Die Presse

Wenn das Schlafzimm­er zur Lärmhölle wird

Wann nächtliche­r Verkehrslä­rm zur Gefahr für die Gesundheit wird, ermittelte­n Grazer Forscher in einem groß angelegten Praxisvers­uch. Ausgehend von einem „Lästigkeit­sindex“wurde im Wohnumfeld gemessen.

- VON DANIEL POHSELT

Das tiefe Brummen eines Lkw, das hochfreque­nte Pfeifen eines Zugs: Angenehm ist keines der beiden Schallerei­gnisse, wenn es auf das menschlich­e Ohr trifft. Dass es bei der Wahrnehmun­g der beiden Lärmersche­inungen – selbst wenn sie in derselben Dezibelstä­rke auftreten – von Mensch zu Mensch aber sehr wohl Unterschie­de gibt, gießt Kurt Fallast der TU Graz in eine einfache Formel. „Gleich laut ist in der Regel nicht gleichbede­utend mit gleich störend“, sagt der Assistenzp­rofessor in Ruhestand am Institut für Straßen- und Verkehrswe­sen.

Vor über einem Jahrzehnt schon entwickelt­e Fallasts Arbeitsgru­ppe einen „Lästigkeit­sindex“, ein Maß, das anders als der Schallpege­l in Dezibel (dB) auch individuel­le Lärmwahrne­hmung und körperlich­e Reaktionen – allerdings großteils im Labor – berücksich­tigt.

Jetzt zog es Fallast ins Feld: Mittels akustische­n Messungen im direkten Wohnumfeld von 105 Probanden erhob das Projekttea­m aus Forschern der TU Graz sowie der Medizinisc­hen Universitä­t Graz deren subjektive­s Lärmempfin­den.

Bahnlärm ist nicht weniger lästig

Ebenso ermittelte­n die Forscher die Auswirkung­en durch Straßen- und Schienenve­rkehrslärm auf eine Reihe von medizinisc­hen Parametern.

Ein Fazit: Der sogenannte Schienenbo­nus – er bewertet Schienenlä­rm vonseiten des Gesetzgebe­rs hierzuland­e bis dato um fünf Dezibel positiver als Straßenlär­m, da er als vorhersehb­arer und damit weniger belastend gilt – ist laut Fallast zumindest „diskussion­swürdig“: An stark befahrenen Streckenab­schnitten sei dieser Bonus mit psy- Schlafeffi­zienz – aus dem Verhältnis Schlafdaue­r zu Bettliegez­eit ermittelt – sind nach medizinisc­hem Stand für einen gesunden Schlaf ausreichen­d, ein Wert darunter weist auf Einschlaf- oder Durchschla­fstörungen hin.

soll laut WHO der Mittelungs­pegel der nächtliche­n Lärmbeläst­igung nicht überschrei­ten, um gesundheit­liche Beeinträch­tigungen zu vermeiden.

beträgt in Österreich der Schienenbo­nus. Dieser beurteilt Schienenlä­rm besser als etwa Straßenlär­m und bringt niedrigere Anforderun­gen beim Streckenba­u mit sich. choakustis­chen Parametern „nicht nachweisba­r“gewesen, sagt er.

Messungen von 2014 bis 2016 im Großraum Graz, in Niederöste­rreich und in Kärnten gingen der Auswertung der Daten voraus. Pro Proband führte man jeweils an fünf regenfreie­n Nächten Audioaufze­ichnungen im Innen- und Außenberei­ch des Wohnsitzes mittels binauraler Kunstkopft­echnik – einer besonders empfindlic­hen Aufnahmete­chnik, siehe Bild oben – durch.

Messungen auch im Schlafzimm­er

Auf Basis dieser Aufnahmen wurden Schalldruc­kpegel sowie psychoakus­tische Parameter wie etwa Schärfe und Rauigkeit evaluiert. Per Fragebogen – erstellt vom Grazer Institut für Sozialmedi­zin und Epidemiolo­gie – hielten die Probanden ihre Lärmwahrne­hmung fest.

Mittels Aktigraph und Brustgurt wurden Aktivitäts- und Ruhezyklen sowie Schlafqual­ität und Herzfreque­nz ermittelt. An lauten Messpunkte­n über 60 Dezibel war eine Verdoppelu­ng der Herzfreque­nzrate nachweisba­r. Der vom deutschen Psychoanal­ytiker Benjamin Barde´ klinisch nachgewies­ene Zusammenha­ng von hoher Lärmbelast­ung gleich oder größer 60 Dezibel und steigender Herzinfark­trate „lässt sich über unsere Studie nachzeichn­en“, sagt Egon Marth, emeritiert­er Professor am Institut für Hygiene, Mikrobiolo­gie und Umweltmedi­zin der Medizinisc­hen Universitä­t Graz. Dagegen zeigten sich bei Lärmeinwir­kungen von bis zu 40 Dezibel weder bei der Herzfreque­nz noch in der Schlafanal­yse gesundheit­liche Gefahrenpo­tenziale.

Erholungsp­hasen bleiben aus

Aber welche Schlüsse lassen sich dort ziehen, wo der gesundheit­lich abgeleitet­e Grenzwert der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO (nächtliche­r Mittelungs­pegel von 40 Dezibel) knapp überschrit­ten wird? Nimmt man eine Schlafeffi­zienz von zumindest 85 Prozent – medizinisc­h für einen gesunden Schlaf als ausreichen­d definiert – als Ziel- wert, „dann sind 45 Dezibel zumutbar“, fasst Marth die Ergebnisse zusammen.

Nur bei sehr wenigen Probanden – nämlich vier Prozent – sei hier die Schlafeffi­zienz marginal unter den Grenzwert abgesunken.

Belastung entlang West- und Südbahn

Der Unterschie­d zwischen Schiene und Straße sei – das hätten die Messungen ebenso gezeigt – geringer als vermutet: Auf hochbelast­eten Streckenab­schnitten der Westbahn sowie der Südbahn etwa treten Erholungsp­hasen für Anrainer kaum mehr ein. „Der Schienenbo­nus nimmt mit der Intervallv­erdichtung ab“, sagt Projektlei­ter Kurt Fallast.

 ?? [ TU Graz ] ?? Der Kunstkopf (grau, Bildmitte) nimmt den Lärm mit beiden „Ohren“(binaural) wahr, ähnlich wie bei uns Ohren und Gehirn den Schall verarbeite­n.
[ TU Graz ] Der Kunstkopf (grau, Bildmitte) nimmt den Lärm mit beiden „Ohren“(binaural) wahr, ähnlich wie bei uns Ohren und Gehirn den Schall verarbeite­n.

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