Maßarbeit mit Pfeil und Scheibe
Dart. Der scheidende Superstar Phil Taylor hat Dart einst aus den Pubs ins TV gebracht und einem Millionenpublikum serviert. Heute wirft mit Mensur Suljovic ein Österreicher in der Weltspitze mit.
London/Wien. Alle Jahre wieder verwandelt sich der Alexandra Palace im Norden Londons rund um Weihnachten in ein Tollhaus. Dann schlüpfen Erwachsene in die ulkigsten Kostüme und grölen lautstark im Chor; manch einer wähnt sich wohl am Ballermann, der kräftige Bierkonsum und die hohen Temperaturen in der Halle bestärken diesen Eindruck. Die DartWeltmeisterschaft im „Ally Pally“hat sich längst über die Grenzen Großbritanniens hinaus den Ruf einer gewaltigen Party erworben, Tickets für die zweieinhalbwöchigen Veranstaltung waren auch 2017 innerhalb kürzester Zeit verkauft.
Hauptprotagonisten sind aber nicht maskierte Partygäste wie Super Mario, die Teletubbies oder Donald Trump, nein, dieses Großereignis hat einen hochseriösen Hintergrund. Denn auf der Bühne werfen die besten Dartspieler der Welt gnadenlos zielsicher ihre Pfeile gen Scheibe, während im Hintergrund die Dauerbeschallung der Zuschauer stundenlang kein Ende nehmen will. In den englischen Gazetten wurden schon Tage vor WM-Beginn etliche Seiten mit Interviews und Artikeln über die Stars der Szene gefüllt, die Boulevardzeitung „The Sun“betitelte ihre Sonderbeilage in Anleh- nung an Star Wars als „Dart Wars“. Phil Taylor, er bestreitet heuer seine allerletzte Weltmeisterschaft, hat den Sport einst salonfähig und massentauglich gemacht. Der 57-jährige nahm in den Neunzigerjahren eine Pionierrolle ein, seine 16 WM-Titel werden noch lange unerreichbar bleiben. „Phil Taylor hat diesen Sport erschaffen“, sagt der gegenwärtig beste Spieler und prädestinierte Nachfolger Taylors, der Niederländer Michael van Gerwen (28).
Seit geraumer Zeit zur absoluten Weltspitze gehört mit Mensur Suljovic auch ein Österreicher. Der Wiener liegt in der Verdienstrangliste, die zugleich als Weltrangliste dient, auf Platz fünf, er hat in den vergangenen beiden Jahren rund 417.000 Euro Preisgeld eingespielt.
Dart, ein Sport?
Suljovics Aufstieg wurde heuer auch von den heimischen Sportjournalisten honoriert, die ihn hinter Marcel Hirscher, Stefan Kraft, Dominic Thiem und Jakob Pöltl bei der Wahl zu Österreichs Sportler des Jahres auf Rang fünf hievten. Dass mit Erfolg auch Missgunst und manchmal sogar Neid einhergehen, liegt in der Natur der Sache. Snowboard-Ass Benjamin Karl stellte in einem FacebookPosting die Frage, ob Dart wirklich Sport sei. Suljovic kann darüber und über den ewigen Bezug zum Wirtshaussport schon lange nicht mehr lachen. Der gebürtige Serbe wird nicht müde zu betonen, dass er bis zu sechs Stunden täglich trainiere. Die Konzentration hoch zu halten, das irritierend laute Rundherum bei Spielen bestmöglich auszublenden, dafür reicht Talent allein nicht aus. Dart ist ein Präzisionssport, freilich nicht vergleichbar mit Snowboard, die Anforderungen an den Athleten sind natürlich andere, aber unbestritten ebenfalls große.
Während Suljovic in Wien meist noch relativ unbemerkt durch die Straßen ziehen kann, hat seine Popularität in England, dem Mekka des Dartsports, bereits höhere Sphären erreicht. Immer häufiger wird der 45-Jährige um Autogramme und Fotos gebeten. Dass der gelernte Maschinenschlosser einmal einer der weltbesten Dartspieler sein würde, ist im Grunde nichts anderes als eine glückliche Fügung des Schicksals. Als sein Bruder vor 23 Jahren in einem Wiener Kaffeehaus einen Spielpartner benötigte, erklärte sich Mensur Suljovic kurzerhand bereit. Und er bewies auf Anhieb Geschick. „Irgendwann war ich so gut, dass keiner mehr gegen mich spielen wollte. Dass ich das Spiel heute aber so gut beherrsche, hätte ich selbst nie gedacht.“