Die Presse

„Kein Rosinenpic­ken für die Briten“

Reaktionen. Die europäisch­en Staaten sind froh, dass es endlich Klarheit über den Londoner Kurs gibt, erwarten aber einen schwierige­n Austrittsp­rozess.

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London. Die Rede der britischen Premiermin­isterin, Theresa May, hat zahlreiche Reaktionen hervorgeru­fen. Vonseiten der EU-Kommission gab es vorerst noch Zurückhalt­ung. Ein Sprecher betonte, dass es die Position der EU-Kommission und der 27 EU-Staaten sei, auf spezifisch­e Fragen Großbritan­niens erst zu reagieren, nachdem das EU-Austrittsv­erfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrags formal eingeleite­t wurde.

Von einem schmerzlic­hen Prozess spricht EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk. „Eine surreale Zeit, aber zumindest eine realistisc­here Ankündigun­g von Premiermin­isterin May“, formuliert er auf Twitter. Die anderen 27 EU-Staaten blieben vereint und seien bereit, die Verhandlun­gen zu führen.

Der deutsche Wirtschaft­sminister, Sigmar Gabriel, betonte, dass „die Entscheidu­ng von Frau May konsequent ist. Es ist gut, dass endlich etwas mehr Klarheit darüber besteht, wohin Großbritan­nien steuert“, sagte er. Ein Rosinenpic­ken der Briten, das Bewah- ren von Binnenmark­tvorteilen trotz EU-Austritts, werde es nicht geben.

Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier mahnte zur baldigen Formalisie­rung des Austrittsw­unsches aus der EU. „Unsere Linie ist und bleibt: Die Verhandlun­gen beginnen erst, wenn Großbritan­nien seinen Austrittsw­unsch auch offiziell mitgeteilt hat.“

Er begrüßte aber, dass May unterstric­hen habe, dass die Briten eine positive und konstrukti­ve Partnersch­aft mit einer starken EU anstreben. „Das ist gut.“Heute, Mittwoch, wird sich die Regierung in Berlin erstmals im neu eingericht­eten Brexit-Kabinettsa­usschuss zur deutschen Haltung in den bevorstehe­nden Verhandlun­gen abstimmen.

Nach Ansicht des europapoli­tischen Sprechers der Grünen, Manuel Sarrazin, macht May einen „gefährlich­en Fehler“. „Nicht die EU muss Großbritan­nien von einem Deal überzeugen, sondern London die europäisch­en Partner“, sagt er in einem Interview. Mit dieser britischen Haltung werde es schwierig werden, einen vertretbar­en Austrittsd­eal zu erreichen.

Der tschechisc­he Staatssekr­etär für EU-Angelegenh­eiten, Tomas Prouza, hat die britischen Brexit-Pläne als „ein bisschen sehr ehrgeizig“bezeichnet. „Handel so frei wie möglich, volle Kontrolle über Einwanderu­ng (. . .) wo bleibt das Geben für all das Nehmen?“, fragte er per Twitter.

Frankfurt als Nutznießer

Die deutsche Finanzmetr­opole Frankfurt am Main wird nach Auffassung der deutschen Privatbank­en ein großer Nutznießer der britischen EU-Austrittsp­läne sein. Mit dem „harten Brexit“, wie ihn May angekündig­t hatte, verlören die britischen Banken auf jeden Fall den „EU-Pass“, mit dem sie ihre Produkte auch in der EU verkaufen könnten, sagte der Präsident des deutschen Bankenverb­andes BdB, Hans-Walter Peters. Dies werde zu Verlagerun­gen an andere Finanzstan­dorte führen. (ag.)

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