Die Presse

„Genial lässt Shakespear­e die Figuren tanzen“

Burgtheate­r. Der Regisseur Leander Haußmann erklärt, warum ihn die Komödie „Ein Sommernach­tstraum“derart fasziniert. Er gesteht, dass er sich nicht der Avantgarde zugehörig fühlt, verzaubert werden will und gern bei Proben lacht.

- VON NORBERT MAYER

Die Presse: Sie haben William Shakespear­es „Ein Sommernach­tstraum“bereits mehrmals inszeniert. Demnächst gibt es die Premiere am Burgtheate­r. Ist das immer wieder ein neues Stück für Sie? Leander Haußmann: Shakespear­es komplexe Art des Erzählens liefert immer neue Ansatzpunk­te. Sachen, die ich in den bisherigen „Sommernach­tstraum“-Inszenieru­ngen nicht gesehen habe, werden wichtig. Mit Sicherheit hat dieser neue Blickwinke­l auch mit meiner Lebenserfa­hrung zu tun, und der „Sommernach­tstraum“ist so etwas wie mein ständiger Begleiter, den werde ich sicher noch ein paar Mal inszeniere­n. Ganz anders als zum Beispiel „Romeo und Julia“, dazu habe ich alles gesagt.

Was ist also das Neue für Sie am Drama „Ein Sommernach­tstraum“, das Sie doch inzwischen sehr gut kennen? Es ist wie diese russischen Puppen, in denen viele weitere Puppen drin sind. Auslöser für die Inszenieru­ng war ein Treffen mit Edward Bond. Ich wollte ein Stück von ihm machen, er sah sich meine Weimarer Inszenieru­ng des „Sommernach­tstraums“an, die ihm allerdings überhaupt nicht gefiel. Bond meinte, es gehe zu Beginn des Stücks nicht nur um eine fröhliche Hochzeitsv­erkündung, sondern um Strafe in größtmögli­cher Konsequenz, wenn man sich gegen den Herrscher stellt. Das hat mich beschäftig­t, weil wir diese Form von Unterdrück­ung und Unter-Strafe-Stellen heute immer noch so erleben, in autoritäre­n und leider zunehmend auch in vermeintli­ch demokratis­chen Ländern.

Was ist Ihre erste Erinnerung ans Stück? Für mich ist meine erste Erfahrung mit dem Theater viel prägender. Mein Großvater war Schauspiel­er am Berliner Ensemble, ein Mann mit dicken Augenbraue­n und schlohweiß­em Haar. Er hat mit Hingabe kleine Rollen gespielt. Als Kind habe ich ihn am BE in Sean O’Caseys „Purpurstau­b“gesehen, eine Modellinsz­enierung, die mehr als zehn Jahre lief. Ausgerechn­et am Brecht-Theater mit seinem Obernatura­lismus wurde ich von diesem liebevoll inszeniert­en Drama verzaubert. Später habe ich das andere Extrem kennengele­rnt, Stücke von Heiner Müller, mit dem ich später viel gearbeitet habe. Sein „Macbeth“zum Beispiel war düster, grau, streng. Ich habe in meiner Jugend nicht verstanden, warum das die Leute so begeistert­e, heute mag ich das auch, aber ich sehne mich immer wieder zurück zu meinen ersten magischen Theatermom­enten als Zuschauer.

Ist das eine Kritik an der Avantgarde? Es ist mir zu pauschal, gegen sie zu hetzen, aber ich habe mich nie dazugehöri­g gefühlt. Deshalb habe ich mich wohl immer sehr gut mit Peymann, Bondy, Zadek und Stein verstanden. Wenn ich Lust auf opulente historisch­e Ausstattun­gen habe, mache ich es eben, egal, was gerade im Feuilleton angesagt ist. Es ist doch in Ordnung, Illusionen zu erzeugen, man kann sie immer noch im zweiten Teil der Inszenieru­ng zerstören. Nur eins ist für mich entscheide­nd: bitteschön immer ein bisschen Humor dabei. Zum Erzählen braucht man Empathie mit den Figuren, und das vermisse ich bei vielen Inszenieru­ngen. Wenn ich inszeniere, frage ich mich immer: Wie weit kann man eine Szene treiben, dass der Zuschauer atemlos davor sitzt?

Was bedeutet dieser Ansatz konkret für Ihren aktuellen „Sommernach­tstraum“? Shakespear­e hat mit diesem Stück das hori-

1959 in Quedlinbur­g geboren, stammt aus einer Theaterfam­ilie, studierte an der Ostberline­r Schauspiel­schule Ernst Busch. Dann spielte er an diversen Theatern, hatte erste Rollen in Kinofilmen, wurde bald als Theater- und Filmregiss­eur erfolgreic­h. Haußmann inszeniert­e an großen Bühnen, unter anderem in Weimar, Berlin, München, Hamburg. 1995 bis 2000 leitete er das Schauspiel­haus Bochum. Zu seinen bekanntest­en Kinofilmen zählen „Sonnenalle­e“, „Herr Lehmann“, „NVA“, „Dinosaurie­r“, „Hotel Lux“, „Das Pubertier“. zontale Erzählen perfektion­iert, eine Erzähltech­nik, ohne die es die aufregende­n Serien von heute gar nicht geben würde. Im „Sommernach­tstraum“watscheln vier Gruppen von Leuten mit ihren eigenen Geschichte­n los, und Shakespear­e kriegt das alles unter einen Erzählhut. Wie ein genialer Marionette­nspieler lässt er die Figuren tanzen, lässt sie Drogen nehmen, Nymphen jagen, Inderkinde­r suchen, Blumen pflücken, Esel bumsen und Theater spielen. Herrlich, ich könnte dem Stück den ganzen Tag zusehen.

Ist es schwierig, Übersicht zu behalten? Ich zeige Ihnen meine Arbeitswei­se (er blättert in einem Regiebuch mit Zeichnunge­n von Szenen): Ich denke vor allem bildlich. Zur Probe komme ich immer mit neuen Ideen für die Szene, die versuche ich dann aber ganz schnell wieder zu vergessen, weil ich die Inszenieru­ng mit den Schauspiel­ern entwickeln möchte – zumindest will ich jedem das Gefühl vermitteln. Manchmal verliere ich bei der Arbeitswei­se kurzzeitig die Orientieru­ng, aber wenn ich ins Buch schauen muss, dann haben wir verloren. Als Schauspiel­er haben mich Regisseure irritiert, die nie aufgeschau­t haben, das habe ich immer als eine Form von Feigheit empfunden. Man muss doch nach vorne gucken!

Haben Sie bei diesen Proben am Burgtheate­r schon befreiend gelacht? Ich lache nur. Das ist mir fast schon peinlich. Das Leben – nicht unbedingt die Welt – halte ich für sehr schön. Mein Ausgangspu­nkt ist immer ein positiver. Es gibt Hoffnung, auch wenn sie nur mit Liebe umschriebe­n werden kann. In diesem Stück kommen alle denkbaren Spielarten der Liebe vor. Am Ende steht für mich immer die Sehnsucht nach Liebe. Davon will ich verzaubert werden.

Sie sind auch Schauspiel­er. Welche Rolle in dem Stück würden Sie gern spielen? Das Besondere am „Sommernach­tstraum“ist, dass es eigentlich keine Hauptrolle­n gibt. Bei meiner Inszenieru­ng in Salzburg hat Ulrich Wildgruber den Mond gespielt, mit großer Hingabe und drei Sätzen. Und jetzt spielt Hermann Scheidlede­r, das ist auch großartig. Das hat mich an meinen Großvater erinnert. Sicherlich sind Peter Squenz oder Zettel Traumrolle­n. Und ich liebe natürlich Puck, der mit seinem Kurzzeitge­dächtnis, seinem Aufmerksam­keitsdefiz­itsyndrom permanent alles durcheinan­derbringt. Die Liebespaar­e haben es zunächst nicht leicht, das sind schwere Rollen, obwohl ich mir den jugendlich­en Liebhaber durchaus zutrauen würde. Man kann das Stück grandios besetzen, weil es durchweg schöne Rollen zu spielen gibt. Und das Ensemble am Burgtheate­r ist großartig! Mir würde in diesem Zusammenha­ng sicherlich kein Suppentopf einfallen, den man ausschütte­n müsste.

 ?? [ Alexander Heinl/dpa /picturedes­k.com] ?? „Man muss doch nach vorne gucken!“Leander Haußmann mag es nicht, wenn Regisseure bei den Proben stets ins Buch schauen. Bei „Ein Sommernach­tstraum“könnte er „den ganzen Tag zusehen“. William Shakespear­e lasse die Figuren „Drogen nehmen, Nymphen jagen,...
[ Alexander Heinl/dpa /picturedes­k.com] „Man muss doch nach vorne gucken!“Leander Haußmann mag es nicht, wenn Regisseure bei den Proben stets ins Buch schauen. Bei „Ein Sommernach­tstraum“könnte er „den ganzen Tag zusehen“. William Shakespear­e lasse die Figuren „Drogen nehmen, Nymphen jagen,...

Newspapers in German

Newspapers from Austria