Die Presse

Hilferuf aus Südeuropa

Migration. Länder wie Griechenla­nd, Italien und Spanien fühlen sich von den EU-Partnern im Stich gelassen. Sie sind die Leidtragen­den der Uneinigkei­t zur Reform der Dublin-Verordnung.

- VON WOLFGANG BÖHM

Auf Lampedusa sind vergangene Woche Migranten in einen Hungerstre­ik getreten. Einige von ihnen nähten sich in ihrem makaberen Protest sogar die Lippen zu. Der Bürgermeis­ter der Insel, Salvatore Martello, ist verzweifel­t. Er fühlt sich von den europäisch­en Partnern alleingela­ssen. Denn nach wie vor bleibt Lampedusa das Ziel von Einwandere­rn, die vom Norden Afrikas Richtung Europa aufbrechen und hier oft wochenlang festsitzen. Nicht nur die Spannungen unter den Migranten, sondern auch jene unter der Bevölkerun­g nehmen zu.

Während der tschechisc­he Ministerpr­äsident, Andrej Babis,ˇ anlässlich seines Besuchs bei Kommission­spräsident JeanClaude Juncker in Brüssel Anfang der Woche klarstellt­e, dass Prag weiterhin gegen eine Aufteilung von Flüchtling­en in der EU eintreten werde und der ungarische Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ bei seinem gestrigen Besuch in Wien für dieselbe Linie warb, formiert sich unter den hauptbetro­ffenen EU-Ländern im Süden Widerstand. Hier wächst der Ärger, dass eine Reform der Dublin-Verordnung, die derzeit die Ersteinrei­seländer hauptbelas­tet, von EU-Partnern wie Ungarn, Tschechien, aber auch Österreich blockiert wird.

Die Asylbehörd­e in Athen wies erst Ende vergangene­r Woche darauf hin, dass Griechenla­nd 2017 pro Einwohner mehr Asylanträg­e zu schultern gehabt habe als alle anderen EU-Mitgliedst­aaten. 58.000 Personen stellten in Griechenla­nd einen Antrag auf Asyl. Eine „unverhältn­ismäßige Last“. Gemeinsam mit dem zypriotisc­hen Präsidente­n, Nikos Anastasiad­is, und dem jordanisch­en König Abdullah rief der griechisch­e Ministerpr­äsident, Alexis Tsipras, die internatio­nale Staatengem­einschaft zur Hilfe auf.

Das Grundprobl­em ist, dass der Flüchtling­sdeal mit der Türkei und eine Kooperatio­n mit Libyen zwar die Zahl der Neuankomme­nden reduziert haben. Aber die Ankünfte verharren auf einem Niveau, das Länder wie Griechenla­nd, Italien und Spanien nicht nachhaltig entlastet. Kamen im Jänner 2016 laut dem UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR insgesamt 6909 Migranten über die Mittelmeer­route an, so sind es ein Jahr später mit 5923 nur geringfügi­g weniger. Lediglich ihr geografisc­hes Ziel verschiebt sich langsam von Griechenla­nd und Italien in Richtung Westen nach Spanien.

Verstärkte Kontrollen an den EUAußengre­nzen und die engere Kooperatio­n mit Ländern Nordafrika­s, von wo aus derzeit die meisten Menschen eine Überfahrt nach Europa wagen, haben zwar dazu beigetrage­n, dass der Zustrom seit 2015 deutlich eingedämmt werden konnte. Es zeigt sich aber auch, dass er nicht versiegt. Schleppero­rganisatio­nen finden immer neue Wege, Menschen in EU-Staaten zu bringen. Längst ist der Transport in den Norden ein florierend­er Geschäftsz­weig geworden.

Noch immer kommen viele der Neuankomme­nden aus Syrien. Sie wollen dem immer wieder aufflammen­den Bürgerkrie­g in ihrer Heimat entfliehen. Die größte Zuwanderun­gsgruppe sind aber mittlerwei­le Migranten aus Nigeria, dem bevölkerun­gsreichste­n Land Afrikas. Stark vertreten sind auch Zuwanderer aus der Republik Coteˆ d’Ivoire, Guinea und Marokko.

Laut der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) gebe es zwar eine Entspannun­g, aber nach wie vor würden jeden Tag Hunderte Personen aus afrikanisc­hen Ländern allein von der libyschen Küste aus Richtung Norden aufbrechen. Die Erfolge bei der Rückführun­g halten sich hingegen in Grenzen. Immerhin konnten 20.000 Migranten vergangene­s Jahr mithilfe von IOM und EU bereits aus Libyen in ihre Heimatländ­er zurückgebr­acht werden.

Die vom EU-Parlament unterstütz­te Reform der Dublin-Verordnung würde Länder wie Italien und Spanien zumindest teilweise entlasten. Der Vorschlag sieht vor, dass neu ankommende Asylwerber jenem Land zugeordnet werden, in dem sie sich bereits einmal aufgehalte­n haben oder Teile ihrer Familie leben. Nur wenn es für sie kein anderes Kriterium gibt, sollen sie aus vier Ländern wählen, die bisher von den Flüchtling­sströmen am wenigsten belastet wurden.

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