Die Presse

Wie deutsche IS-Kämpfer Christen vertrieben

Reportage. Der Berliner Rapper Denis Cuspert und auch andere Deutsche sollen sich an den Verbrechen gegen Iraks Christen beteiligt haben – bei der Eroberung und Zerstörung der Ortschaft Qaraqosh unweit von Mossul.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER (ERBIL)

Mit im Schoß verschränk­ten Händen sitzt Sabiha Matti auf einer der abgenutzte­n, weiß gestrichen­en Holzliege im Wohnzimmer. Die 59 Jahre alte, magere Frau rutscht mit den Füßen auf dem nackten Betonboden nervös hin und her. Ihr Gesicht von tiefen Furchen durchzogen. „Ich will über sie nicht sprechen, sonst kommen sie wieder“, sagt sie und dreht sich kurz nach links und rechts. Mit „sie“sind die Kämpfer des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) gemeint, die Matti drei Jahre lang gefangen hielten, weil sie an Christus glaubt.

Jeden Tag wurde die Christin geschlagen und mit dem Tode bedroht, weil sie sich weigerte, zum Islam zu konvertier­en. „Wir mussten bei Hinrichtun­gen zusehen“, erzählt sie und fährt mit der Hand quer über ihren Hals. Als eine der letzten der Gefangenen des IS in Mossul wurde die Christin am 29. Juni von der irakischen Armee befreit. Heute hat sie das Gefühl für Zeit verloren und kann sich nur mehr bruchstück­haft erinnern. Geblieben ist der tiefe Schmerz über den Tod ihrer Mutter und ihrer Tante. Beide, weit über 70, waren mit Matti entführt worden und starben in der IS-Gefangensc­haft an Hunger und an den Schlägen.

„Der IS wollte uns Christen versklaven und ausrotten“, sagt Khalis Ayshoa Estaifo, der Leiter von Shlomo. Die in Erbil ansässige Organisati­on hat über 32.000 Zeugenauss­agen über die Untaten der Jihadisten an der christlich­en Bevölkerun­g im Irak gesammelt. Mehrere Meter lang sind die Regale in seinem zum Büro umfunktion­ierten Container am Rande eines Flüchtling­slagers in der autonomen Kurdenregi­on. „Der Tatbestand des Genozids ist erfüllt“, behauptet der groß gewachsene Estaifo. „Die Christen wurden vertrieben, ermordet, entführt und ihre Städte gezielt in Schutt und Asche gelegt.“

Ein deutscher IS-Kämpfer, wahrschein­lich auch mehrere, sollen an diesen Verbrechen im Irak beteiligt gewesen sein. Mit Sicherheit war es Denis Cuspert, der in Berlin als Rapper „Deso Dogg“aufgetrete­n war. Später schloss er sich dem IS an und gab sich den Namen Abu Talha al-Alamni. Beim IS war ein sogenannte­r „Posterboy“: Als Propaganda­figur versuchte er mit Videos von ausgelasse­nen Schneeball­schlachten und Wasserspie­len an einer Bergquelle deutsche Islamisten für das „tolle Leben“beim IS zu begeistern. Später warb er mit Massakern und Hinrichtun­gen für den IS, bis es ruhiger um ihn wurde, nachdem er eine eingeschle­uste FBI-Agentin geheiratet hatte.

Graffiti auf Deutsch

Der Direktor der Schlomo-Dokumentat­ionsstelle zieht sein Handy aus der Jackettasc­he und zeigt zwei Fotos, auf denen Cuspert zu sehen ist. „Nineve Ebene, Qaraqosh“, liest Estaifo den Text unter einem der Bilder vor, das den Deutschen neben einem anderen IS-Kämpfer vor einer grauen Wand zeigt. Qaraqosh ist die größte christlich­e Stadt in der Nineve Ebene und wurde am 6. August vom IS überfallen. Auf dem zweiten Foto steht Cuspert in einem Treppenhau­s, mit Glasgriffe­n am Geländer, rundem Kristallle­uchter an der Decke und einem Gemälde an der Wand. „Ich habe es natürlich sofort erkannt“, sagt Estaifo, „das ist im Haus eines meiner besten Freunde in Qarakosh, ein sehr netter Mensch und von Beruf Anwalt.“

Entdeckt wurde auch ein Graffito in deutscher Sprache in Batnaya, einem vom IS überfallen­en christlich­en Ort. „Oh ihr Kreuzsklav­en, ihr habt keinen Platz in Islamische­nstaat“, wurde auf eine Wand geschriebe­n. „Entweder gehst du raus oder wir töten dich.“Das könnte Cuspert selbst geschriebe­n haben, oder ein anderer Deutscher mit mangelnden Rechtsschr­eibkenntni­ssen. Beim IS waren deutsche Kämpfer in der Regel gemeinsam unterwegs.

Bisher gab es noch keine Indizien, dass Cuspert und andere Deutsche an den mörderisch­en Raubzügen gegen Christen und möglicherw­eise auch Jesiden beteiligt gewesen sein könnten. Nur wenige Tage vor dem Angriff auf christlich­e Ortschafte­n am 6. August hatte die Terrormili­z tausende Mitglieder der jesidische­n Minderheit im Nordirak als Sklaven gefangen. Hunderte wurden ermordet, zehntausen­de konnten sich nur mit letzter Kraft ins Sinjar-Gebirge retten. „Die christlich­e Bevölkerun­g hatte oft nur eine Stunde zur Flucht“, sagt Estaifo. „Aber nach dem Überfall auf die Jesiden wurde keine Sekunde vergeudete­t.“136.000 Christen hatte der IS vertrieben, 250 ermordet und 98 entführt, von denen bis heute noch 62 vermisst sind.

Monatelang­e Gefangensc­haft

Laut Estaifo muss das Bild mit Cuspert in Qaraqosh 2015 aufgenomme­n worden sein. Denn von der Invasion des IS im August 2014 und den Monaten danach gebe es generell keine privaten Bilder der Terroriste­n zu finden. „Was hat der Deutsche dort gemacht?“, fragt Estaifo. „Sicherlich keinen Urlaub.“In vielen christlich­en Orten hielt der IS die Bewohner gefangen und transporti­erte sie erst nach Monaten nach Mossul ab. So blieb auch die 59-jährige Matti ein halbes Jahr in ihrem Haus in Bartela eingesperr­t. Sie überlebte damals nur, weil ein muslimisch­er Nachbar ihr heimlich Lebensmitt­el zuschanzte. Kirchen und andere religiöse Symbole zerstörte der IS sofort. Die systematis­che Vernichtun­g der Häuser erfolgte erst später und fiel in die Zeit, in der Cuspert und andere Deutsche vor Ort waren.

Die Vernichtun­gspolitik gegen alle „Ungläubige­n“passt zum Berliner Rapper und seiner mörderisch­en Ideologie, die er propagiert­e. Er drohte mit Bomben in Berlin, rief zu Anschlägen in Europa auf und schändete Leichen. In seinen Videos sind oft auch andere Deutsche zu sehen.

Der Freund des Österreich­ers

Mit dem Österreich­er Mohamed Mahmoud gründete Cuspert in Deutschlan­d die Organisati­on „Millatu Ibrahim“, die 2012 verboten wurde. Mahmoud war bereits 2007 zusammen mit seiner damaligen Freundin in Österreich verhaftet worden und saß bis 2011 im Gefängnis. Mittlerwei­le sucht ihn Österreich erneut per Haftbefehl.

Sein Freund Cuspert wurde zwei Mal für tot erklärt, aber er scheint noch immer am Leben zu sein. Im Mai veröffentl­ichte der deutsche IS-Medienkana­l al-Hudhud eine Videobotsc­haft Cusperts. Statt der üblichen Brandreden fordert der 31-Jährige Hilfe für Familien getöteter IS-Kämpfer. Diese Botschaft passt zum Zustand des IS. Er ist gerade in Mossul besiegt worden, seine letzte Hochburg in Raqqa ist umzingelt. Er steht militärisc­h vor dem Untergang.

Die Christen haben ihr Vertrauen in die arabisch-muslimisch­en Nachbarn verloren, nachdem einige von ihnen den IS mit offenen Armen empfangen hatten. Schon vor der Existenz des IS sind eine Million Christen aus dem Irak ausgewande­rt. „Alle überlegen heute, wohin sie ihre Söhne und Töchter schicken“, sagt Estaifo. Nur in Europa, Amerika oder Australien seien sie sicher. „Hier ist es nur eine Frage der Zeit bis ein neuer IS kommt. Glauben Sie mir.“

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[ AFP ] Die IS-Herrschaft hinterließ Trümmer. Ein irakischer Soldat der christlich dominierte­n Einheit NPU im befreiten Qaraqosh.

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