Wer muss sich hier Kleiderordnungen beugen?
Geschlecht und Garderobe. Ganz in Schwarz wollten Frauen bei den Golden Globes protestieren. Doch uniforme Kleidung ist – zumindest in der europäischen Kultur – die Domäne der Männer. Beschneidet sie deren Freiheit?
Mit einheitlichem Schwarz gegen Sexismus und Ungleichbehandlung protestieren? Oder schränkt diese Uniformierung erst recht die Selbstbestimmung der Frauen ein? Wie wird eine Frau im Scheinwerferlicht dem Motto des – für die kommende Berlinale deklarierten – Manifests „Nobody’s Doll“gerecht? Wie zeigt sie, dass sie niemandes Puppe ist?
Darüber wurde und wird im Gefolge der Metoo-Bewegung diskutiert, auch in der „Presse“. „Alle Frauen sollten sich anziehen, sich bewegen und agieren, wie es ihnen gefällt“, mit diesem Satz wurde an dieser Stelle am Mittwoch eine heimische Regisseurin zitiert. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“beklagte im selben Geist: „Die meisten Stars tragen Abendrobe und folgen auch im vermeintlich unkonventionellen Smoking als Frau dem konventionellen Schönheitsideal – weil sie eben nicht als sie selbst, sondern als Star auftreten.“Und sie fragte: „Warum sollen sich Frauen Kleiderordnungen beugen?“
Spätestens hier darf man eine Gegenfrage stellen: Warum sollen sich Männer Kleiderordnungen beugen? Das Geschlecht, das solchen Zwängen stärker unterworfen ist, ist eindeutig das männliche. Und zwar wird dieser Unterschied umso größer, je wichtiger und feierlicher der Anlass ist. Beim Opernball (und beim Techniker Cercle sowie neuerdings beim Philharmonikerball) gibt es für Männer nur ein mögliches Oberkleid – den Frack – und zwei Farben: schwarz und weiß.
Wobei selbst „black tie“ein Faux-pas wäre, das geht nur zum Smoking. Am schwarzen Mascherl erkennt man beim Opernball die Kellner. Die Krawatte, das einzige Accessoire, in dem der Mann ansonsten in der bürgerlichen Abendkleidung etwas Originalität und Farbe, Stil- und Wahlfreiheit zeigen kann, ist am Höhepunkt der Wiener Ballsaison gestrichen. Frauen dagegen müssen zwar lange Abendkleider tragen, sind aber weder in Farbe noch im Schnitt eingeschränkt. Sie prangen in prächtigen Roben, wie es die Ballberichterstatter gern ausdrücken. Über die Bekleidung der Männer gibt es nichts zu berichten. Die einzige Ausnahme von der Uniformierung, die ihnen erlaubt ist, ist – die Uniform.
Das wäre auch schon ein naiver Ansatz für die Erklärung der strengen Herrenkleidung: dass sie im Militärischen ihren Ursprung habe. Im Kriegswesen sollen Unterschiede zwischen den Individuen ja mög- lichst wenig sichtbar sein – mit Ausnahme des Ranges natürlich, der beim Militär durch Sterne und Streifen, beim Opernball durch Orden demonstriert wird.
Kaum begründen lässt sich dieser Geschlechterunterschied aus der Biologie. Im Gegenteil: Zu den Besonderheiten, die den Menschen aus dem Tierreich erheben, zählt, dass bei uns nicht die Männer das geschmückte, das bunte Geschlecht sind. Bei Fischen oder Vögeln etwa erkennt man oft die Männchen an den starken Farben und Mustern, mit ihnen werben sie um die Weibchen, die meist eher unauffällig bleiben. Auch Geweihe und Kämme, Hörner und Räder sind männliche Accessoires; die bunten Hintern bei Affenweibchen sind kein gutes Gegenbeispiel, sie dienen als Sexualsignale.
Sind die originellen Gewänder der Frauen ursprünglich aus Sexualsignalen entstanden? Oder zeigen im Patriarchat die Männer ihren Status durch den Schmuck ihrer Frauen? Ist es gar ein Zeichen der Frauenunterdrückung, dass die Männer so karg und fad im Äußeren sind – und damit den Frauen erstens optische Freuden und zweitens Kriterien, die ihre Wahl beeinflussen könnten, nicht gönnen? Man kann nur spekulieren. Es scheint auch, dass die Tendenz zur festlichen Uniformierung der Männer in der europäischen Kultur am größten ist.
Vielleicht sogar typisch für sie? Dass das Aufkommen der Popkultur in den Sixties als so revolutionär empfunden wurde, lag auch daran, dass sich junge Männer ihrer grauen, einheitlich geschnittenen Anzüge entledigten – und in bunte, bald enge, bald weite Gewänder schlüpften, sich schmückten, gar schminkten. „People stared at the make-up on his face, laughed at his long black hair, his animal grace“, sang David Bowie 1972 in „Lady Stardust“, am Zenit des Glam Rock.
Hat diese Verweiblichung – als solche wurde das damals empfunden – des männlichen Äußeren einen Fortschritt für die Frauenemanzipation gebracht? Nein, urteilt Simon Reynolds in seinem essenziellen Buch „Glam“: „Wenn männliche Popstars die femininen Hoheitsgebiete Schmuck und Mode für sich vereinnahmten, war das nicht per se ein Zeichen für eine respektvolle Haltung gegenüber Frauen. Es war eine Erweiterung ihrer Selbstgefälligkeit, ein neues Herrschaftsgebiet für das männliche Ego.“
Und die feierliche Pflicht zur weißen Fliege bleibt den Männern doch.