Hilferuf aus Südeuropa
Migration. Länder wie Griechenland, Italien und Spanien fühlen sich von den EU-Partnern im Stich gelassen. Sie sind die Leidtragenden der Uneinigkeit zur Reform der Dublin-Verordnung.
Auf Lampedusa sind vergangene Woche Migranten in einen Hungerstreik getreten. Einige von ihnen nähten sich in ihrem makaberen Protest sogar die Lippen zu. Der Bürgermeister der Insel, Salvatore Martello, ist verzweifelt. Er fühlt sich von den europäischen Partnern alleingelassen. Denn nach wie vor bleibt Lampedusa das Ziel von Einwanderern, die vom Norden Afrikas Richtung Europa aufbrechen und hier oft wochenlang festsitzen. Nicht nur die Spannungen unter den Migranten, sondern auch jene unter der Bevölkerung nehmen zu.
Während der tschechische Ministerpräsident, Andrej Babis,ˇ anlässlich seines Besuchs bei Kommissionspräsident JeanClaude Juncker in Brüssel Anfang der Woche klarstellte, dass Prag weiterhin gegen eine Aufteilung von Flüchtlingen in der EU eintreten werde und der ungarische Ministerpräsident, Viktor Orban,´ bei seinem gestrigen Besuch in Wien für dieselbe Linie warb, formiert sich unter den hauptbetroffenen EU-Ländern im Süden Widerstand. Hier wächst der Ärger, dass eine Reform der Dublin-Verordnung, die derzeit die Ersteinreiseländer hauptbelastet, von EU-Partnern wie Ungarn, Tschechien, aber auch Österreich blockiert wird.
Die Asylbehörde in Athen wies erst Ende vergangener Woche darauf hin, dass Griechenland 2017 pro Einwohner mehr Asylanträge zu schultern gehabt habe als alle anderen EU-Mitgliedstaaten. 58.000 Personen stellten in Griechenland einen Antrag auf Asyl. Eine „unverhältnismäßige Last“. Gemeinsam mit dem zypriotischen Präsidenten, Nikos Anastasiadis, und dem jordanischen König Abdullah rief der griechische Ministerpräsident, Alexis Tsipras, die internationale Staatengemeinschaft zur Hilfe auf.
Das Grundproblem ist, dass der Flüchtlingsdeal mit der Türkei und eine Kooperation mit Libyen zwar die Zahl der Neuankommenden reduziert haben. Aber die Ankünfte verharren auf einem Niveau, das Länder wie Griechenland, Italien und Spanien nicht nachhaltig entlastet. Kamen im Jänner 2016 laut dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR insgesamt 6909 Migranten über die Mittelmeerroute an, so sind es ein Jahr später mit 5923 nur geringfügig weniger. Lediglich ihr geografisches Ziel verschiebt sich langsam von Griechenland und Italien in Richtung Westen nach Spanien.
Verstärkte Kontrollen an den EUAußengrenzen und die engere Kooperation mit Ländern Nordafrikas, von wo aus derzeit die meisten Menschen eine Überfahrt nach Europa wagen, haben zwar dazu beigetragen, dass der Zustrom seit 2015 deutlich eingedämmt werden konnte. Es zeigt sich aber auch, dass er nicht versiegt. Schlepperorganisationen finden immer neue Wege, Menschen in EU-Staaten zu bringen. Längst ist der Transport in den Norden ein florierender Geschäftszweig geworden.
Noch immer kommen viele der Neuankommenden aus Syrien. Sie wollen dem immer wieder aufflammenden Bürgerkrieg in ihrer Heimat entfliehen. Die größte Zuwanderungsgruppe sind aber mittlerweile Migranten aus Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Stark vertreten sind auch Zuwanderer aus der Republik Coteˆ d’Ivoire, Guinea und Marokko.
Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gebe es zwar eine Entspannung, aber nach wie vor würden jeden Tag Hunderte Personen aus afrikanischen Ländern allein von der libyschen Küste aus Richtung Norden aufbrechen. Die Erfolge bei der Rückführung halten sich hingegen in Grenzen. Immerhin konnten 20.000 Migranten vergangenes Jahr mithilfe von IOM und EU bereits aus Libyen in ihre Heimatländer zurückgebracht werden.
Die vom EU-Parlament unterstützte Reform der Dublin-Verordnung würde Länder wie Italien und Spanien zumindest teilweise entlasten. Der Vorschlag sieht vor, dass neu ankommende Asylwerber jenem Land zugeordnet werden, in dem sie sich bereits einmal aufgehalten haben oder Teile ihrer Familie leben. Nur wenn es für sie kein anderes Kriterium gibt, sollen sie aus vier Ländern wählen, die bisher von den Flüchtlingsströmen am wenigsten belastet wurden.