„Wir brauchen Rechtssicherheit“
Interview. Wer das Europarecht missachtet, soll weniger EU-Subventionen erhalten, fordert Ulrike Rabmer-Koller, Präsidentin des europäischen Mittelstandsverbands.
In der Debatte um die Frage, wie die Union auf den Umbau des polnischen Justizwesens und die hartnäckige Missachtung von Urteilen des Gerichtshofs der EU durch die nationalkonservative Warschauer Regierung reagieren soll, bezieht einer der wichtigsten Wirtschaftsverbände Europas klare Haltung. „Man muss sicherstellen, dass die Rechtsstaatlichkeit überall gilt – auch im nächsten Finanzrahmen“, sagte Ulrike Rabmer-Koller, Präsidentin des Dachverbands der Klein- und Mittelständischen Unternehmen, UEAPME, im Gespräch mit der „Presse“. „Da müssen Maßnahmen gesetzt werden, dass es weniger EU-Geld gibt, wenn jemand diese Regeln nicht einhält. Das ist die einzige Möglichkeit, etwas in der Hand zu haben.“
Rabmer-Koller, die auch Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich ist, vertritt mit der UEAPME rund zwölf Millionen europäischer Unternehmen, die circa 55 Millionen Arbeitnehmer beschäftigen. „Ich sehe das vom Standpunkt der Wirtschaft“, begründete sie ihre Forderung nach budgetären Sanktionen für Angriffe auf das Europarecht. „Wir brauchen langfristige Rechtssicherheit. Das ist für den Binnenmarkt ein wesentlicher Faktor. Für uns ist die Forderung klar, dass jeder europäische Staat die Richtlinien und Ver- ordnungen einhalten muss, damit man wirtschaftlich in jedem Mitgliedstaat aktiv sein kann.“
Die Pläne der polnischen Regierung, die Richter des Landes der direkten politischen Kontrolle durch den Justizminister und die Parlamentsmehrheit zu unterstellen, sorgen europaweit für Unmut. Sie haben die Europäische Kommission dazu veranlasst, die ersten Schritte eines Verfahrens nach dem EU-Vertrag zu eröffnen, das – zumindest theoretisch – den Ausschluss Polens von allen Entscheidungen in den Ministerräten zum Ergebnis haben könnte. In der politischen Praxis allerdings wird dieses nach seiner Bestimmung im EU-Vertrag genannte Artikel-7-Verfahren nicht zu diesem Resultat führen. Denn für den zeitweisen Entzug der Stimmrechte brauchte es Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten. Ungarns ebenfalls gegenüber Brüssel feindselig eingestellte Regierung hat bereits erklärt, diesfalls ihr Veto für Warschau einlegen zu wollen.
Fürs Erste wartet die Kommission noch darauf, dass Warschau den beanstandeten Umbau von Höchstgericht, Justizrat und Gerichtspräsidien zurücknimmt. Polens Regierung hat dieser Tage in Brüssel zwar versucht, mit einem Weißbuch diese Bedenken zu zerstreuen. Davon ist man allerdings weder in der Kommission noch in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten besonders beeindruckt. „Ich glaube, im April wird es zur Abstimmung über den ersten Schritt kommen“, sagte ein an diesen Verhandlungen teilnehmender Diplomat zur „Presse“. „Das Weißbuch hat niemanden überzeugt, und die Geduld ist am Ende.“Diese erste Abstimmung würde allerdings nur feststellen, dass Polens Justizreformen eine wesentliche Verletzung der europäischen Grundwerte darstellen. Das wäre mit Vier-FünftelMehrheit möglich.
Im zweiten großen Problem der Union, nämlich dem Brexit, geht Rabmer-Koller vom Schlimmsten aus: „Speziell für kleine und mittlere Unternehmen ist das eine große Herausforderung. Wir können derzeit nur darauf aufmerksam machen, dass, wenn KMU aktuell Verträge abschließen, sie vom Worst-CaseSzenario ausgehen sollen. Denn wir wissen nicht, was wirklich herauskommt.“
Hinsichtlich eines anderen Streitthemas, der Entsendung von Arbeitnehmern, hofft sie auf eine angekündigte Initiative der Kommission: „Die Europäische Sozialversicherungsnummer ist langfristig gesehen die einzige Möglichkeit, Lohn- und Sozialdumping zu eliminieren. Das ist auf der Agenda der Kommission. Es ist für die Finanzpolizei derzeit nicht möglich zu prüfen, ob mitgeführte Dokumente von entsendeten Arbeitnehmern gefälscht sind.“