Ja, doch, Rock ’n’ Roll war ein wilder Supermachoverein
Popmusik sei „sehr mädchenhaft“geworden, sagte U2-Sänger Bono in einem Interview – und löste damit einige Empörung aus.
„Angry young men“haben den Rock ’n’ Roll dominiert – ob mit Gitarren oder ohne.
You and I are rock ’n’ roll“, ruft Paul Hewson vulgo Bono in letzter Zeit gern, und er macht sich auch Gedanken darüber. „In the end, what is rock ’n’ roll?“, fragte er im Interview mit dem „Rolling Stone“– und gab gleich selbst die Antwort: „Rage is at the heart of it.“
Damit können wohl auch all jene leben, die dem guten Bono seit Jahren die Bigotterie vorwerfen, mit der er sich als Ein-Personen-Heilsarmee gebärdet, während er in seinen eigenen Finanzangelegenheiten recht rücksichtslos agiert. Was nun einen Sturm im Internet ausgelöst hat, ist, dass Bono die Wut offenbar direkt mit Männ- lichkeit assoziiert: „I think music has gotten very girly“, sagte er. Das habe sein Gutes, aber Hip-Hop sei derzeit der einzige Platz für den „young male anger“, und das sei nicht gut.
Wie sexistisch ist das denn? Gemach, gemach. Seit das Stück „Look Back in Anger“uraufgeführt wurde – das war im Jahr 1956, das traditionell als Geburtsjahr des Rock ’n’ Roll gilt –, spricht man von „Angry young men“. Natürlich kamen mit den Jahren zornige junge Frauen dazu, aber es ist unbestreitbar, dass der Rock ’n’ Roll und die davon abgeleitete Popmusik bis tief in die Sechzigerjahre männlich dominiert waren. (Und übrigens, man denke nur an „Hey Joe“oder Stones-Songs wie „Under My Thumb“, bisweilen explizit frauenfeindlich.) Ja, auch zu dieser Regel gab es Ausnahmen, etwa die Gospel- und Bluessängerin und -gitarristin Rosetta Tharpe. Die „Süddeutsche Zeitung“nennt sie nun eine „Rock’n’Roll-Pionierin“, die nicht ins „Bild vom wilden Supermachoverein namens Rock ’n’ Roll“gepasst habe, und verwendet sie als Zeugin der Anklage gegen Bono, dem eine „simple Rechnung“unterstellt wird: „Gitarrenvirtuosität gleich Männersache gleich Prädikat besonders wertvoll“.
Gewiss, Bono hat schon viel Unsinn gesagt, aber das hat er nicht gesagt. In der inkriminierten Interviewpassage kommt die Gitarre nur kurz in Verbindung mit dem „anger“vor („You need to find a place for it and for guitars“). Doch dass der spezifisch jungmännliche Zorn aus der gitarrendominierten Popmusik weitgehend verschwunden ist, ob man das gut fin- det oder nicht, ist eine Tatsache; Bono ist beileibe nicht der Erste, der das konstatiert. Etliche seiner Kritiker werfen ihm nun vor, dass er überhaupt Geschlechterunterschiede mache, so liest man auf „Noisey“: „Testosteron ist nicht das Lebensblut der Gitarrenmusik – war es auch nie, Gott sei Dank.“
Nun, das lässt sich heute vielleicht postulieren. Aber wenn es auch rückblickend gelten soll, muss man die Popgeschichte gehörig umschreiben. Wobei schon eine Menge an Songtiteln – „Mannish Boy“, „I’m A Man“, „I’m A Boy“, „Young Man Blues“, „It’s A Man’s Man’s Man’s World“etc. – zu tilgen wären. Das U2-Album „Boy“sowieso. „Girls Just Want To Have Fun“auch gleich, man weiß ja nie.