Emmanuel Macron, der Amerikaner
Politik und Symbole. Der jugendliche Präsident Frankreichs verkörpert die Amerikanisierung seiner Nation wie keiner seiner Vorgänger. Wirkmacht des Bildes, Hinwendung zu Globalisierung, Primat des Ökonomischen sind ihm vertraut.
Dieser Händedruck! Was genau Donald Trump und Emmanuel Macron Mitte Mai in Brüssel bei ihrem ersten Treffen besprochen haben, weiß niemand mit Ausnahme der Beteiligten, doch jeder, der dieses Ereignis verfolgt hat, kann sich noch an das Bild erinnern: rechts am Beistelltischchen der jugendliche Franzose, der mit dem Lächeln eines Blauhais die teigige Hand des Amerikaners erfasst und so lange nicht loslässt, bis Trumps Finger hilflos zu zappeln scheinen. Schnell machte in amerikanischen Medien das Gerücht die Runde, Trump habe aufgrund dieser öffentlichen Demütigung in seiner Domäne, dem „Power Handshake“, spontan den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaschutzabkommen beschlossen. Auf Belegen fußt diese irrwitzige Deutung eines letztlich rein dekorativen Fototermins zweier Staatsmänner nicht, doch dass Macrons manuellen Fähigkeiten eine derartige Wirkmacht zugemessen wird, beweist eines: Der junge Mann im E´lyse´e-Palast beherrscht das Spiel mit den Bildern.
Nicht zuletzt das macht ihn zum ersten amerikanischen Präsidenten der französischen Republik. Gewiss: Schon sein Vorgänger in Geist und Stil, Valery´ Giscard d’Estaing, sprach fließend Englisch und hatte gegenüber der Neuen Welt keine Berührungsängste. Doch er war letztlich ganz in den Institutionen und Gepflogenheiten der Fünften Republik gefangen. Nicolas Sarkozy wiederum ließ sich gerne beim Joggen im Leiberl des „New York City Police Department“ablichten, doch er sah dabei letztlich nur wie ein Herr in den sogenannten besten Jahren aus, der sich schwitzend in eher unvorteilhafter Sportbekleidung über den Asphalt schleppt.
Ein Sohn seiner Zeit und seines Milieus
Was für ein Unterschied zu Macron! Er ist der erste französische Präsident, der im 21. Jahrhundert angekommen ist. Nach Trumps Abkehr von der Klimaschutzpolitik veröffentlichte er eine Videobotschaft, in der er in einwandfreiem Englisch amerikanische Klimaforscher einlud, nach Frankreich zu kommen, um ihren Studien nachzugehen. Und als er vor zwei Wochen unter der Pariser Sonne an einer Veranstaltung für die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024 teilnahm, dabei mit Boxchampions ins Sparring ging und das Tennisracket elegant schwang, fühlte man sich an jene perfekt inszenierten Aufnahmen der Kennedybrüder beim Footballspiel auf Cape Cod erinnert.
Die Hand auf dem Herzen beim Absingen der „Marseillaise“, die erstmalige Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress in Versailles, das Versprechen bei einer Elektronikindustrietagung in Las Vegas, Frankreich zu einer „Smart Nation“machen zu wollen: Auch Macrons Kritiker müssen eingestehen, dass der neue Präsident sich in der amerikanisch geprägten Welt wie ein Fisch im Wasser bewegt. „Jeder ist Sohn seiner Zeit und seines Milieus“, grummelte der linke Denker Regis´ Debray neulich im Wochenmagazin „L’Obs“. „Das ist der Preis seiner Jugend: Diese Generation kennt nichts ande- res als die Vorherrschaft der amerikanischen Visualität, der unbewussten Beherrschung, die wie eine zweite Haut geworden ist.“
Man kann das als Schwanengesang eines Altlinken abtun, der seinen Zeiten als Dschungelkämpfer mit Che Guevara nachträumt und den Amerikanern „zwei, drei, viele Vietnams“wünschte. Doch der 76-Jährige hat jüngst ein kluges Buch über Frankreichs (und Europas) Verhältnis zur Neuen Welt veröffentlicht, das bei der Enträtselung des Phänomens Macron hilfreich ist. Die Bedeutung der Kontrolle über das eigene Bild – das Image – ist dafür ein Schlüssel, hält Debray in „Civilisation: Comment nous sommes devenus americains“´ fest. „Amerika ist durch das Bild in unsere Geschichte und unsere Herzen eingetreten, Europa durch die Schriften“, schreibt Debray. „Das Foto hat Lincoln popularisiert, das Kino Lindbergh, das Fernsehen Neil Armstrong.“
Debray lehnt sich nicht mehr dagegen auf, dass Europa und Frankreich die Fackel kultureller, politischer Weltführung an Amerika abgegeben haben: „Gestehen wir es uns ein: Im Jahr 1900 ist ein Amerikaner, der etwas auf sich hält, ein exilierter Europäer. Im Jahr 2000 ist ein Europäer von Mode ein frustrierter Amerikaner – oder einer, der auf sein US-Visum wartet.“Das mag ihm miss- fallen, mehr noch allerdings stößt ihm die bornierte Reaktion in seiner Heimat auf: „Es kommt letztlich oft vor, dass eine alternde Zivilisation, die im Mainstream des Angebotes einer neuen gefangen ist, sich auf ihre ,nationale Identität‘ zurückziehen muss, als Sicherheitsbereich. Sie betont auf narzisstische Weise ihre kleinen Unterscheide, stilisiert ihre Totems, theatralisiert ihre Akzente.“
If you can’t beat them, join them
Frankreich, „ein Land, das hin- und hergerissen ist zwischen einer leicht peinlichen Nostalgie und einem Bedarf nach Verjüngung“: Debray mag Macron nicht, doch er zieht im Umgang mit einer übermächtigen Zivilisation dem selbstmörderischen Zelotentum der Makkabäer den moralischen Heroismus des jüdischen Gelehrten Flavius Josephus vor, der sich den Römern anschloss und dadurch die Geschichte seines Volkes bewahren konnte. „Business und Politik unterscheiden sich nicht mehr voneinander. Das politische Programm ist ein Angebot geworden“, seufzt Debray. Mag sein. Die Wahlsiege von Macron und seiner Partei legen aber nahe, dass es auch die Franzosen mit der Politik zusehends pragmatisch halten, nach dem alten Diktum von der Wurstfabrik: Wichtig ist, was hinten herauskommt.