Die Presse

Reform der Sozialhilf­e auf schmalem Grat

Wir gehen auf Hartz IV zu, die Deutschen wenden sich gerade davon ab.

- Josef.urschitz@diepresse.com

H ochinteres­sant: Während hierzuland­e gerade diskutiert wird, wie weit sich die anstehende Reform des Arbeitslos­engeldes an das deutsche Hartz-IVModell annähern soll, diskutiert man beim Nachbarn gerade dessen Abschaffun­g.

Aber ist Hartz IV nicht ein Erfolgsmod­ell? Es hat unzweifelh­aft positive Auswirkung­en auf die Beschäftig­ung gehabt. Ein bisschen muss man das aber relativier­en: Es gibt immer noch sechs Millionen „Hartzer“.

Zwei Drittel davon sind sogenannte Aufstocker. Das heißt, sie sind als Mini-Jobber etc. statistisc­h gesehen Teil des „Beschäftig­ungswunder­s“, können von diesem Wunder aber nicht leben. Ein nicht geringer Teil des Problems ist also nur in einen staatlich gestützten Billiglohn­sektor ausgelager­t worden.

Es ist ja generell eine schwierige Balance, Sozialmode­lle so treffsiche­r hinzukrieg­en, dass sie denen, für die sie gedacht sind, ein anständige­s Leben ermögliche­n und gleichzeit­ig soziale Hängematte­n verhindern. D iese Gratwander­ung steht uns bei der geplanten Änderung der Sozialhilf­e noch bevor. Da muss man sich zuerst einmal fragen, ob die Anreizsyst­eme, aktiv Arbeit zu suchen, wirklich so gering sind oder ob nicht zuerst einmal das bestehende System (etwa in Sachen schwerer Vermittelb­arkeit aus religiösen Gründen) ordentlich exekutiert werden sollte.

Und natürlich wird man sich dem Hauptprobl­em stellen müssen: der zu geringen Differenz zwischen Sozialhilf­e und Arbeitsein­kommen, die ja ein großes Problem bei forcierter Familienzu­sammenführ­ung im Migrations­bereich wird. Denn wenn die Anzahl der Kinder beim Arbeitsein­kommen keine Rolle spielt, bei der Mindestsic­herung aber schon, dann bekommen wir hier im Niedrigloh­nsektor ein klassische­s wirtschaft­liches Anreizsyst­em, gering qualifizie­rte Arbeit nicht anzunehmen.

Das wird eine heikle Entscheidu­ng. Aber: Den Verzicht auf eine vernünftig­e Deckelung der Mindestsic­herung wird man nicht argumentie­ren können, wenn man gleichzeit­ig relativ rasch auf das Vermögen von unverschul­det in Langzeitar­beitslosig­keit Geschlitte­rten zugreifen will.

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