Judas und die Frau des Pilatus
Komponist. „Ich schreibe aus der Sehnsucht, innere Welten zu teilen“, sagt Christoph Ehrenfellner, dessen neue Kirchenoper „Judas“heute am Festival Retz uraufgeführt wird. Ein Gespräch über musikalisches Erwachen und pikante Töne.
Die neue Kirchenoper von Christoph Ehrenfellner wird heute beim Festival Retz uraufgeführt. Ein Gespräch über pikante Töne.
Die Presse: Herr Ehrenfellner, Sie zählen derzeit zu den meistbeschäftigten Komponisten Österreichs, kürzlich gab es Uraufführungen, unter anderem beim Festival „Loisarte“, am 6. Juli hat Ihre Kirchenoper „Judas“beim Festival in Retz Weltpremiere. Wo würden Sie sich als Komponist im Dickicht der heutigen stilistischen Möglichkeiten einordnen? Christoph Ehrenfellner: Ich würde mich – Bescheidenheit ist nicht meine Zier – als „Klassiker in der Moderne“einordnen. Der Rahmen ist nun mal gebrochen, das ist Segen und Fluch: Jeder von uns darf sich seinen eigenen zusammenbauen. Ich orientiere mich an dem, was nie gebrochen ist: die Tradition unserer Konzertpraxis, das Instrumentarium, die Spielstätten. Ich schreibe aus der Sehnsucht, innere Welten zu teilen. Wer einmal begriffen hat, wie man an die Seele rührt, der kann nicht so tun, als bestünde „modernes Schaffen“ausschließlich in der Negation von Fasslichkeit, Schönheit und Kraft. Die Seele kann ja keinen Einführungsvortrag besuchen, bevor sie sich dem Klang aussetzt. Des Kaisers neue Kleider interessieren mich nicht! Kunst ist die Sprache der Seele und wirkt – oder verwirkt.
Haben Sie in Ihrer Studienzeit noch Restbestände der alten doktrinären „Adornitis“oder verwandter Erscheinungen mitbekommen – Stichwort „Tonalitätsverbot“? Hat das für Sie je eine Rolle gespielt? Als mein Professor am Wiener Konservatorium zum ersten Unterricht 2008 einen Blick in meine Opernpartitur „Mae Mona“warf, rief er entsetzt: „Aber das ist ja alles im Dreivierteltakt! Das können Sie doch nicht machen!“Es folgte ein wochenlanger Versuch, mich zu „modernisieren“. Meine Kammeroper behielt ihre schlüpfrige Wiener Melange, zur Freude der Zuhörer. Nach 100 Jahren Herumexperimentieren wie Kinder mit einem Chemie-Bausatz (die Elektronik setzt nun tapfer noch eins drauf!) scheint es mir hier in Wien dringend an der Zeit, ein paar bekannte Parameter unseres „Periodensystems“wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Die Wirkung einer Klangkreation ist doch letztlich ihr einziges Kriterium: Explodiert das Zeug oder nicht?
Wie sind Sie denn Komponist geworden? Die Krise ist der Vater aller Verdichtung – auch bei mir. An einem Punkt, wo meine Sangeslust und mein geliebtes Streichquartett versanken, wurden innere Räume frei für die Kreation. Erste Visionen kamen mir, als ich den Monteverdi-Beitrag in Harnoncourts „Musik als Klangrede“in die Finger bekam. In Sekunden erwachte wieder der alte Trieb zum Musik-Theatralischen, der mich schon als Achtjährigen aus Salzburg schnurstracks zu den Wiener Sängerknaben geführt hatte. Dann beschloss der 25-Jährige, sich ein Kammermusik-Theater aus Ovids „Amores“zurecht zu machen. Tags drauf saß ich schon am Klavier. Alles Folgende ist überschrieben mit: Mühe und Beharrlichkeit. Geschenkt wurde mir nur die Begabung.
Was waren prägende Einflüsse? Meine großen Klammern sind gewiss Beethoven und Kurtag.´ Den Umgang mit Material, das Oben und Unten am musikalischen Bau, lehrt der Wiener Klassiker. Die eigentliche „Handlungsbefugnis“zum Komponieren bekam ich dann durch die vielen Begegnungen mit dem geliebten ungarischen Meister: Bei Kurtag´ entdeckte ich einen zeitgenössischen Weg, wie man das tonale Firmament durchbricht, in eine kosmische Freiheit gelangt – und doch das Eigentliche behält: den Wert der Töne, ihren seelischen Gehalt, ihre Ladung, ihre Konzentration.
Zum Ihrer Kirchenoper „Judas“: Wie kam es zum Thema? Aus dem thematischen Wunschkatalog des Festivals stach mir sofort der Judas ins Auge, der meinem dramatischen Instinkt genügend Fläche bot und auch den aktuellen gesellschaftlichen Diskurs spannend mitge- stalten könnte: Wer lenkt hier wen? Und was sind die Konsequenzen im Alleingang? Muss das Weizenkorn sterben? Muss es Revolution geben? Es ist eine Geschichte entstanden, die das Lied des Lebens wunderbar und neu zu singen weiß.
Der Komponist als Librettist: Steckt der musikalische Plan schon in der Dichtung? Diktiert er sie sogar? Den Plot entwerfe ich ganz wie fürs Theater, das Wort beziehungsweise der Gedanke diktiert. Allerdings schreibe ich mit der Nase für die speziellen Möglichkeiten des Musiktheaters: die kontemplativen Momente, die großen Gefühle, die Konflikte, welche die Musik wirksam ausmalen kann. Große Kampf- und Prügelszenen wie im zweiten „Meistersinger“-Finale sind gefährliches Terrain in der Oper. Sie gelingen nur selten! Die Worte selbst müssen jedenfalls die opernhaften Momente ermöglichen. Und da ich weiß, wo ich am Ende hin will, ist die Musik durchaus ein Tyrann der Libretto-Dichtung.
Was waren Ihre Quellen für den „Judas“? Michael Köhlmeiers Reaktion auf die Sensationsfunde von Nag Hammadi (Ägypten) 1996, das Buch „Der Menschensohn“, war meine beste Quelle. Frei nach seinem Vorbild habe ich „Quasi una Fantasia“, seine Geschichte um Thomas Didymos, den Zwilling, umgemünzt und erweitert zu einer Geschichte mit und um Judas. Dabei gewinne ich einige Spannung zwischen den Antipoden „mythologischer Judas“und „historischer Judas“. Der vom Fluch Verfolgte, wie Ödipus vom Schicksal Getriebene hier, der in ein Netzwerk irdischer Motivationen verstrickte jüdische Freischärler dort. Hauptperson ist in Wahrheit eine Frau: Claudia Procula, historische Frau des Pontius Pilatus, hier eine Spinne, die ihre Fäden strickt, eine Einsame in ihrer Machtfülle, eine Sehnsüchtige, deren Wünsche am religiösen Glauben ihres geliebten Objekts zum Halten kommen. Am Ende steht allgemeines Zerbrechen – alle haben verloren, nur: Das Weizenkorn bringt Frucht. Die Worte, die ich meinem Jesus in den Mund gelegt habe, sind ausschließlich dem erwähnten Fund aus Nag Hammadi, dem Thomas-Evangelium, entnommen, und bewusst zusammengestellt in ihrer Widersprüchlichkeit, die den Hörer verwirren muss. Das Lamento der Cyborea wiederum wird auf die Worte der Iokaste aus Sophokles’ König Oedipus gesungen, in Hofmannsthals Übersetzung. Der Chor wiederholt die Worte a cappella – beinahe wie aus einer griechischen Tragödie.
Passt der Komponist anno 2017 die Partien an die Möglichkeiten der Sänger an? Ich hatte meine wichtigsten Protagonisten ja vorher gekannt, das heißt, ich habe ihnen durchaus zunächst imaginär auf den Leib geschrieben. Günter Haumer ist der herangereifte heldische Bariton der Volksoper: Die Judas-Partie, hoch und dramatisch, meistert er grandios. Seinen weiblichen Widerpart Claudia Procula singt Sandra Trattnigg, die bis hin zur Met in New York am Schritt ins große Fach ist und wie gemacht für eine Partie, die auf die großen Strauss-Vorbilder Salome, Kaiserin, Elektra verweist. Ein pikantes Detail ihrer sängerischen Aufgabe ist der Einstieg in ihre dramatische Arie am hohen C – ein Effekt, der im 19. Jahrhundert noch verboten gewesen wäre, sozusagen aus humanitären Gründen!