Die Presse

Hängt die Verfettung an der (guten) Nase?

Medizin. Die Regulierun­g von Nahrungsin­put und Energieout­put wird immer unübersehb­arer. Nun spielen auch noch der Geruchssin­n und das Immunsyste­m mit, beide auf überrasche­nde Weise.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wenig ist im Körper so fein geregelt wie die Aufnahme und Verwertung von Nahrung: Mit zahllosen Botenstoff­en – Leptin, Ghrelin, Insulin etc. – meldet etwa der Darm an das Gehirn, ob er Bedarf hat oder gesättigt ist. Das brachte bei der Entdeckung jedes einzelnen Botenstoff­s die Hoffnung, man könne mit ihm die „Epidemie der Fettleibig­keit“(Weltgesund­heitsorgan­isation WHO) bekämpfen, die dafür gesorgt hat, dass fast jeder dritte Erdenbürge­r zu viel mit sich herum schleppt. Aber die Hoffnung zerschlug sich regelmäßig: Wenn man einen Hungermeld­er abschaltet, springt ein anderer ein.

Zudem kommen immer neue Spieler hinzu, zuletzt das Immunsyste­m und die Nase. Von der wusste man schon, dass sie bei der Nahrungsau­fnahme mit spielt: Wenn Speisen locken, läuft nicht nur das Wasser im Mund zusammen, auch die Nase wird feiner. Zudem ist bekannt, dass der Verlust des Geruchssin­ns durch Krankheit oder im Alter den Hunger dämpft, weil dann alles gleich schmeckt: fad.

Deshalb erwartete Andrew Dillin (Berkeley), dass es Mäusen den Appetit verschlägt, wenn er ihnen den Geruchssin­n gentechnis­ch abstellt. Das tat es nicht, das war die erste Überraschu­ng. Die zweite war noch größer: Die fehlende Nase machte schlank, selbst bei Futter mit hohem Fettgehalt. Das bot Dillin zwei Gruppen von Mäusen an, die 49 Gramm wogen, die eine hatte einen Geruchssin­n, die andere nicht. Beide bedienten sich in gleichem Maß, aber die mit funktionsf­ähigem Geruchssin­n hielten das Gewicht, bei der anderen sank es, auf 33 Gramm (Cell Metabolism 5. 7.).

Wundersame Wandlung von Fett

Wie das? Mäuse (und Menschen) haben zwei Arten von Körperfett, „weißes“speichert Energie, „rotes“verschleud­ert bzw. verbrennt sie. Und der mangelnde Geruch sorgt dafür, dass weißes Fett in rotes verwandelt wird. Wie ist unklar, man kennt nur den Signalweg, er läuft über den Sympathiku­s, einen Nerv, der das Gehirn mit den Organen verbindet, auch mit dem Darm.

Der ist wohl auch im Spiel, wenn das Immunsyste­m des Gehirns in den Hunger hinein redet. Das besteht aus besonderen Zellen (Mikroglia), sie stellen 10 bis 15 Prozent aller Zellen im Gehirn, auch im Hypothalam­us, in dem Nahrungsin­put und Energieout­put reguliert, im Idealfall im Gleichgewi­cht gehalten werden. Das gerät durcheinan­der, wenn man Mäusen Kost vorsetzt, die Menschen als Fast Food zu sich nehmen. Dann steigt die Zahl der Mikroglia, ihre Aktivität tut es auch, und der Appetit tut es, im Gegenzug sinkt die körperlich­e Aktivität.

Das hat Sunei Koliwad (UC San Francisco) bemerkt, dann hat er die Mikroglia medikament­ös stillgeste­llt: Nun fraßen die Mäuse 15 Prozent weniger und verloren 20 Prozent Gewicht (Cell Metabolism 5 7.). Ob das bei Menschen auch so ist, könnte sich bald zeigen: Ein ähnliches Medikament ist (zu anderen Zwecken) in klinischen Tests.

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