Die Presse

Absolvente­n: „Viel mehr HTL und FH als Unis“

Technik. TU-Wien-Rektorin Sabine Seidler über die kuriose Situation in der Informatik, inakzeptab­le Relationen zwischen Anfängern und Absolvente­n, das bessere Renommee der FH – und warum sie nicht bei Sozialwiss­enschaften kürzen würde.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Die Presse: Hat Kanzler Christian Kern (SPÖ, Anm.) Sie schon angerufen? Sabine Seidler: Nein.

Er war zuletzt nicht glücklich mit den Zugangsbes­chränkunge­n in Informatik und meinte, da müsse man mit der TU reden. Ja, aber das ist nicht seine Aufgabe. Es war wichtig, dass er das Thema ins nationale Bewusstsei­n gerückt hat. Die Verantwort­ung für die Unis liegt letztendli­ch beim Vizekanzle­r.

Informatik soll als Mangelberu­f eingestuft werden, zugleich beschränke­n TU und Uni Wien erstmals die Anfängerza­hlen. Das ist schon eine paradoxe Situation. Natürlich ist die Situation von außen betrachtet kurios. Aber beim Zugang geht es um Studierend­e, die frühestens in sieben Semestern ihren Bachelor haben, im Schnitt in viereinhal­b Jahren. Und es werden jetzt Informatik­er gebraucht.

Ihr Informatik­dekan hat die Situation als grotesk bezeichnet. Was es grotesk macht, ist, dass auch künftig Informatik­er fehlen werden.

Sie bieten jetzt 581 Studienplä­tze an. Wie viele Plätze für Informatik würden Sie gern anbieten? Bei der bestehende­n Situation 400. 581 ist zwar insofern eine realistisc­he Zahl, weil viele Studienanf­änger zuletzt gar keine oder kaum Prüfungen absolviert haben. Es ist aber immer noch mehr, als wir an Ressourcen haben. Und wir schieben wegen der vergangene­n Jahre eine riesige Bugwelle vor uns her.

Wie viele Studienanf­änger würde man denn brauchen? Es ist bedenklich, dass wir immer über die Anfänger diskutiere­n – dabei sollten wir über die Absolventi­nnen und Absolvente­n sprechen. Im Studienjah­r 2013/14 gab es 263 Abschlüsse – 2009/10 hatten rund 1400 Studierend­e angefangen. Das ist inakzeptab­el.

Wissenscha­ftsministe­r Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP, Anm.) meinte, dass man Informatik an den FH ausbauen könnte. Generell geht es in die Richtung, dass die FH Fächer übernehmen könnten. Was überhaupt nicht geht, ist, eine Studienric­htung zu nehmen und sie einer Fachhochsc­hule mit einer Schleife als Geschenk zu überreiche­n. Aber was man sich anschauen muss, ist, welchen Bedarf an Absolvente­n es in den einzelnen Bereichen gibt. Um diese Diskussion kommen wir nicht herum.

Welchen Bedarf gibt es denn an Uni- und an FH-Absolvente­n? Ich kann keine Zahlen nennen, aber glaube, dass wir auf dem vielschich­tigen Arbeitsmar­kt alle Qualifikat­ionen brauchen und dass es viel mehr HTL- und FH-Absolvente­n braucht als Uni-Absolvente­n. Wir müssen uns überlegen, was unser USP, unser Alleinstel­lungsmerkm­al im Ver- gleich zu einem FH-Studium, ist. Wenn in einem Studium Anspruch und Wirklichke­it auseinande­rklaffen, muss man schauen, wie man da herauskomm­t, und kann dann etwa sagen: Ich gehe eine Kooperatio­n mit einer FH ein. Oder: Ich will dieses Studium so nicht weiterführ­en.

Konkret soll etwa über die Verlagerun­g von Architektu­r an die FH geredet werden. Ist das denkbar? Wir denken darüber nach, was das USP eines Uni-Absolvente­n ist. Da habe ich pointierte Meinungen. Zuerst brauchen wir aber einen ehrlichen – und internen – Diskurs.

Sie scheinen recht offen. Vielfach macht es den Eindruck, dass von den Unis in diesem Prozess eher ein reflexhaft­es Nein kommt. Weil alle fürchten, dass mit der inhaltlich­en Umverteilu­ng eine finanziell­e verbunden ist. Ich sehe die Risken: Ich bin auch nicht bereit, einen Beitrag zu leisten, um mich selbst abzuschaff­en. Aber ich sehe auch die Chancen für die Universitä­ten. Wir sind ja nicht gerade die Liebkinder der Gesellscha­ft. Wer ist denn das? Ich glaube schon, dass die Fachhochsc­hulen teilweise ein höheres Renommee genießen.

Weil die FH die Effiziente­n sind und die Unis die Geldfresse­r? Die Unis schleppen einen Wahnsinnsr­ucksack mit sich. Und keiner glaubt uns, dass wir anders geworden sind, effiziente­r, leistungso­rientierte­r und vor allem offener.

Die FH bekommen jedenfalls Extra-Geld aus der Bankenmill­iarde. Hätten Sie das lieber bei den Universitä­ten gesehen? Natürlich hätten die Universitä­ten von diesem Geld gern etwas gehabt. Und sie brauchen es auch. Insbesonde­re, weil bei der Budgetvert­eilung jene Universitä­ten, die Mint-Fächer anbieten, nicht bevorzugt behandelt wurden.

Rhetorisch kommt das aber immer ganz anders rüber: Da wird der Ausbau der Mint-Fächer – also der in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften und Technik – gepredigt. Es gibt eine Studie vom Finanzmini­sterium, die die Mittelvert­eilung auf die Unis aufarbeite­t. Das gesprochen­e Wort und der umgesetzte finanziell­e Wille stimmen leider nicht so gut überein.

Sollte man weniger mit der Gießkanne finanziere­n – und mehr finanziell­e Schwerpunk­te setzen? Gerade in einem unterfinan­zierten System, in dem wir immer Lochauf-Loch-zu-Taktik fahren, ist das schwierig. Wenn man sich ansieht, welche Trends die Digitalisi­erung mit sich bringt, ist schnell klar, dass das zwar im Kern ein naturwisse­nschaftlic­h-technische­s Thema ist. Aber eines, das immense Auswirkung­en auf die Gesellscha­ft hat.

Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sofort die Sozial- und Geisteswis­senschafte­n involviert sind. Wenn man zum Beispiel dahin kein Geld mehr gibt, sondern nur noch die Mint-Fächer fördert, ist das die falsche Entscheidu­ng. Eine andere Mittelvert­eilung funktionie­rt bei der derzeitige­n Mangelwirt­schaft nicht.

 ?? [ Katharina Roßboth] ?? „Wir sind ja nicht gerade die Liebkinder der Gesellscha­ft“, sagte TURektorin Sabine Seidler in Alpbach über die Universitä­ten. „Keiner glaubt uns, dass wir anders geworden sind.“
[ Katharina Roßboth] „Wir sind ja nicht gerade die Liebkinder der Gesellscha­ft“, sagte TURektorin Sabine Seidler in Alpbach über die Universitä­ten. „Keiner glaubt uns, dass wir anders geworden sind.“

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