Die SPÖ als Unterstand für die Bedrängten?
Österreichs politische Landschaft befindet sich im Umbruch. Die Oppositionsparteien stecken in mehr oder weniger großen Krisen, die ÖVP versucht einen Neuanfang. Kann die Sozialdemokratie aus all dem Nutzen ziehen?
Ereignisreiche Zeiten verändern die politische Landschaft Österreichs rasant. Die Oppositionsparteien stecken in mehr oder weniger nachhaltigen Krisen. Das Team Stronach ist demoskopisch schon gar nicht mehr erkennbar, und die Neos spüren den harten Gegenwind ihrer eigenen Überzeugung, dass politische Mandate kein Dauerzustand sind und attraktive Politiker immer auch die Option haben, andere Jobs auszuüben.
Die Grünen reiben sich an ihren eigenen Werten von der demokratischen Durchdringung aller Gesellschaftsbereiche und den Geboten der internen Basisdemokratie auf. Die FPÖ als der große Herausforderer der beiden Regierungsparteien sieht sich auf einmal in der Position der Uralten, was Führungspersonen und Inhalte betrifft – gefangen in pionierhaftem Dilettantismus und programmatischer Impotenz.
Totaloperation der ÖVP
Die ÖVP als langjährige staatstragende Partei hat sich unter ihrem neuen Obmann eine Totaloperation mit ungewissem Ausgang verschrieben und streift ihre christdemokratischen Merkmale zugunsten eines schwer erkennbaren Vexierbildes unerträglicher Beliebigkeit ab. Sie pendelt zwischen ausgebildeter Einbildung und eingebildeter Ausbildung der Akteure. Die dürfen neuerdings alles sein – nur nicht grundsatztreu, älter als 40 und in „ideenlosen bürgerlichen Konstrukten“gebunden; uncool eben.
Die verdienstvolle Bevölkerungsgruppe traditionsorientierter Menschen im Bereich 55+, oft auch regelmäßige Kirchgänger, erkennt sich nur schwer wieder in dieser oberflächlichen Yuppie-Gesellschaft. Auch sind die ausgestrahlten Inhalte zum Begriff „neu“zu schwammig, ohne Grundsatz, nur pragmatisch abgeleitet aus der Lebenserfahrung von 30-Jährigen.
Da geht sich Volkspartei genauso wenig aus wie bisher gelebte Adjektive – ob diese nun liberal, konservativ oder christdemokratisch lauten: heiße Luft statt konkreter Vorstellungen. Nur Nachhaltigkeit ist keine auszumachen. Immerhin nährt das jetzige Agieren ein politisches Strohfeuer.
Kann die Sozialdemokratie aus diesem politischen Zustandsbefund Nutzen ziehen? Es war das Erfolgsgeheimnis von Bruno Kreiskys Sozialdemokratie der 1970erJahre – und das Rezept gegenüber einer damals pointiert christdemokratischen ÖVP –, sich als eine Plattform der Erneuerung und Entstaubung der Republik zu präsentieren.
SPÖ-Alleinregierungen repräsentierten ein weites gesellschaftliches Spektrum mit Persönlichkeiten, die vom ehemaligen NapolaInstruktor Otto Rösch als Verteidigungsminister bis zum pointiert linkssozialistischen Widerstandskämpfer Christian Broda als Justizminister reichten. Damit war das inhaltlich-ideologische Spektrum, das Kreisky mit seinen Kabinetten als Einheit in Vielfalt präsentieren konnte, breiter wohl als die Vielheit der Einfalt, die manche rezente Regierungskollegien, zusammengestellt aus SPÖ und ÖVP, atmeten.
Kreiskys Frischzellenkur
Auch gelang Kreisky in den 1970erJahren, was in die Jahre gekommene Große Koalitionen vorher nicht zusammengebracht hatten: nämlich das Klima für eine prag- matische Zusammenarbeit zwischen den beiden verfeindeten Lagern der unseligen Ersten Republik zu schaffen. In genialem Miteinander mit dem legendären Kardinal König wurde so manche Trennmauer niedergerissen und das Gemeinsame betont.
Aber hätte die SPÖ das noch in den Genen? Was in den 1970erJahren nicht zum Nachteil Österreichs und auch nicht zum Nachteil der SPÖ gelungen ist, wäre wieder gefragt. Schafft es die SPÖ, über zaghafte Bekenntnisse zur Öffnung der Partei hinaus die Tore wirklich zu öffnen?
Die Situation heute ist freilich viel schwieriger: Die institutionelle Sklerose der Parteien – gerade auch der SPÖ nach Jahren des intellektuellen Niedergangs, einer fragmentierten Programmatik und einer schwer zerstrittenen Wiener SPÖ –, das ist es wohl, was Christian Kern meinte, als er am 17. Mai 2016 von Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit sprach. Die Stimmung gehörte in der Tat gedreht.
Ob Kreiskys einstige Frischzellenkur so nachhaltig war, dass eine solche auch in der heutigen SPÖ noch möglich wäre? Sich daran zu erinnern, was möglich war zur Ermöglichung des sozialen Aufstiegs für breite Bevölkerungskreise, würde freilich bedeuten, der Bildung und der Persönlichkeitsentwicklung den gebührenden Stellenwert zu sichern – und sich nicht nur auf regelmäßige Lohnsteigerungen zu konzentrieren.
Flexibilität statt Trägheit
Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe für die SPÖ, eine Plattform zu zimmern, wo anständige und nachdenkliche Menschen zumindest vorübergehend einen Platz finden und damit gemeinsam ein Stück des Weges gehen?
Die Altvorderen der ÖVP bestellen der Christdemokratie in Österreich gerade das Begräbnis, Hunderttausende stehen vor ihrem abgebrannten Haus Volkspartei, das Heimat, Orientierungsund Rückzugsort war. Den Oppositionsparteien mangelt es an vielem, jeder an etwas anderem und summa summarum an allem.
Das wäre eine Gelegenheit für die SPÖ, nicht neue Paläste für vagabundierende Menschen zu bauen, sondern flexible Zelte, die Unterstände bieten, um gemeinsam etwas weiterzubringen. Die SPÖ soll bleiben, was sie war, nämlich ein „Träger“des politischen Systems in Österreich. Und sie sollte nicht noch träger werden – als Folge der eigenen politischen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte.
Wiener Verwaltungskrampf
Die Herausforderung der sozialen Absicherung und die Herausforderung des sozialen Aufstiegs sind in jeder Generation neu zu bewältigen. Bildung, soziale Haltungen wie Pflichtbewusstsein, Solidarität Gerechtigkeit, Verlässlichkeit sind nach wie vor wichtige Tugenden auch für die Politik, um Begriffe wie Familienqualität in der Realität abzusichern.
Konservativen, Liberalen und Christdemokraten in der Stunde der Bedrängnis Unterstand zu bieten ist Assistenzeinsatz an der Demokratie und Generalprobe für die gewünschte Öffnung zugleich. Eine SPÖ, die ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft sucht, hatte einst den Glanz der Ära Kreisky geradezu begründet. Entkrampfung auch zu den Kirchen müsste den SPÖ-Sager „Grüß Gott gibt’s bei uns nicht“vergessen lassen.
Ein Bündnis kompetenter Demokraten, die als Personen untadelig, programmatisch stark, intellektuell kompetitiv sind und in der Österreich- und Europa-Orientierung außer Zweifel stehen, sollte die Zukunft bewältigbar machen. Österreich muss einen Platz im kompetitiven Markt vergleichbar großer EU-Mitgliedstaaten erarbeiten und absichern.
Da gilt es, sich vom Verwaltungskrampf der Wiener Art, mit dem uns die bisherige Regierung langweilte, zu verabschieden und Politik zu gestalten, die das Wort Politik auch verdient.