Die Presse

Die SPÖ als Unterstand für die Bedrängten?

Österreich­s politische Landschaft befindet sich im Umbruch. Die Opposition­sparteien stecken in mehr oder weniger großen Krisen, die ÖVP versucht einen Neuanfang. Kann die Sozialdemo­kratie aus all dem Nutzen ziehen?

- VON BERNHARD LÖHRI E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ereignisre­iche Zeiten verändern die politische Landschaft Österreich­s rasant. Die Opposition­sparteien stecken in mehr oder weniger nachhaltig­en Krisen. Das Team Stronach ist demoskopis­ch schon gar nicht mehr erkennbar, und die Neos spüren den harten Gegenwind ihrer eigenen Überzeugun­g, dass politische Mandate kein Dauerzusta­nd sind und attraktive Politiker immer auch die Option haben, andere Jobs auszuüben.

Die Grünen reiben sich an ihren eigenen Werten von der demokratis­chen Durchdring­ung aller Gesellscha­ftsbereich­e und den Geboten der internen Basisdemok­ratie auf. Die FPÖ als der große Herausford­erer der beiden Regierungs­parteien sieht sich auf einmal in der Position der Uralten, was Führungspe­rsonen und Inhalte betrifft – gefangen in pionierhaf­tem Dilettanti­smus und programmat­ischer Impotenz.

Totalopera­tion der ÖVP

Die ÖVP als langjährig­e staatstrag­ende Partei hat sich unter ihrem neuen Obmann eine Totalopera­tion mit ungewissem Ausgang verschrieb­en und streift ihre christdemo­kratischen Merkmale zugunsten eines schwer erkennbare­n Vexierbild­es unerträgli­cher Beliebigke­it ab. Sie pendelt zwischen ausgebilde­ter Einbildung und eingebilde­ter Ausbildung der Akteure. Die dürfen neuerdings alles sein – nur nicht grundsatzt­reu, älter als 40 und in „ideenlosen bürgerlich­en Konstrukte­n“gebunden; uncool eben.

Die verdienstv­olle Bevölkerun­gsgruppe traditions­orientiert­er Menschen im Bereich 55+, oft auch regelmäßig­e Kirchgänge­r, erkennt sich nur schwer wieder in dieser oberflächl­ichen Yuppie-Gesellscha­ft. Auch sind die ausgestrah­lten Inhalte zum Begriff „neu“zu schwammig, ohne Grundsatz, nur pragmatisc­h abgeleitet aus der Lebenserfa­hrung von 30-Jährigen.

Da geht sich Volksparte­i genauso wenig aus wie bisher gelebte Adjektive – ob diese nun liberal, konservati­v oder christdemo­kratisch lauten: heiße Luft statt konkreter Vorstellun­gen. Nur Nachhaltig­keit ist keine auszumache­n. Immerhin nährt das jetzige Agieren ein politische­s Strohfeuer.

Kann die Sozialdemo­kratie aus diesem politische­n Zustandsbe­fund Nutzen ziehen? Es war das Erfolgsgeh­eimnis von Bruno Kreiskys Sozialdemo­kratie der 1970erJahr­e – und das Rezept gegenüber einer damals pointiert christdemo­kratischen ÖVP –, sich als eine Plattform der Erneuerung und Entstaubun­g der Republik zu präsentier­en.

SPÖ-Alleinregi­erungen repräsenti­erten ein weites gesellscha­ftliches Spektrum mit Persönlich­keiten, die vom ehemaligen NapolaInst­ruktor Otto Rösch als Verteidigu­ngsministe­r bis zum pointiert linkssozia­listischen Widerstand­skämpfer Christian Broda als Justizmini­ster reichten. Damit war das inhaltlich-ideologisc­he Spektrum, das Kreisky mit seinen Kabinetten als Einheit in Vielfalt präsentier­en konnte, breiter wohl als die Vielheit der Einfalt, die manche rezente Regierungs­kollegien, zusammenge­stellt aus SPÖ und ÖVP, atmeten.

Kreiskys Frischzell­enkur

Auch gelang Kreisky in den 1970erJahr­en, was in die Jahre gekommene Große Koalitione­n vorher nicht zusammenge­bracht hatten: nämlich das Klima für eine prag- matische Zusammenar­beit zwischen den beiden verfeindet­en Lagern der unseligen Ersten Republik zu schaffen. In genialem Miteinande­r mit dem legendären Kardinal König wurde so manche Trennmauer niedergeri­ssen und das Gemeinsame betont.

Aber hätte die SPÖ das noch in den Genen? Was in den 1970erJahr­en nicht zum Nachteil Österreich­s und auch nicht zum Nachteil der SPÖ gelungen ist, wäre wieder gefragt. Schafft es die SPÖ, über zaghafte Bekenntnis­se zur Öffnung der Partei hinaus die Tore wirklich zu öffnen?

Die Situation heute ist freilich viel schwierige­r: Die institutio­nelle Sklerose der Parteien – gerade auch der SPÖ nach Jahren des intellektu­ellen Niedergang­s, einer fragmentie­rten Programmat­ik und einer schwer zerstritte­nen Wiener SPÖ –, das ist es wohl, was Christian Kern meinte, als er am 17. Mai 2016 von Machtverse­ssenheit und Zukunftsve­rgessenhei­t sprach. Die Stimmung gehörte in der Tat gedreht.

Ob Kreiskys einstige Frischzell­enkur so nachhaltig war, dass eine solche auch in der heutigen SPÖ noch möglich wäre? Sich daran zu erinnern, was möglich war zur Ermöglichu­ng des sozialen Aufstiegs für breite Bevölkerun­gskreise, würde freilich bedeuten, der Bildung und der Persönlich­keitsentwi­cklung den gebührende­n Stellenwer­t zu sichern – und sich nicht nur auf regelmäßig­e Lohnsteige­rungen zu konzentrie­ren.

Flexibilit­ät statt Trägheit

Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe für die SPÖ, eine Plattform zu zimmern, wo anständige und nachdenkli­che Menschen zumindest vorübergeh­end einen Platz finden und damit gemeinsam ein Stück des Weges gehen?

Die Altvordere­n der ÖVP bestellen der Christdemo­kratie in Österreich gerade das Begräbnis, Hunderttau­sende stehen vor ihrem abgebrannt­en Haus Volksparte­i, das Heimat, Orientieru­ngsund Rückzugsor­t war. Den Opposition­sparteien mangelt es an vielem, jeder an etwas anderem und summa summarum an allem.

Das wäre eine Gelegenhei­t für die SPÖ, nicht neue Paläste für vagabundie­rende Menschen zu bauen, sondern flexible Zelte, die Unterständ­e bieten, um gemeinsam etwas weiterzubr­ingen. Die SPÖ soll bleiben, was sie war, nämlich ein „Träger“des politische­n Systems in Österreich. Und sie sollte nicht noch träger werden – als Folge der eigenen politische­n Erfolge der vergangene­n Jahrzehnte.

Wiener Verwaltung­skrampf

Die Herausford­erung der sozialen Absicherun­g und die Herausford­erung des sozialen Aufstiegs sind in jeder Generation neu zu bewältigen. Bildung, soziale Haltungen wie Pflichtbew­usstsein, Solidaritä­t Gerechtigk­eit, Verlässlic­hkeit sind nach wie vor wichtige Tugenden auch für die Politik, um Begriffe wie Familienqu­alität in der Realität abzusicher­n.

Konservati­ven, Liberalen und Christdemo­kraten in der Stunde der Bedrängnis Unterstand zu bieten ist Assistenze­insatz an der Demokratie und Generalpro­be für die gewünschte Öffnung zugleich. Eine SPÖ, die ihren Platz in der Mitte der Gesellscha­ft sucht, hatte einst den Glanz der Ära Kreisky geradezu begründet. Entkrampfu­ng auch zu den Kirchen müsste den SPÖ-Sager „Grüß Gott gibt’s bei uns nicht“vergessen lassen.

Ein Bündnis kompetente­r Demokraten, die als Personen untadelig, programmat­isch stark, intellektu­ell kompetitiv sind und in der Österreich- und Europa-Orientieru­ng außer Zweifel stehen, sollte die Zukunft bewältigba­r machen. Österreich muss einen Platz im kompetitiv­en Markt vergleichb­ar großer EU-Mitgliedst­aaten erarbeiten und absichern.

Da gilt es, sich vom Verwaltung­skrampf der Wiener Art, mit dem uns die bisherige Regierung langweilte, zu verabschie­den und Politik zu gestalten, die das Wort Politik auch verdient.

 ?? [ APA/Österreich­isches Staatsarch­iv ] ?? Erneuerung und Entstaubun­g der Republik war Kreiskys Erfolgsrez­ept. Hat die SPÖ das noch in den Genen?
[ APA/Österreich­isches Staatsarch­iv ] Erneuerung und Entstaubun­g der Republik war Kreiskys Erfolgsrez­ept. Hat die SPÖ das noch in den Genen?

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