Wenn das Schlafzimmer zur Lärmhölle wird
Wann nächtlicher Verkehrslärm zur Gefahr für die Gesundheit wird, ermittelten Grazer Forscher in einem groß angelegten Praxisversuch. Ausgehend von einem „Lästigkeitsindex“wurde im Wohnumfeld gemessen.
Das tiefe Brummen eines Lkw, das hochfrequente Pfeifen eines Zugs: Angenehm ist keines der beiden Schallereignisse, wenn es auf das menschliche Ohr trifft. Dass es bei der Wahrnehmung der beiden Lärmerscheinungen – selbst wenn sie in derselben Dezibelstärke auftreten – von Mensch zu Mensch aber sehr wohl Unterschiede gibt, gießt Kurt Fallast der TU Graz in eine einfache Formel. „Gleich laut ist in der Regel nicht gleichbedeutend mit gleich störend“, sagt der Assistenzprofessor in Ruhestand am Institut für Straßen- und Verkehrswesen.
Vor über einem Jahrzehnt schon entwickelte Fallasts Arbeitsgruppe einen „Lästigkeitsindex“, ein Maß, das anders als der Schallpegel in Dezibel (dB) auch individuelle Lärmwahrnehmung und körperliche Reaktionen – allerdings großteils im Labor – berücksichtigt.
Jetzt zog es Fallast ins Feld: Mittels akustischen Messungen im direkten Wohnumfeld von 105 Probanden erhob das Projektteam aus Forschern der TU Graz sowie der Medizinischen Universität Graz deren subjektives Lärmempfinden.
Bahnlärm ist nicht weniger lästig
Ebenso ermittelten die Forscher die Auswirkungen durch Straßen- und Schienenverkehrslärm auf eine Reihe von medizinischen Parametern.
Ein Fazit: Der sogenannte Schienenbonus – er bewertet Schienenlärm vonseiten des Gesetzgebers hierzulande bis dato um fünf Dezibel positiver als Straßenlärm, da er als vorhersehbarer und damit weniger belastend gilt – ist laut Fallast zumindest „diskussionswürdig“: An stark befahrenen Streckenabschnitten sei dieser Bonus mit psy- Schlafeffizienz – aus dem Verhältnis Schlafdauer zu Bettliegezeit ermittelt – sind nach medizinischem Stand für einen gesunden Schlaf ausreichend, ein Wert darunter weist auf Einschlaf- oder Durchschlafstörungen hin.
soll laut WHO der Mittelungspegel der nächtlichen Lärmbelästigung nicht überschreiten, um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden.
beträgt in Österreich der Schienenbonus. Dieser beurteilt Schienenlärm besser als etwa Straßenlärm und bringt niedrigere Anforderungen beim Streckenbau mit sich. choakustischen Parametern „nicht nachweisbar“gewesen, sagt er.
Messungen von 2014 bis 2016 im Großraum Graz, in Niederösterreich und in Kärnten gingen der Auswertung der Daten voraus. Pro Proband führte man jeweils an fünf regenfreien Nächten Audioaufzeichnungen im Innen- und Außenbereich des Wohnsitzes mittels binauraler Kunstkopftechnik – einer besonders empfindlichen Aufnahmetechnik, siehe Bild oben – durch.
Messungen auch im Schlafzimmer
Auf Basis dieser Aufnahmen wurden Schalldruckpegel sowie psychoakustische Parameter wie etwa Schärfe und Rauigkeit evaluiert. Per Fragebogen – erstellt vom Grazer Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie – hielten die Probanden ihre Lärmwahrnehmung fest.
Mittels Aktigraph und Brustgurt wurden Aktivitäts- und Ruhezyklen sowie Schlafqualität und Herzfrequenz ermittelt. An lauten Messpunkten über 60 Dezibel war eine Verdoppelung der Herzfrequenzrate nachweisbar. Der vom deutschen Psychoanalytiker Benjamin Barde´ klinisch nachgewiesene Zusammenhang von hoher Lärmbelastung gleich oder größer 60 Dezibel und steigender Herzinfarktrate „lässt sich über unsere Studie nachzeichnen“, sagt Egon Marth, emeritierter Professor am Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin der Medizinischen Universität Graz. Dagegen zeigten sich bei Lärmeinwirkungen von bis zu 40 Dezibel weder bei der Herzfrequenz noch in der Schlafanalyse gesundheitliche Gefahrenpotenziale.
Erholungsphasen bleiben aus
Aber welche Schlüsse lassen sich dort ziehen, wo der gesundheitlich abgeleitete Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation WHO (nächtlicher Mittelungspegel von 40 Dezibel) knapp überschritten wird? Nimmt man eine Schlafeffizienz von zumindest 85 Prozent – medizinisch für einen gesunden Schlaf als ausreichend definiert – als Ziel- wert, „dann sind 45 Dezibel zumutbar“, fasst Marth die Ergebnisse zusammen.
Nur bei sehr wenigen Probanden – nämlich vier Prozent – sei hier die Schlafeffizienz marginal unter den Grenzwert abgesunken.
Belastung entlang West- und Südbahn
Der Unterschied zwischen Schiene und Straße sei – das hätten die Messungen ebenso gezeigt – geringer als vermutet: Auf hochbelasteten Streckenabschnitten der Westbahn sowie der Südbahn etwa treten Erholungsphasen für Anrainer kaum mehr ein. „Der Schienenbonus nimmt mit der Intervallverdichtung ab“, sagt Projektleiter Kurt Fallast.