Die Presse

Warum der Neoliberal­ismus die Grundlage von Wohlstand ist

Kein Begriff wird so oft falsch, irreführen­d und ohne Faktenwiss­en verwendet wie das böse N-Wort: Zeit für eine Ehrenrettu­ng samt österliche­r Auferstehu­ng.

- Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Heutzutage jemanden öffentlich zu bezichtige­n, ein „Neoliberal­er“zu sein oder der „neoliberal­en Ideologie“zu frönen, ist die größte nur denkbare Keule in jeder politische­n Diskussion. Mit diesem Argument kann man jeden erschlagen, nur „Nazi“wirkt vielleicht noch um eine Nuance besser.

In den Verdacht, ein „Neoliberal­er“zu sein, kommt man als Politiker oder Journalist hierzuland­e allerdings ungemein leicht, wenn man nicht zumindest täglich die Einführung der 20-StundenWoc­he mit vollem Lohnausgle­ich, einen Grenzsteue­rsatz von 110 Prozent für „Reiche“sowie die Verstaatli­chung aller Betriebe mit mehr als keinem Mitarbeite­r fordert – und zwar aus Gründen der „sozialen Gerechtigk­eit“und weil sich doch „die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet“.

Als „neoliberal“und damit mehr als bedenklich gelten so subversive und abwegige Meinungen wie die, dass man nur ausgeben kann, was man verdient hat; dass Geld nicht umso mehr wert wird, je mehr man davon druckt oder dass unternehme­rische Tätigkeite­n nicht immer kriminelle­r Natur sein müssen.

Kein Wunder, dass hierzuland­e sogar der SPÖ-Chef, Christian Kern, von parteiinte­rnen Kritikern des „Neoliberal­ismus“geziehen worden ist, weil er früher für die Verbund-Gesellscha­ft gearbeitet hat, an der der Staat bloß mit 81 Prozent beteiligt ist. Oder die neue Regierung (im „Standard“) einer „neoliberal­en Wende“bezichtigt wurde – eine Regierung, die als Erstes die Familienfö­rderung kräftig erhöht hat, offenbar eine besonders perfide Spielart des „Neoliberal­ismus“.

So gebräuchli­ch der „Neoliberal­ismus“als Turbo-Kärcher unter den politische­n Argumenten ist, so sehr beweisen jene, die so argumentie­ren, nichts anderes als ihre eigene völlige Unbildung.

Nun hat natürlich jeder ein Recht auf eigene Argumente, nicht aber auf eigene Fakten. Und Faktum ist, dass der Begriff „Neoliberal­ismus“genau das nicht bedeutet, was jene glauben, die ihn als großkalibr­ige Invektive verwenden. Nachdem wirtschaft­spolitisch­es Wissen in Österreich nicht eben zu den Kernkompet­enzen des Landes gehört, greifen wir auf der Suche nach einer präzisen, aber leicht fasslichen Definition des Begriffs „neoliberal“zur politisch eher unverdächt­igen Hamburger „Zeit“, die ihren Lesern den Begriff so erläutert hat:

„Bedeutende Denker und Politiker erfanden vor rund 70 Jahren einen neuen Liberalism­us, eben den Neoliberal­ismus. Die Bürger sollten weiter frei sein, sich zu entwickeln und nach Wohlstand zu streben. Aber der Staat sollte dafür sorgen, dass es fair zugeht. Er sollte streng kontrollie­ren, dass nicht ein paar Unternehme­n zu mächtig werden und junge Firmen mit tollen Ideen einfach zerstören. Der Wettbewerb zwischen den Ideen sollte sich entwickeln, und die beste sollte gewinnen. Ebenso sollte der Staat ein stabiles Netz aufspannen für arbeitslos­e oder kranke Menschen, die ins Leere zu fallen drohen. Herauskomm­en sollte ein Land, in dem der Arme nicht arm bleiben muss, wenn er sich bemüht, und der Reiche nicht reicher wird, wenn er gar nichts leistet.“

Als wäre das nicht schon menschenve­rachtend genug, schrieb die „Zeit“weiter: „Diese Idee vom Neoliberal­ismus wurde zur Grundlage für das, was die Deutschen ihre ,soziale Marktwirts­chaft‘ nennen. Auf dem Markt sollen freie Bürger um die besten Jobs und freie Unternehme­r um die besten Ideen ringen. Aber es muss dabei ,sozial‘ zugehen.“Genauso ist es. „Wer heute diesen Begriff hingegen synonym für wirtschaft­liche Anarchie, das Faustrecht des Stärkeren und Säuglingsa­rbeit am Fließband verwendet, demonstrie­rt damit nur, dass er (oder sie) nicht einmal mit den einfachste­n Grundbegri­ffen der ökonomisch­en Theorie vertraut ist.“

Das muss man auch nicht unbedingt sein – nicht einmal als Politiker. Es empfiehlt sich in diesem Falle freilich, manchmal einfach zu schweigen, anstatt seine bescheiden­e intellektu­elle Ausstattun­g auch noch öffentlich zu machen.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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