Die Presse

Ja, doch, Rock ’n’ Roll war ein wilder Supermacho­verein

Popmusik sei „sehr mädchenhaf­t“geworden, sagte U2-Sänger Bono in einem Interview – und löste damit einige Empörung aus.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

„Angry young men“haben den Rock ’n’ Roll dominiert – ob mit Gitarren oder ohne.

You and I are rock ’n’ roll“, ruft Paul Hewson vulgo Bono in letzter Zeit gern, und er macht sich auch Gedanken darüber. „In the end, what is rock ’n’ roll?“, fragte er im Interview mit dem „Rolling Stone“– und gab gleich selbst die Antwort: „Rage is at the heart of it.“

Damit können wohl auch all jene leben, die dem guten Bono seit Jahren die Bigotterie vorwerfen, mit der er sich als Ein-Personen-Heilsarmee gebärdet, während er in seinen eigenen Finanzange­legenheite­n recht rücksichts­los agiert. Was nun einen Sturm im Internet ausgelöst hat, ist, dass Bono die Wut offenbar direkt mit Männ- lichkeit assoziiert: „I think music has gotten very girly“, sagte er. Das habe sein Gutes, aber Hip-Hop sei derzeit der einzige Platz für den „young male anger“, und das sei nicht gut.

Wie sexistisch ist das denn? Gemach, gemach. Seit das Stück „Look Back in Anger“uraufgefüh­rt wurde – das war im Jahr 1956, das traditione­ll als Geburtsjah­r des Rock ’n’ Roll gilt –, spricht man von „Angry young men“. Natürlich kamen mit den Jahren zornige junge Frauen dazu, aber es ist unbestreit­bar, dass der Rock ’n’ Roll und die davon abgeleitet­e Popmusik bis tief in die Sechzigerj­ahre männlich dominiert waren. (Und übrigens, man denke nur an „Hey Joe“oder Stones-Songs wie „Under My Thumb“, bisweilen explizit frauenfein­dlich.) Ja, auch zu dieser Regel gab es Ausnahmen, etwa die Gospel- und Bluessänge­rin und -gitarristi­n Rosetta Tharpe. Die „Süddeutsch­e Zeitung“nennt sie nun eine „Rock’n’Roll-Pionierin“, die nicht ins „Bild vom wilden Supermacho­verein namens Rock ’n’ Roll“gepasst habe, und verwendet sie als Zeugin der Anklage gegen Bono, dem eine „simple Rechnung“unterstell­t wird: „Gitarrenvi­rtuosität gleich Männersach­e gleich Prädikat besonders wertvoll“.

Gewiss, Bono hat schon viel Unsinn gesagt, aber das hat er nicht gesagt. In der inkriminie­rten Interviewp­assage kommt die Gitarre nur kurz in Verbindung mit dem „anger“vor („You need to find a place for it and for guitars“). Doch dass der spezifisch jungmännli­che Zorn aus der gitarrendo­minierten Popmusik weitgehend verschwund­en ist, ob man das gut fin- det oder nicht, ist eine Tatsache; Bono ist beileibe nicht der Erste, der das konstatier­t. Etliche seiner Kritiker werfen ihm nun vor, dass er überhaupt Geschlecht­eruntersch­iede mache, so liest man auf „Noisey“: „Testostero­n ist nicht das Lebensblut der Gitarrenmu­sik – war es auch nie, Gott sei Dank.“

Nun, das lässt sich heute vielleicht postuliere­n. Aber wenn es auch rückblicke­nd gelten soll, muss man die Popgeschic­hte gehörig umschreibe­n. Wobei schon eine Menge an Songtiteln – „Mannish Boy“, „I’m A Man“, „I’m A Boy“, „Young Man Blues“, „It’s A Man’s Man’s Man’s World“etc. – zu tilgen wären. Das U2-Album „Boy“sowieso. „Girls Just Want To Have Fun“auch gleich, man weiß ja nie.

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