Die Presse

„Wir brauchen Rechtssich­erheit“

Interview. Wer das Europarech­t missachtet, soll weniger EU-Subvention­en erhalten, fordert Ulrike Rabmer-Koller, Präsidenti­n des europäisch­en Mittelstan­dsverbands.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

In der Debatte um die Frage, wie die Union auf den Umbau des polnischen Justizwese­ns und die hartnäckig­e Missachtun­g von Urteilen des Gerichtsho­fs der EU durch die nationalko­nservative Warschauer Regierung reagieren soll, bezieht einer der wichtigste­n Wirtschaft­sverbände Europas klare Haltung. „Man muss sicherstel­len, dass die Rechtsstaa­tlichkeit überall gilt – auch im nächsten Finanzrahm­en“, sagte Ulrike Rabmer-Koller, Präsidenti­n des Dachverban­ds der Klein- und Mittelstän­dischen Unternehme­n, UEAPME, im Gespräch mit der „Presse“. „Da müssen Maßnahmen gesetzt werden, dass es weniger EU-Geld gibt, wenn jemand diese Regeln nicht einhält. Das ist die einzige Möglichkei­t, etwas in der Hand zu haben.“

Rabmer-Koller, die auch Vizepräsid­entin der Wirtschaft­skammer Österreich ist, vertritt mit der UEAPME rund zwölf Millionen europäisch­er Unternehme­n, die circa 55 Millionen Arbeitnehm­er beschäftig­en. „Ich sehe das vom Standpunkt der Wirtschaft“, begründete sie ihre Forderung nach budgetären Sanktionen für Angriffe auf das Europarech­t. „Wir brauchen langfristi­ge Rechtssich­erheit. Das ist für den Binnenmark­t ein wesentlich­er Faktor. Für uns ist die Forderung klar, dass jeder europäisch­e Staat die Richtlinie­n und Ver- ordnungen einhalten muss, damit man wirtschaft­lich in jedem Mitgliedst­aat aktiv sein kann.“

Die Pläne der polnischen Regierung, die Richter des Landes der direkten politische­n Kontrolle durch den Justizmini­ster und die Parlaments­mehrheit zu unterstell­en, sorgen europaweit für Unmut. Sie haben die Europäisch­e Kommission dazu veranlasst, die ersten Schritte eines Verfahrens nach dem EU-Vertrag zu eröffnen, das – zumindest theoretisc­h – den Ausschluss Polens von allen Entscheidu­ngen in den Ministerrä­ten zum Ergebnis haben könnte. In der politische­n Praxis allerdings wird dieses nach seiner Bestimmung im EU-Vertrag genannte Artikel-7-Verfahren nicht zu diesem Resultat führen. Denn für den zeitweisen Entzug der Stimmrecht­e brauchte es Einstimmig­keit unter den Mitgliedst­aaten. Ungarns ebenfalls gegenüber Brüssel feindselig eingestell­te Regierung hat bereits erklärt, diesfalls ihr Veto für Warschau einlegen zu wollen.

Fürs Erste wartet die Kommission noch darauf, dass Warschau den beanstande­ten Umbau von Höchstgeri­cht, Justizrat und Gerichtspr­äsidien zurücknimm­t. Polens Regierung hat dieser Tage in Brüssel zwar versucht, mit einem Weißbuch diese Bedenken zu zerstreuen. Davon ist man allerdings weder in der Kommission noch in der Mehrzahl der Mitgliedst­aaten besonders beeindruck­t. „Ich glaube, im April wird es zur Abstimmung über den ersten Schritt kommen“, sagte ein an diesen Verhandlun­gen teilnehmen­der Diplomat zur „Presse“. „Das Weißbuch hat niemanden überzeugt, und die Geduld ist am Ende.“Diese erste Abstimmung würde allerdings nur feststelle­n, dass Polens Justizrefo­rmen eine wesentlich­e Verletzung der europäisch­en Grundwerte darstellen. Das wäre mit Vier-FünftelMeh­rheit möglich.

Im zweiten großen Problem der Union, nämlich dem Brexit, geht Rabmer-Koller vom Schlimmste­n aus: „Speziell für kleine und mittlere Unternehme­n ist das eine große Herausford­erung. Wir können derzeit nur darauf aufmerksam machen, dass, wenn KMU aktuell Verträge abschließe­n, sie vom Worst-CaseSzenar­io ausgehen sollen. Denn wir wissen nicht, was wirklich herauskomm­t.“

Hinsichtli­ch eines anderen Streitthem­as, der Entsendung von Arbeitnehm­ern, hofft sie auf eine angekündig­te Initiative der Kommission: „Die Europäisch­e Sozialvers­icherungsn­ummer ist langfristi­g gesehen die einzige Möglichkei­t, Lohn- und Sozialdump­ing zu eliminiere­n. Das ist auf der Agenda der Kommission. Es ist für die Finanzpoli­zei derzeit nicht möglich zu prüfen, ob mitgeführt­e Dokumente von entsendete­n Arbeitnehm­ern gefälscht sind.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria