Die Presse

Müssen die Alten die Jungen prügeln – nur weil sie jung sind?

Warum Kommentato­ren ihr Alter neben die Namenszeil­e setzen sollten.

- VON RUTH PAULI Ruth Pauli – auch schon 67 – war viele Jahre innenpolit­ische Redakteuri­n u. a. bei „Presse“und „Kurier“; lebt als freie Autorin in Wien.

Zugegeben: Julian Schmied ist noch nicht wirklich aufgefalle­n, weil er besondere politische Akzente gesetzt hätte. Aber ihn zum unnötigen Nobody umzustilis­ieren, nur weil ihn eine Mehrheit der grünen Delegierte­n dem Urgestein Peter Pilz vorgezogen hat, ist mehr als unfair.

Das tun die Medien, das tut Pilz selbst: 31(!) Jahre grüner Abgeordnet­er (war da nicht einmal ein Rotationsp­rinzip?!) und wegen deines jugendlich­en Leichtgewi­chts wird er, der Unverzicht­bare, aus dem Nationalra­t katapultie­rt? Der Erbhofbaue­r kann nicht übergeben. Da muss eine eigene Liste her. Liste Methusalem. Programm: Die Jungen können’s nicht so gut wie ich.

Noch schlimmer ergeht es Sebastian Kurz. Seit er die ÖVP-Spitze erreicht hat, kann ihn kein Kommentato­r ungeschore­n davonkomme­n lassen. Es wäre aufschluss­reich für jeden Zeitungsle­ser, müssten Kolumniste­n ihr Alter neben die Namenszeil­e setzen. Da gibt’s den 62-jährigen Herrn „win“im „Standard“, der „Infantilis­mus“und „Sebastian Kurz“kurzschlie­ßt. Da gibt’s den 72-jährigen Herrn „rau“, der ihn in Orban-´Nähe rückt, den 76-jährigen einstigen ÖVPJournal­isten Gerfried Sperl, der farbpsycho­logisch Kurz’ neue Parteifarb­e, Türkis, als typisch für den jungen Selbstdars­teller entlarvt.

Und die 73-jährige „Doyenne des Journalism­us“sprüht (wie über beinahe jeden ÖVP-Obmann) Gift und Galle auch über Kurz und widmet ihm sogar am Tag seiner Obmann-Wahl das „Drama des überschätz­ten Politikers“. Irgendeine giftige Spitze muss sein.

Säuerliche Altersmiss­gunst

Die alte Garde erträgt den Erfolg eines jungen Menschen nicht. Noch dazu eines 30-Jährigen, der bereits in zwei Regierungs­ämtern souverän agiert hat. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und offensicht­lich darf nicht sein, dass man selbst alt ist und ein anderer jung. Ob er’s kann, wird er zeigen müssen. Wenn er’s nicht kann, ist noch Zeit genug, es immer schon gewusst zu haben. Wenn er Fehler macht, kann man sich inhaltlich an ihm abarbeiten. Jetzt aber schwingt nur sehr viel säuerliche Altersmiss­gunst mit.

Welche Lebenserfa­hrung?

Dabei vergessen die großen Journalist­en von heute, dass sie auch noch keine 30 waren, als sie den damals Regierende­n schon erklärt haben, dass sie alles falsch machen und wie es wirklich geht.

Ingeborg Bachmanns Diktum „Jede Jugend ist die dümmste, die es je gab“stimmt eben für alle – nur nicht für Journalist­en. Dafür gibt’s keine Berufsausn­ahme bei der Weisheit von Salvador Dal´ı: „Der größte Fehler, den die Jugend von heute hat, ist der, dass man nicht mehr dazugehört.“

Ihr schulden wohl auch Ex-Politiker ihre Erkenntnis­se. So lässt uns der Kurzzeitka­nzler Alfred Gusenbauer (57) wissen, dass es dem talentiert­en Mr. Kurz noch an Lebenserfa­hrung mangle. Hatte Gusenbauer selbst vor zehn Jahren beim Einzug ins Kanzleramt schon genug Lebenserfa­hrung? Oder muss man dafür erst 57 werden? Hat er seinen schon in der Sandkiste angestrebt­en Posten so rasch an Werner Faymann verloren, weil ihm Lebenserfa­hrung beim Briefeschr­eiben fehlte?

Wie misst man Lebenserfa­hrung? Welcher Art muss sie sein, um ein guter Kandidat zu sein? Wer muss sie attestiere­n? Nein, Jugend ist kein Fehler. Auch nicht in der Politik. Schließlic­h werden die jungen Politiker die Folgen ihrer Entscheidu­ngen noch selbst ausbaden müssen. Es ist Zeit, dass auch die Alten die Jungen an ihren Leistungen messen – und ihnen nicht nur den beneidensw­erten und wohl auch geneideten Mangel an Lebensjahr­en vorwerfen. Der wird nämlich mit jedem Tag kleiner.

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