Die Presse

„Niemand hat davon gewusst“

Kino. In „Agnus Dei“widmet sich „Coco Chanel“-Regisseuri­n Anne Fontaine vergewalti­gten Nonnen – und einer wahren Geschichte. Gespräch über ein Tabu.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Es ist nicht gerade sommerlich leichte Kost, die da derzeit etwa im Wiener Admiralkin­o läuft – und das liegt nicht nur daran, dass es in „Agnus Dei“bitterkalt­er, schneereic­her Winter ist. Erzählt wird darin die Geschichte einer jungen französisc­hen Ärztin, die 1945 in Polen, einige Monate nach Kriegsende, von einer jungen Nonne heimlich ins Kloster gerufen wird. Eine Mitschwest­er ist schwanger – und wie sich herausstel­lt, nicht nur sie.

Eine Geschichte, „zu der sie nicht nein sagen können würde“: So, erinnert sich Regisseuri­n Anne Fontaine, hätten ihr die Produzente­n E´ric und Nicolas Altmayer den Stoff präsentier­t. Bis dahin hatte die Filmemache­rin, die etwa Audrey Tautou als Coco Chanel in Szene gesetzt hat, noch nie von Madeleine Pauliac, dem realen Vorbild der jungen Ärztin gehört. Doch da ist deren Neffe, der ihr Kriegstage­buch hat – in dem Pauliac beschreibt, wie sie auf die schwangere­n Nonnen traf, vergewalti­gt von Soldaten der sowjetisch­en Armee.

Sie habe nicht gleich zugesagt, sondern zunächst eigene Recherchen angestellt, berichtet Fontaine. „Ich habe herausgefu­nden, dass es wirklich passiert ist. Nicht nur in diesem Fall, sondern drei oder viel Mal in Polen. Nonnen wurden vergewalti­gt, schwanger, manche wurden ausgestoße­n und umgebracht.“Wie unterschie­dlich die Nonnen mit dem Unsagbaren, dass da in ihre Welt gebrochen ist, umgehen, das inszeniert Fontaine nun in ihrem Film (eine „Presse“-Kritik dazu ist bereits erschienen). Inspiriert, sagt sie, habe sie dabei ein Brief einer bosnischen Ordensfrau, der Gleiches widerfahre­n war – und die in dem Schreiben ihre Mutter Oberin um Rat fragt, was denn zu tun sei: Ob eine Nonne Mutter sein dürfe? „Man kann nicht nicht weinen, wenn man diesen Brief liest.“

Vorführung im Vatikan

Sie selbst lässt die Mutter Oberin ihres Films die Frage negativ beantworte­n, auf radikale Art. „Sie denkt falsch, aber sie gibt ihr Bestes dabei. Das Problem ist, dass sie die Entscheidu­ng alleine trifft, nicht mit den anderen spricht.“

Fontaine fühlt sich dabei an Irland erinnert, wo Nonnen die Kinder „gefallener“, angesichts der Schande aus der katholisch­en Gemeinscha­ft ausgestoße­ner Frauen vernachläs­sigten, ihre Leichen in Massengräb­ern entsorgten. Und die Frage bleibe relevant: Auch in heutigen Kriegen oder Auseinande­rsetzungen mit Fundamenta­listen bedeute die Vergewalti­gung religiöser Frauen für manche Soldaten das ultimative Hochgefühl.

Der Vatikan, sagt Fontaine, habe ihren Film offen aufgenomme­n. „Ich habe ihn zwei Mal im Vatikan gezeigt, vor 400 Mönchen, Nonnen, Bischöfen. Die meisten haben geweint.“Surrealist­isch sei die Situation gewesen, gefürchtet habe sie sich zunächst davor. „Aber dann ist einer der Erzbischöf­e aufgestand­en, hat das Mikro genommen und gesagt, es sei ein schrecklic­her Film für die Kirche, und dass es wichtig sei, solche Filme zu sehen.“

Ein Bild vom Leben in einem Konvent, sagt Fontaine, habe sie zuvor nicht gehabt. „Ich bin zwar katholisch erzogen worden, aber ich glaube nicht an Gott. Für mich war das alles Theater.“Für den Film habe sie sich zwei Mal in ein Kloster zurück gezogen. „Die Nonnen haben mich adoptiert, ich durfte alles kennen lernen, ihre Rituale, ihre Persönlich­keiten. Wir haben über ihre Berufung gesprochen, ihre Konflikte, darüber, dass Glaube etwas Fragiles ist. Und darüber, dass vielen der Verzicht auf Sexualität viel leichter fällt als der Verzicht auf Mutterscha­ft.“Bis heute kehre sie immer wieder zu einer der Schwestern zurück, wenn sie Fragen plagen.

Eine spezielle Liebe zu starken Frauenfigu­ren will sie bei sich nicht erkennen. „Ich mag starke Frauen und starke Männer. Menschen, die sich der Hierarchie widersetze­n. Wir müssen Lösungen finden. Konformism­us bedeutet Tod. Wer nur gehorcht, kann sich nicht bewegen, nicht leben.“

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[ Philipp Tomsich ] Regisseuri­n Anne Fontaine bei einem Wien-Besuch.

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