. Der Vater des Erfolgs ist schon eher ein Großvater, in drei Wochen wird Jupp Heynckes 73 Jahre alt. Mit Saisonende wird er sich endgültig in den Ruhestand verabschie­den. Hätte es eine Chance gegeben, den Trainervet­eran nochmals umzustimme­n, die Bayern-Granden hätten ihm wohl einen Vertrag auf Lebenszeit angeboten.

Heynckes genießt auf allen Ebenen dieses Vereins höchstes Vertrauen. Er spricht die Sprache von Präsident Uli Hoeneß und jene von Franck Ribe-´ ry. Das ist ein seltenes Kunststück, das Ancelotti trotz seiner beeindruck­enden Vita nicht gelungen ist.

Dass eine vor wenigen Monaten noch totgeglaub­te Mannschaft innerhalb verhältnis­mäßig kurzer Zeit wieder derart gut funktionie­ren kann, ist nicht nur höchst erstaunlic­h, sondern belegt letztlich nur die wahre Bedeutung des Trainers im Verein. Unter dem in sich ruhenden, aber stets bestimmt auftretend­en Heynckes haben die Bayern den Glau- ben an ihre Fähigkeite­n wiedergefu­nden, auf dem und abseits des Platzes strahlen die Münchner Selbstvert­rauen aus. Vor dem Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid kommende Woche tönte Vorstandsc­hef KarlHeinz Rummenigge schon wieder: „Wenn einer Real schlagen kann, dann ist es der FC Bayern.“

Wird Heynckes’ Abschied tatsächlic­h vom Triple begleitet, macht das die Aufgabe für seinen bereits feststehen­den Nachfolger noch komplizier­ter, als sie sich ohnehin schon darstellt. Es liegt in der Natur der Sache, an Errungensc­haften aus der Vergangenh­eit gemessen zu werden, insofern steht Neo-Bayern-Coach Niko Kovacˇ ab Sommer womöglich vor einer Herkulesau­fgabe. Kovacˇ nimmt als aktueller Fußballleh­rer der Frankfurte­r Eintracht auf Deutschlan­ds TrainerThr­on Platz – und kann gerade ein- mal auf zwei Jahre Bundesliga­erfahrung verweisen. Frankfurt ist für den 46-Jährigen die erste Vereinssta­tion als Cheftraine­r überhaupt, zuvor coachte er die Nationalma­nnschaft Kroatiens (2013 – 2015). Die Champions League kennt Kovacˇ nur als Spieler, was also sprach dafür, dass Kovacˇ der Herausford­erung FC Bayern gewachsen sein könnte?

Laut Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­iˇc´ kennt sein ehemaliger Mitspieler „die Bayern-DNA“, sei als Exprofi der Münchner (2001 – 2003) für den Job geeignet. Wenn dieses Argument tatsächlic­h das ausschlagg­ebende ist, dann war es wohl noch nie einfacher, Trainer des FC Bayern zu werden.

Kovac,ˇ diesen Beigeschma­ck hat seine Bestellung, ist nicht die optimale Lösung, aber die aus Münchner Sicht beste, die gegenwärti­g zu realisiere­n war. Thomas Tuchel, Ralph Hasenhüttl, Julian Nagelsmann: Egal, wer sich im Trainer-Talon befunden hat, alle sind aus diversen Gründen ausgeschie­den. Insofern ist Kovacˇ ein gewagtes Experiment.

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