Anreize für gesundes Leben schaffen
Gesundheitspolitik. Alexander Biach, der neue Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungen, will das System nicht „reformieren“, sondern „verbessern“. Die Leistungen der Krankenkassen will er möglichst angleichen.
Die Presse: Ihre Vorgängerin hat das Sozialversicherungssystem als unreformierbar bezeichnet. Muss man Sie für Ihren neuen Job bedauern? Alexander Biach: Mit mir braucht keiner Mitleid haben, auch weil meine Vorgängerin, Ulrike Rabmer-Koller, Grundlagen gelegt hat, auf die man aufbauen kann. Es ist aber sicher kein einfacher Job.
Ist das Sozialversicherungssystem reformbedürftig und reformfähig? Es ist verbesserungsbedürftig. Der Begriff Reform hat den schalen Beigeschmack, dass etwas nicht funktionieren würde und man es von Grund auf erneuern müsste. Und das muss man nicht.
Angenommen, Sie könnten quasi auf der grünen Wiese ein neues Sozialversicherungssystem hinstellen: Hätte das auch 18 Krankenkassen? Ich würde mir dann nicht als Erstes Gedanken machen, wie viele Häuser ich baue, sondern, was der Inhalt der Häuser sein soll. Bei einer Versicherung geht es darum, die Risken abzudecken, mit denen die Menschen konfrontiert werden. Es geht um eine leistbare und bestmöglich ärztliche Versorgung und um eine Geldleistung, wenn man bei Krankheit nicht fähig ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dieses System sollte vier Kriterien erfüllen: Man muss schnell zu Leistungen kommen, es muss effizient funktionieren, modern sein und gerecht.
Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie sehr ist das jetzt erfüllt? Ich würde sagen, wir stehen bei sieben. Viele der aufgezählten Punkte sind auf Schiene, aber der Zug muss erst einmal in den Bahnhof einfahren.
Der eigentlichen Frage, ob man dafür 18 Krankenkassen braucht, sind Sie jetzt elegant ausgewichen. Ich begrüße es, dass jetzt vom Sozialministerium eine Effizienzstudie gemacht wird. Wenn die fertig ist, werde ich mir die besten Vorschläge gemeinsam mit den Experten herauspicken. Wenn wir da zu dem Schluss kommen, dass wir die Strukturen ändern müssen, bin ich der Letzte, der sich da dagegen stellt.
Sie wollen jetzt die Leistungen der Krankenkassen nach oben hin angleichen. Wie viel wird das kosten? Ich habe nicht gesagt, dass ich nach oben hin angleichen will. Entscheidend wird ein kluges Austarieren sein. Bei manchen Leistungen wird es zumutbar sein, einen Level zu finden, der günstiger ist für die Krankenkassen, bei anderen Leistungen wird es wichtig sein, nach oben hin anzupassen.
Können Sie das anhand von Beispielen konkretisieren? Bei der Zeckenimpfung wird es vertretbar sein, einen oder zwei Euro mehr zu zahlen. Bei Blutzuckertests wird es dagegen sinnvoll sein, die Leistung nach oben anzugleichen.
Sie kommen aus der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, der SVA, die mit Anreizsystemen arbeitet. Ist das ein Modell für alle Krankenkassen? Anreizsysteme gefallen mir sehr gut. Bei der SVA geht es darum: Wer gesünder lebt, spart sich selbst und der Sozialversicherung Kosten und zahlt nur die Hälfte des Selbstbehalts beim Arztbesuch.
Da müssten Sie bei den Gebietskrankenkassen erst einen Selbstbehalt einführen. Das stimmt so nicht, es gibt auch bei den Gebietskrankenkassen sehr viele andere Kostenbeteiligungen. Die Versicherungen müssten sich ansehen, wie sich das für sie rechnet: Wenn sie auf Einnahmen verzichten, werden die Versicherten dann so gesund, dass sie quasi bei den Reparaturkos- ten sparen können? Für die Krankenkassen geht es um ein positives Ergebnis, für die Versicherten um ein besseres Leben. Das ist das größere Ziel.
Bleiben wir bei der finanziellen Seite: Das österreichische Gesundheitssystem ist durch eine Spitalslastigkeit gekennzeichnet, was hohe Kosten verursacht. Wollen und können Sie das ändern? Ja, wir müssen die Menschen abfangen, bevor sie im Spital landen. Das werden wir einerseits durch seriöse Informationen über das Internet machen, andererseits über die Gesundheitshotline 1450, die jetzt testweise in Wien, Niederösterreich und Vorarlberg gestartet wurde. Da bekommt man ganz schnell eine ärztliche Auskunft, Notfälle werden weitergeleitet. Und die dritte Ebene sind die Primärversorgungseinheiten. Davon werden 75 bis zum Jahr 2021 aufgebaut.
Dafür liegt ein Gesetzesentwurf vor, den die Ärztekammer als entbehrlich bezeichnet hat. Soll das trotzdem noch vor der Wahl beschlossen werden? Wenn der Gesetzgeber sich zur Primärversorgung bekennt, wäre das kein Schaden. Wenn das Gesetz nicht kommt, können wir mit Verträgen anfangen zu arbeiten. Aber in weiterer Folge werden wir ein Gesetz brauchen.
Ein sofortiger Beschluss der Primärversorgung ist nicht notwendig? Ich halte offen gesagt nichts davon, wenn wir über die Ärztekammer drüber fahren. Wir können keine professionelle Versorgung ohne Ärzte bieten. Aber wir könnten zu arbeiten beginnen, wenn man sich nicht einigt. Das Gesetz soll ja kein Krampf sein für alle, damit würde man niemandem etwas Gutes tun. Ministerin Pamela Rendi-Wagner hat unsere volle Unterstützung dafür, ein für alle Seiten vernünftiges Gesetz zu schaffen.