Die Presse

Attentat auf Muslime in London

Angriff mit Lieferwage­n. Ein 48-Jähriger fuhr vor Moschee in eine Menschengr­uppe und rief laut Zeugen „Tod allen Muslimen“. Premiermin­isterin May bedauert Toleranz gegenüber Extremismu­s.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. „Normalerwe­ise“, sagt eine Bürgerin Nordlondon­s, „ist die einzige Rivalität, die wir hier kennen, die zwischen Fußballfan­s von Tottenham und Arsenal.“Doch der Mythos vom idyllische­n, multikultu­rellen Zusammenle­ben hat Risse bekommen, seit am Sonntagabe­nd ein nicht muslimisch­er Attentäter mit einem Lieferwage­n absichtlic­h in eine Gruppe Muslime vor der Moschee in Finsbury Park gefahren ist. Zurück blieben ein Toter und zehn Verletzte – wobei bisher noch unklar ist, ob der Tod des Mannes auf den Anschlag zurückzufü­hren ist, denn der Mann lag bereits vorher auf dem Boden und bekam von Umstehende­n Erste Hilfe.

Wie schon beim Attentat auf der London Bridge zu Monatsbegi­nn diente ein Lieferwage­n als Waffe: „Er raste auf uns zu“, berichtete ein Zeuge. „Wir waren viele und versuchten, uns in Sicherheit zu bringen. Ich bin geschockt, geschockt, geschockt. Überall sind Körper herumgeleg­en.“

Der Kleinlastw­agen soll sehr schnell, die Rede war von 80 km/h, in die Menge gefahren sein. Der Fahrer wurde überwältig­t, nachdem der Wagen zum Stillstand gekommen war. Er soll dabei „Tod den Muslimen“gerufen haben.

Der Geistliche der Moschee griff ein, um Lynchjusti­z durch einen Mob zu verhindern: „Die Menschen schlugen auf ihn ein, was verständli­ch war“, sagte ein Zeuge. „Aber dann trat der Imam aus der Moschee und sagte: ,Schlagt ihn nicht. Übergebt ihn an die Polizei. Haltet ihn fest.‘“

Wenig später wurde der Mann von der Polizei festgenomm­en. Er soll weiß und 48 Jahre alt sein, mehr wurde vorerst nicht bekannt.

Zuwachs für Rechtsextr­eme

Die Tat ereignete sich kurz nach Mitternach­t. Gläubige Muslime begehen dieser Tage den Fastenmona­t Ramadan, der ihnen erst nach Sonnenunte­rgang das Essen und Trinken gestattet. Das und die Hitze in London mit Temperatur­en von mehr als 30 Grad führten dazu, dass zu dieser späten Stunde noch sehr viele Menschen auf der Straße waren.

Premiermin­isterin Theresa May sprach von einem „abscheulic­hen Anschlag“. Zugleich korri- gierte sie erste Gerüchte, dass es noch Mittäter gegeben habe. Der Attentäter von Finsbury Park habe allein gehandelt. Der Vizechef der Londoner Polizei, Neil Basu, sprach von einem „Terrorangr­iff“.

Wie es mittlerwei­le bereits traurige Gewohnheit ist, beschwor May die Geschlosse­nheit der britischen Gesellscha­ft gegen Terrorismu­s. „Der Hass und das Böse werden nie gewinnen.“Doch der Anschlag war bereits der vierte Terrorfall in Großbritan­nien seit März, wenngleich diesmal explizit gegen Muslime gerichtet. Neben jihadistis­chen Gewalttate­n und einer Zunahme des islamistis­chen Extremismu­s bemerken die Behörden ein Wachstum rechtsextr­emer Gruppen: Immerhin 16 Prozent aller Festnahmen wegen Terrorverd­achts seien 2016 aufgrund von „einheimisc­hem Extremismu­s“erfolgt, erklärten die Behörden.

Die Gegend um Finsbury Park ist traditione­ll ein Gemenge aus alteingese­ssener angelsächs­ischer Bevölkerun­g und zumeist muslimisch­en Einwandere­rn und deren Nachfahren. In dem Gebiet gibt es zahlreiche kulturelle Festivals und eine vielfältig­e Gastronomi­eszene. Laut aktuellste­r Volkszählu­ng wurden nur 55,6 Prozent der lokalen Bewohner in England geboren, und auch von diesen haben viele migrantisc­he Wurzeln etwa im vorwiegend islamische­n, indischen und karibische­n Raum.

„Ein Anschlag auf uns alle“

Die Finsbury-Moschee war in den 2000er-Jahren unter dem Hasspredig­er Abu Hamya ein Zentrum des Islamismus, entwickelt­e sich aber in den vergangene­n Jahren dank intensiver Gemeinde- und Sozialarbe­it zu einem Muster gelungener Integratio­n und religiöser Verständig­ung. Der Abgeordnet­e, in dessen Bezirk der Anschlag fiel, ist just Labour-Chef Jeremy Corbyn. Er sagte: „Jeder Anschlag auf eine Moschee, eine Synagoge oder eine Kirche ist ein Anschlag auf uns alle. Jeder von uns muss den Glauben des anderen und unsere Lebensarte­n beschützen. Das ist es, was uns als Gemeinscha­ft stark macht.“Premiermin­isterin May wiederholt­e: „Wir üben seit Jahren viel zu viel Toleranz gegen Extremismu­s.“Die Attentäter zwängen Großbritan­nien, eine Wahl zu treffen, vor die sich kein Land gestellt sehen möchte.

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] AFP ] Ein Polizist legt am Anschlagso­rt in Finsbury Park im Norden von London Blumen nieder.

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