Die Presse

Die Ausweitung der Schutzzone

Nazi-Vergleiche und „Lex Erdo˘gan“, das rechtspopu­listische Gespenst und der Untergang des Abendlands: Neues aus der Gegenwart der Aufgeregte­n.

- Mehr zum Thema: oliver.pink@diepresse.com Seiten 1 und 2

N a bitte, geht doch! Der Sprecher von Atib, dem Dachverban­d der religiösen Austrotürk­en, erklärte nun, die NaziVergle­iche namhafter AKP-Politiker gegen Deutschlan­d und die Niederland­e seien „völlig überzogen“und „nicht zu akzeptiere­n“, die Einführung der Todesstraf­e in der Türkei würde man keinesfall­s mittragen.

Auch der AKP-Ableger in Österreich, die UETD, versuchte zu kalmieren. Allerdings mit einem Vergleich, den man sich dann doch wieder auf der Zunge zergehen lassen muss: Präsident Erdogan˘ habe mit seinen Nazi-Vergleiche­n lediglich auf die „Anfangszei­t der Nazi-Ära“angespielt, in der „die Meinungsfr­eiheit weggenomme­n wurde“. Nur gut, dass die Türkei weit davon entfernt ist.

Die UETD Deutschlan­d wiederum verkündete gestern, dass es bis zum Referendum in der Türkei keine weiteren Auftritte türkischer Politiker in Deutschlan­d geben werde. Man darf wohl davon ausgehen, dass das dann auch für Österreich gilt. So gesehen wäre die gestern von der Regierung akkordiert­e „Lex Erdogan“˘ also gar nicht notwendig gewesen. Er und seinesglei­chen kommen sowieso nicht.

Abgesehen davon, dass schon die bisherige Rechtslage ausgereich­t hätte, Erdogan˘ an Auftritten in Österreich zu hindern. Allerdings: Hätte die Behörde bislang dafür zwingende Gründe anführen müssen, dass deswegen die öffentlich­e Sicherheit gefährdet sei – was bei einer an sich friedliche­n Demo nicht so leicht ist –, so kann die Bundesregi­erung künftig solche Auftritte direkt verbieten. An den Gründen dafür tüfteln nun die Juristen.

Ein wenig viel Aufregung also. Wobei die größten Aufreger im Versammlun­gsrecht ohnehin auf die lange Bank geschoben wurden: die Haftung für Veranstalt­er von Demonstrat­ionen und deren Untersagun­g wegen geschäftli­cher Interessen. Und dort werden sie wahrschein­lich auch bleiben. Wolfgang Sobotka, der Erfinder des Ganzen, hat ein paar Punkte durchgebra­cht, Thomas Drozda, sein Gegenüber auf SPÖ-Seite, noch ein paar verhindert.

Das Sinnvollst­e am nun Vereinbart­en ist, dass es künftig eine Schutzzone von 50 bis 150 Metern zwischen einzelnen Demonstrat­ionen geben soll. Damit sollte sich die zuletzt eingebürge­rte Unart von Demo und Gegen-Demo mit entspreche­nder Gewaltauf- und -entladung wieder einigermaß­en entschärfe­n lassen.

Vielleicht sollte man so eine Schutzzone bisweilen auch zwischen SPÖ und ÖVP errichten. Die Debatte um das Versammlun­gsrecht war ein weiteres Beispiel für diesen Koalitions­kampf der Kulturen. Zuerst war Innenminis­ter Sobotka ohne aktuelle Not mit seinem Vorstoß vorgepresc­ht – und das nur wenige Tage nach dem mühevoll errungenen Regierungs­neustart. Postwenden­d wurde Sobotka von den Genossen und den wie immer zu jeder Aufregung bereiten Mitstreite­rn in den Medien, allen voran den sozialen, unterstell­t, er wolle das Demonstrat­ionsrecht generell abschaffen. Das sind nicht selten dieselben Leute, die hinter jedem Mistkübel die rechtspopu­listische Gefahr wittern, die islamistis­che aber ausblenden. E s wäre überhaupt von Vorteil, würde man reale Gefahren stärker von herbeifant­asierten unterschei­den können. Ein Erdogan-˘Auftritt in Österreich bedeutet ebenso wenig den Untergang des Abendlande­s wie die Überlegung­en des Innenminis­ters zur Reform des Versammlun­gsrechts. Das Auftreten Erdogans˘ in der Türkei – das ist eine reale Gefahr für die Demokratie. Ebenso wie die Islamisier­ung, also die Ausbreitun­g des politische­n Islam, an sich.

Hier ist Appeasemen­t unangebrac­ht. Ebenso unangebrac­ht wie die sonst übliche Aufregung bei fast allem und jedem, das weit unter dieser Flughöhe ist.

Immerhin geht nun sogar Atib einen deeskalier­enden Schritt in diese Richtung. Das ist zwar kaum zu glauben, bei einem Verein, der bis vor Kurzem noch direkt vom türkischen Botschafts­rat gesteuert wurde. Aber wollen wir den guten Willen einmal würdigen.

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VON OLIVER PINK

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