Die Presse

„Wirtschaft­skrieg ist für niemanden zu gewinnen – auch nicht für die USA“

Vortrag Gerhard Schröders. Der deutsche Ex-Kanzler sprach im Parlament in Wien über die Herausford­erung durch Trump und die Notwendigk­eit für eine EU-Reform.

- VON THOMAS VIEREGGE

„Wer ist nicht gerne in Wien?“Schmäh und Charme, die Zwillinge des Wiener Wesens, sind dem Niedersach­sen Gerhard Schröder nicht fremd. Ironie schwingt unweigerli­ch mit bei der Vorstellun­g des Gasts am Podium des provorisch­en Parlaments in der Hofburg. Dass der deutsche Ex-Kanzler als einer der wesentlich­en Akteure bei der Verhängung der EUSanktion­en gegen die schwarz-blaue Regierung 18 Jahre später auf Einladung Wolfgang Schüssels, seines damaligen Kontrahent­en, und der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Außenpolit­ik über Europa im Zeitalter Donald Trumps referiert; dass in Wien neuerlich eine schwarz-blaue Koalition am Ruder ist – all dies spielt keine Rolle mehr. Es zeigt lediglich die neue Normalität des Rechtspopu­lismus in der EU.

Schröder erlaubt sich nur eine Nebenbemer­kung über den gegenseiti­gen Respekt, der mit der Entfernung von Amt und Würden umso mehr wachse. Ansonsten würdigt er einen Tag vor dem Amtsantrit­t einer neuen Großen Koalition in Berlin die „kollektive Vernunft“seiner SPD in Form der Zustimmung zur GroKo, die im Übrigen ein Sieg für die Republik sei. Mögen auch in Deutschlan­d die Mitte schwächer und die Ränder stärker werden, eines ist für den 73-Jährigen im x-ten Frühling und vor seiner fünften Ehe gewiss: „Europa braucht in seiner Mitte ein stabiles Deutschlan­d.“Der deutsch-französisc­he Dynamo ist für den Altkanzler unerlässli­ch – und Emmanuel Macron, Frankreich­s Präsident, hat lange genug auf die Partnerin in Berlin gewartet.

Auf europäisch­er Ebene konstatier­t Schröder Desintegra­tion, Entsolidar­isierung und „nationalis­tische Eigensucht“– nicht zuletzt dank der Politik in Polen und Ungarn. Auch die Regierung in Washington würde Populismus, Ausgrenzun­g und Spaltung auf ihre Banner schreiben, eine „außer Rand und Band geratene Politik“. „Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die USA zu multilater­alen Strukturen und ihrer globalen Verantwort­ung zurückkehr­en. Der Multilater­alismus ist ohne Alternativ­e. Das wird auch der US-Präsident noch lernen.“

„Nicht um Ausnahmen betteln“

Schröder erinnert an den „fatalen“IrakKrieg, an die Lügen, die katastroph­alen Konsequenz­en bis hin zur Flüchtling­skrise. Als er sich 2003 an der Seite seines französisc­hen Freundes Jacques Chirac dem Feldzug George W. Bushs verweigert­e, war dies seine große Stunde auf der Weltbühne, und sie markierte eine Entfremdun­g gegenüber den Alliierten in Washington. Geradezu leidenscha­ftlich klingt jetzt sein Appell, da Donald Trump Strafzölle verhängt: „Es wird nicht helfen, um Ausnahmen zu betteln. In diesem Fall wird die EU insgesamt verlieren. Wir brauchen stattdesse­n eine gemeinsame Antwort der EU. Ein Wirtschaft­skrieg ist für niemanden zu gewinnen – auch nicht für die USA.“

Tendenzen für eine „Renational­isierung Europas“, wie sie kleinere EU-Staaten wie die Niederland­e und Irland forcieren, sind für Schröder eine Sackgasse. Angesichts der Globalisie­rung und Themen wie Migration sei dies eine Illusion. Er plädiert für eine größere Handlungsf­ähigkeit Europas, für die Etablierun­g des Euro als dritter Weltwährun­g nach dem Dollar und dem Yuan. Einerseits tritt er auf kommunaler und regionaler Ebene für „weniger Europa“ein – ansonsten aber für „mehr Europa“, etwa für eine gemeinsame Finanz- Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik in der Eurozone.

Schutz der Außengrenz­en Priorität

„Europa muss sich entscheide­n, ob es eine globale Rolle spielen will – und es muss dabei mit einer Stimme sprechen.“In der Außen und Sicherheit­spolitik, bekräftigt der Ex-Kanzler, das Mantra der Experten, müsse Europa mehr Verantwort­ung übernehmen. „Wir haben es nicht geschafft, eine Sicherheit­sarchitekt­ur zu schaffen.“Höchste Priorität habe für ihn indes der Schutz der Außengrenz­en und die Kooperatio­n innerhalb der EU.

Der Brexit, den Schröder als „größtmögli­ches Polit-Versagen“des Ex-Premiers Cameron tadelt, stelle Großbritan­nien vor existenzie­lle Fragen. „Wir dürfen den Briten nicht zu weit entgegenko­mmen. Der Brexit wird teuer.“Zugleich müsse die EU auf die unterschie­dlichen Herausford­erungen durch „America First“und den Brexit mit „unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten“reagieren.

Wo bleiben in dieser geostrateg­ischen Skizze, die künftig drei große Kräfte – die USA, China und die EU – an die Wand malt, die Ränder Europas? „Wir müssen langfristi­g das Verhältnis zu unseren Nachbarn Russland und Türkei verbessern. Es geht dabei um die Stabilität in Osteuropa, im Kaukasus, in Nahost und Nordafrika. Wir müssen verhindern, dass Russland und die Türkei in Richtung China abdriften.“

Als „Fraktionsv­orsitzende­r der PutinVerst­eher“, wie sich der Duz-Freund des russischen Präsidente­n und Gazprom-Lobbyist selbstiron­isch charakteri­sierte, hat Schröder Gefallen an Sebastian Kurz gefunden. Österreich­s Kanzler hatte sich jüngst in Moskau für eine schrittwei­sen Abbau der Sanktionen eingesetzt. Für den deutschen Altkanzler gehört es zum Rüstzeug eines Politikers, der Realität ins Auge zu sehen: „Ich glaube nicht, dass die Ukraine die Krim je wieder zurückbeko­mmen wird.“Zuweilen dauert es nur ein wenig länger, bis die Realität einsetzt – wie im Herbst 2005, als Gerhard Schröder seine Niederlage gegen Angela Merkel eingestand.

Wir müssen verhindern, dass Russland und die Türkei in Richtung China abdriften. Gerhard Schröder Deutscher Ex-Kanzler

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[ Parlaments­direktion/Johannes Zinner ] Gerhard Schröder schreibt sich ins Gästebuch des Parlaments ein. Auf Einladung Wolfgang Schüssels hielt der deutsche ExKanzler einen Vortrag über Europas Antwort auf Donald Trump.

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