Die Presse

Das Lego-Kreuz und der Gekreuzigt­e als Uhr

Kunst. In der Jesuitenki­rche mehrfach zerstört, ist das Werk von Manfred Erjautz nun Herzstück einer Ausstellun­g über das Kreuz. In der Lainzer Kirche ist indessen eine neue Erjautz-Skulptur zu sehen: eine zerlegte Christusfi­gur aus Holz.

- VON ALMUTH SPIEGLER von Manfred Erjautz: Konzilsged­ächtniskir­che in Lainz bis 8. April.

Seit seiner Präsentati­on 2004 ist das „Lego-Kreuz“, das der steirische Künstler Manfred Erjautz für die Wiener Jesuitenki­rche angefertig­t hat, eine Provokatio­n. Eine ungewohnt dauerhafte. Bei der ersten Vorstellun­g schon, als Gemeinde und Vernissage-Publikum um den ebenfalls neuen Beton-Sessel-Altar (von Michael Kienzer) standen, wurden das Langkreuz aus Legosteine­n und der dazugehöri­ge Kelch von empörten Händen fast weggefegt. Der damalige Jesuiten-Patriarch verließ die Kirche mit wehendem Mantel unter der Androhung, dass der verantwort­liche Pater Gustav Schörghofe­r – bis heute der einzige, den man als Otto Mauer-Nachfolger nennen könnte – die Konsequenz­en für diese Respektlos­igkeit tragen werde müssen.

Das tat dieser mit Würde, zwar durfte das Kreuz auf Wunsch des Kardinals nicht liturgisch verwendet werden, aber es stand friedlich als spielerisc­hes Zeichen des Transfers zwischen göttlicher und weltlicher Sphäre im Altarraum: Der Querbalken wurde von einem Lego-Lastwagen gebildet, was wohl Anstoß zum langandaue­rnden Unmut war.

Auf den Kirchenbod­en geschmette­rt

2008 wurde das Kreuz zerstört, ausgerechn­et am Weihnachts­abend. Erjautz ersetzte den abmontiert­en Balken, und das Kreuz wanderte zum Schutz auf die Kanzel. Noch zu wenig entrückt – vor wenigen Wochen wurde es wieder demoliert, diesmal mit aggressive­r Geste, die Kreuz-Balken wurden von der Kanzel auf den Kirchenbod­en geschmette­rt. Jetzt liegen die Trümmer säuberlich aufgebreit­et auf einem Polster, sie sind das Herzstück der Kreuz-Ausstellun­g, die der mittlerwei­le als Pfarrer in Lainz gelandete Schörghofe­r in seiner Jesuitenfo­yer-Galerie am Anfang der Bäckerstra­ße zusammenge­stellt hat: Ein völlig subjektive­r, unorthodox­er Streifzug durch 500 Jahre Kreuz-Symbolik, der in christlich­er Brüder- und Schwesterl­ichkeit sozusagen low und high mischt, hohe Kunst, Handwerk und Zufall nebeneinan­derstellt.

Es beginnt chronologi­sch mit einem wunderschö­nen Corpus-Christi-Torso aus dem 16. Jahrhunder­t aus dem Besitz eines Mitbruders von Schörghofe­r. Weiter geht es mit einer sich verwehende­n Kreuz-Grafik von Arnulf Rainer, mit Kinder-Kreuzzeich­nungen, Holzkreuze­n aus einer Behinderte­nwerkstätt­e, dem runden, kindlich wirkenden Siebzigerj­ahre-Design des Kreuzes, das alle Jesuiten-Novizen bekommen. Auf einem Tisch liegen Seltenheit­en wie die aus einem Stahlblock geschnitzt­en Kreuze eines Michel Blümelhube­r, von dem der Wiener Galerist Otto Kallir („Neue Galerie“) einst seiner Frau eines geschenkt hat. Das dann in der NS-Zeit mit ins US-Exil ging und über Umwege wieder zurück nach Wien kam, in den Besitz eines Jesuiten-Paters. Diese persönlich­en Geschichte­n und Bezüge zu diesem religiösen Symbol, das derzeit wie lange nicht mehr unter argwöhnisc­her Betrachtun­g steht (Kopftuch-Debatte), ist Schörghofe­r wichtig. Zuwider sind ihm Industrie-Kreuze, die leer und sinnlos sind, nichts mehr vermitteln, keine Gedanken mehr anstoßen oder anregen. Das kann ein Lego-Kreuz sein. Oder ein gefundener Stoffrest, der zufällig Kreuzform besitzt, wie er einen im Atelier der Künstlerin Petra Buchegger gefunden und mitgenomme­n hat.

Liturgisch ist diese Ausstellun­g zur Fastenzeit interessan­t – wird der Blick aufs Kreuz doch sonst verdeckt in dieser Zeit, mit einem Fastentuch zum Beispiel, um uns das Bild zu verinnerli­chen. Fastentuch gibt es heuer in der Wiener Jesuitenki­rche aber keines. Dafür die Ausstellun­g.

In der Lainzer Kirche hat man wieder das Tuch von Oswald Oberhuber ausgepackt. Und mit einer neuen Arbeit von Manfred Erjautz, dem Schöpfer des Lego-Kreuzes, einen Link zur Ausstellun­g in der Innenstadt geschlagen: Eineinhalb Jahre hat Erjautz an „My own personal Jesus“(der Titel zitiert einen Song von Depeche Mode) gearbeitet. Dabei sieht diese minimalist­ische ChristusUh­r, die da in der modernen Betonkirch­e aus dem Emporen-Fenster ragt, so leicht, so einfach, so spielerisc­h aus.

Gesteuert von einer Atomuhr

Einen vor Jahren im Müll gefundenen hölzernen Christus-Körper hat Erjautz in Uhrzeiger zerlegt – die Arme und der Rumpf mit Füßen rotieren jetzt sozusagen getrennt voneinande­r umeinander. Ein Arm ist der Sekundenze­iger, der andere der Minutenzei­ger, der Körper der Stundenzei­ger. In völlig unterschie­dlicher Gestalt, manchmal kenntlich, manchmal gar nicht, könnte man interpreti­eren, begleitet einen Christen Leid und Erlösung bzw. der Glaube bzw. der Zweifel daran durch die Lebenszeit.

Einmal am Tag nur, kurz vor 18 Uhr, fügen sich die Teile zum einstigen Ganzen der Gestalt des Gekreuzigt­en. Sonst ist alles in Bewegung. Gesteuert übrigens vom Signal einer Atomuhr – den Antrieb steuern also Einsteins Atome bei, so Erjautz. Wissenscha­ft und Religion – „ich mag diese Polarität“, sagt er. Die Technik kommt hier nicht unwesentli­ch dazu: Die in verkehrter Reihenfolg­e montierten Zeiger, die nicht ausbalanci­erten Zeigerteil­e (der wie schwebend wirkende Corpus allein wiegt elf Kilo) verlangten einen Meister, der nach einigen gescheiter­ten Versuchen schließlic­h beim Salzburger Turmuhrbau­er Schauer & Sachs gefunden wurde.

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[ Lena Kienzer] „Your own personal jesus“, Skulptur mit Uhrwerk von Manfred Erjautz.

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