„Freiwillig kommt er nicht mehr“
Seisenbacher. Ein Wiener Judotrainer, der Peter Seisenbacher gut kennt, stützt die Vermutung, dass der zweifache Olympiasieger regelrecht untergetaucht sei. Indes läuft die Fahndung weiter.
Wien. „Er kommt freiwillig sicher nicht mehr nach Österreich.“Dies sagt nun ein Wiener Judotrainer der „Presse“. Und meint damit den derzeit wohl bekanntesten Justizflüchtling Österreichs: Peter Seisenbacher. Der 56-Jährige ist zweifacher Judo-Olympiasieger (Los Angeles, 1984, und Seoul, 1988) und Weltmeister (Seoul, 1985).
Der Betreuer bat die „Presse“darum, nicht namentlich genannt zu werden. Er kennt Seisenbacher gut – den einstigen Weltklasseathleten aus Wien, der schon früher polarisierte (Sperre als Judoverbandskapitän nach einer „Watschenaffäre“) und sich bisher auch kein Blatt vor den Mund nahm. „Ich bin einfach nur extrem enttäuscht“, so der Trainer weiter.
An ein einfaches Fernbleiben des Angeklagten – Seisenbacher wird wiederholter Kindesmissbrauch vorgeworfen – glauben auch andere in der österreichischen Judoszene nicht mehr. Vielmehr verdichten sich die Überlegungen, wonach der Ex-Champ – er hat am 19. Dezember seinen Prozess in Wien einfach platzen lassen – planmäßig untergetaucht sei. Spekulationen gibt es viele, so wähnt ihn ein anderer Judokenner in Kuba, weil dort ein befreundeter Trainer gearbeitet hat.
Neue Identität?
Auch die Geheimdienste Aserbaidschans oder Russlands werden ins Spiel gebracht, die dem ehemaligen Judoka kurzerhand eine neue Identität „geschenkt“haben sollen. Selbst wenn man die Geheimdienste weglässt – eine neue Identität ist an sich gar nicht so abwegig, kursieren doch dieser Tage unbestätigte Angaben, wonach Seisenbacher Ende Dezember Aserbaidschan verlassen haben soll. Dazu muss man wissen: Österreichs einstiges Sommersport-Aushängeschild war zuletzt Nationaltrainer des asiatischen Landes am Kaspischen Meer.
Wenn Seisenbacher also tatsächlich Aserbaidschan verlassen haben sollte und dies erst Ende Dezember der Fall war, dann liegt der Verdacht nahe, dass er wirklich ein falsches Personaldokument hat, musste er doch schon seit dem 19. Dezember dringend mit einer Fahndung rechnen. Ebendiese läuft seither auch.
Zwar versuchte die österreichische Justiz, diesen Umstand wochenlang geheimzuhalten (einmal wurde sogar dezidiert behauptet, es gebe keinen Haftbefehl), das änderte aber nichts daran, dass in praktisch allen österreichischen Medien (und damit per Internet weltweit zu lesen) das Thema Haftbefehl sofort aufgegriffen wurde.
Die Fahndung gilt weltweit, wie das Straflandesgericht Wien am Montag bestätigt hat. Zudem liegt – auch seit 19. Dezember, dem Tag des geplatzten Prozesses – der Europäische Haftbefehl vor. Das Bundeskriminalamt führt zudem eine Personenfahndung durch. Auf einem von zwei auf der Homepage des Innenressorts veröffentlichten Fotos trägt der Gesuchte unge- wohnterweise Bart. Für ein gezieltes Untertauchen spricht ferner der Umstand, dass es den Behörden seit einem Monat nicht gelungen ist, Seisenbacher ausfindig zu machen. Und auch die Tatsache, dass sogar sein Anwalt, Bernhard Lehofer, nun nicht mehr damit rechnet, in absehbarer Zeit Nachricht von seinem Mandanten zu erhalten.
Auch Familie weiß nichts
Dies sagte der Grazer Jurist am Dienstag zur „Presse“. Und: „Ich weiß einfach nicht, wo er ist.“Den letzten Kontakt habe er „einige Tage vor der Verhandlung“, also Mitte Dezember 2016, gehabt, sagt Lehofer. Sollte der 56-Jährige sich bei ihm doch wieder melden wollen, so sei dies kein Problem. „Ich bin leicht erreichbar.“
Dazu kommt, dass laut „Presse“-Informationen auch Seisenbachers Familie nichts über dessen Verbleib weiß.
Wie es nun weitergeht, hängt ganz vom weiteren Verlauf der Fahndung ab. Wird Seisenbacher außerhalb der EU geschnappt, hängt es vom jeweiligen Land ab, wie rasch eine mögliche Auslieferung nach Österreich funktioniert.
Die Vorwürfe gegen den bulligen 1,85-Meter-Mann wiegen schwer: Er soll laut Anklage eine erst neun Jahre alte Judoschülerin in dem seinerzeit von ihm geleiteten Wiener Judoklub zunächst sexuell bedrängt haben. Dies soll im Jahr 1997 – Seisenbacher war damals 37 Jahre alt, angefangen haben. Als das Kind elf war, sollen Geschlechtshandlungen begonnen haben, laut Anklage: schwerer sexueller Missbrauch. Einer 13-Jährigen soll sich der Angeklagte im Sommer 2004 genähert haben. Auch in diesem Fall soll es zu sexuellen Handlungen mit dem Mädchen, das Judo lernen wollte, gekommen sein. Für Seisenbacher gilt die Unschuldsvermutung.