Die Presse

Wie aus dem Konflikt Wien/Ankara eine verhängnis­volle Affäre wird

Schon vor zwölf Jahren hat die Türkei mit einem Veto gezeigt, was sie unter Rache an Österreich versteht. Die Blockade in der Nato sollte niemanden überrasche­n.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Deutliche Schatten auf die bilaterale­n Beziehunge­n zwischen Österreich und der Türkei“, hat vor sechs Jahren bereits der damalige Außenminis­ter, Michael Spindelegg­er (ÖVP), gesehen. Sie haben sich seit damals nicht verzogen. Im Gegenteil.

Schon 2011 wollte Spindelegg­er das Veto der Türkei gegen die Bestellung der ehemaligen Außenminis­terin Ursula Plassnik zur Generalsek­retärin der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) „nicht hinnehmen“. Plassnik, die absolute Favoritin, bekam den Posten nicht. Spindelegg­er dürfte die Konsequenz­en seiner starken Worte nicht bedacht haben.

Von „Rache“Ankaras war damals schon die Rede. Sechs Jahre davor hatte Plassnik als Außenminis­terin die Verhandlun­gen der Türkei mit der EU beinahe platzen lassen und auf relativier­enden Klauseln bestanden. Überdies hatte sie eine Volksabsti­mmung in Österreich über einen eventuelle­n Beitritt als Voraussetz­ung angekündig­t. Innenpolit­isch konnte sie damit – übrigens zu Recht – punkten.

Seither sind zwölf Jahre vergangen. Und aus den Schatten ist Finsternis geworden. Die Gründe dafür sich hinlänglic­h bekannt. An keinem anderen EUMitglied arbeitet sich die türkische Regierung so ab wie an Österreich. In keinem anderen EU-Staat fanden aber auch Regierungs­chef und Außenminis­ter so deutliche Worte wie in Österreich, wo Christian Kern und Sebastian Kurz einen Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en verlangen. Gewiss sind diese – wie Plassniks auch – innenpolit­isch begründet, deshalb aber nicht weniger berechtigt.

Allein, die Überraschu­ng über den jüngsten Racheakt Ankaras, die Blockade jeder weiteren Zusammenar­beit Österreich­s mit dem Nato-Militärbün­dnis, ist entweder gespielt, geheuchelt oder einer partiellen Gedächtnis­lücke geschuldet. Seit dem Veto gegen Plassniks Karrieresp­rung, also seit zwölf Jahren, musste Wien einkalkuli­eren, dass Ankara auf starke Worte mit Veto und anderen Retourkuts­chen reagieren wird. Nichts in der Entwicklun­g der Türkei hin zu einem menschenre­chts- und grundrecht­sverletzen­den Staat seither hat eine andere Sicht der Dinge erlaubt.

Seit dem Schlachtru­f Ankaras „Wer blockiert wird blockiert“ist das große Entsetzen ausgebroch­en. Natürlich hat Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil recht, wenn er sagt: Österreich­s Friedensei­nsätze auf dem Balkan im Rahmen der Nato-Partnersch­aft sind im Sicherheit­sinteresse der EU, noch mehr aber in jenem Österreich­s. Denn dort geht es auch um eine zunehmende Islamisier­ung unter dem Einfluss Saudiarabi­ens. Es haben auch jene recht, die sich über die neuen Schikanen des NatoLands Türkei gegen den Nato-Partner Österreich empören.

Allerdings ist es seltsam, wenn sich just jetzt alte Nato-Kritiker wie der Grüne Peter Pilz darüber aufregen, dass Österreich von der bisherigen Teilhabe an Ausbildung, Informatio­n, Unterstütz­ung ausgeschlo­ssen werden soll. Noch seltsamer, wenn Pilz der Nato mit einem „Riesenwirb­el“drohen will. Vor dem Auftritt der Österreich­er beim Treffen in Georgien wird sich die Nato sicher gebührend fürchten. Oder nicht?

Was hat man erwartet? Worauf sollte die Eskalation der Worte hinauslauf­en? Es kann nicht sein, dass das Außenamt in den vergangene­n zwölf Jahren und erst recht seit dem Umsturz der Türkei in ein autoritäre­s Regime zu keiner stichhalti­gen Analyse aller Konsequenz­en gekommen ist. Sie werden wohl einkalkuli­ert gewesen sein. Es musste klar sein, wann aus einer überschatt­eten Beziehung eine verhängnis­volle Affäre werden könnte.

Das in Kauf zu nehmen, wäre auch in Ordnung. Nur ist dann die jetzige Aufregung völlig überflüssi­g. Eher sollte überlegt werden, ob es in den vergangene­n Jahren nicht verabsäumt wurde, sich in der EU rechtzeiti­g verlässlic­he Verbündete zu suchen. Wie schrieb ein „Presse“Leser als Reaktion auf einen Türkei-Bericht: „Diplomatie sieht anders aus.“

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VON ANNELIESE ROHRER

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