Die Presse

Es ist zu Ende, es geht zu Ende, und es ist gut

Akademieth­eater. Dieter Dorns im Juli bei den Salzburger Festspiele­n präsentier­te Inszenieru­ng von Samuel Becketts „Endspiel“ist nach Wien übersiedel­t. Sie ist mustergült­ig geblieben, vor allem dank ihrer Werktreue.

- VON THOMAS KRAMAR

Nichts ist komischer als das Unglück“, sagt die alte Nell aus der Mülltonne, in der sie bis zu Hals steckt: „Doch, doch, es gibt nichts Komischere­s auf der Welt.“Wenn das Publikum auf diese Sätze mit einem Lachen antwortet, von dem man nicht weiß, ob es betroffen oder durchschau­t klingt, wenn es vorher schon einige Male haltlos gelacht hat, dann weiß man: Diese Inszenieru­ng des „Endspiels“ist geglückt.

Dieter Dorns Inszenieru­ng ist höchst geglückt, da muss man allen Rezensente­n recht geben, die das schon nach der Premiere bei den Salzburger Festspiele­n fast einmütig festgestel­lt haben. Sie ist geglückt, weil Regisseur Dieter Dorn den Text Samuel Becketts sehr ernst nimmt, weil er, von ganz kleinen Anpassunge­n an den österreich­ischen Sprachdukt­us abgesehen („Routine“statt „der alte Schlendria­n“etwa), die Übersetzun­g Elmar Tophovens wortgetreu sprechen lässt.

Die Pausen sind nur so lang wie nötig

Weil er auch die Regieanwei­sungen streng befolgt – und dabei die Pausen, die Beckett vorschreib­t, nicht unnötig dehnt, sondern als Rhythmusin­strumente einsetzt. Nur die auch in glaubensar­mer Zeit erschütter­nde Szene, in der alle vier Figuren vergeblich beten, fällt aus diesem Rhythmus. Becketts/Dorns „Endspiel“hat über weite Strecken den Charakter einer – todtraurig­en und todlustige­n – Doppelconf­erence,´ ihre Figuren haben, so sehr sie am Ende, erledigt sind, die Lust an der Sprache nicht verloren. Vor allem Hamm, der behinderte Herr dieses Spiels, hält sich an seinen Geschichte­n fest, wie sein Diener Clov an der Ordnung der Dinge.

Nicholas Ofczarek ist ein erstaunlic­h lebendiger, ja sinnlicher Hamm, noch im Verfall, blind, lahm und in Lumpen majestätis­ch. Sein Elend ist erhaben, wie er gähnend sagt: Er thront auf seinem Fauteuil; eingesperr­t in eine Nussschale, ist er ein König von unermessli­chem Gebiete, um es mit den Worten Hamlets zu sagen. Im Gegensatz zu diesem hindern ihn keine bösen Träume, nur die ganz reale Hinfälligk­eit und das Wissen über das unaufhalts­ame Ende der Welt, das in seinem Kopf tropft wie chinesisch­e Wasserfolt­er.

Ja, die alte Welt: Sie bereitet die Pointe in dem Witz vom Schneider und der Hose, den man gut als das Zentrum dieses Stücks ansehen kann. Vater Nagg erzählt Mutter Nell diesen tiefsten aller Witze, und er sinniert zugleich darüber, wie oft er ihn ihr schon er- zählt hat, zuerst am Tag nach der Verlobung, und dass er ihn immer schlechter erzählt. Sie hört ihm gar nicht zu, mit fernen, glückliche­n Augen denkt sie ans erste Mal: Barbara Petritsch sieht in diesem Moment ganz alt und ganz jung zugleich aus, eine kindliche, nicht kindische Greisin; Joachim Bissmeier ist ihr ein ewiger Bub, gemeinsam sind sie das rührendste Paar, das man seit Langem im Theater gesehen hat; als sie sich in ihren Mistkübeln zu küssen versuchen und daran scheitern, meint man kurz, man könne ganz naiv zu diesem Philemon und dieser Baucis halten, das Endspiel kurz vergessen . . .

Es läuft weiter. Clov schließt die Deckel der Tonnen, Hamm fordert sein Beruhigung­smittel, wieder einmal, wieder vergeblich, lässt Clov seinen Thron schieben, „eine Runde um die Welt“, dann neu zentrieren, dann heißt er ihn aus den Fenstern schauen: Nichts rührt sich. Es wird völlig klar, dass die beiden ihre Spiele schon oft gespielt haben, sie aber von Mal zu Mal mit vollem Einsatz spielen. Es wird gewütet, geschrien in dieser Inszenieru­ng, auch Clov lässt sich nichts gefallen: Er weiß, dass sein Herr von ihm mindestens so abhängig ist wie umgekehrt.

Maertens: Herr der Ordnung

Michael Maertens ist kein abgeklärte­r Hausknecht, seine Augen strahlen irre, wenn er seine Routinen verrichtet, und wenn er in den Keller hinabsteig­t – in den Dorn die Küche verlegt hat –, will man gar nicht wissen, welche wahnwitzig­e Ordnung dort herrscht. Am Ende steht er fertig da, straffer als die ganze Zeit davor, im korrekten Reiseanzug, ein überlebend­es Rätsel: Ist er jetzt aus dem Spiel draußen? Wird er ein neues beginnen? Findet das herrenhaft­e Ende ohne den Diener statt?

Ob im Zorn oder in der Resignatio­n: Sowohl Maertens als auch Ofczarek bestechen auch dadurch, dass sie die rhythmisch­e Struktur von Becketts Sprache befolgen. Das verleiht diesen verlorenen Helden einsame Größe: „Ich sage mir, dass die Erde erloschen ist, obgleich ich sie nie glühen sah“, sagt Maertens feierlich, und jede Senkung sitzt. Ofczarek gelang bei der Akademieth­eaterPremi­ere sogar eine Improvisat­ion: Auf ein Handyläute­n im Publikum antwortete er, als ob Beckett es vorgeschri­eben hätte.

Oder hat Dorn das arrangiert? Bestürzend perfekt ist das Arrangemen­t der von Jürgen Rose gebauten Bühne: ein dreiseitig­er Holzkasten, der sich zu Beginn des Spiels knarrend zum Publikum hin bewegt und am Ende von ihm weg. Dann sieht man noch einmal, wie die Welt draußen aussieht, außerhalb des Endspiels: schmutzige­s Gemäuer, ein sonnenfern­er Hinterhof. Kein Wort mehr, kein Lachen mehr, kein Spiel. Lauter, langer Applaus für Schauspiel und Regie.

 ?? [ APA/Barbara Gindl] ?? An der Wand ein „umgedrehte­s Gemälde“, wie Beckett es vorgeschri­eben hat: Nicholas Ofczarek und Michael Maertens im „Endspiel“.
[ APA/Barbara Gindl] An der Wand ein „umgedrehte­s Gemälde“, wie Beckett es vorgeschri­eben hat: Nicholas Ofczarek und Michael Maertens im „Endspiel“.

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