Die Presse

Der letzte gemeinsame Sommer

Film. Das Porträt eines Außenseite­rs, die Geschichte eines Abschieds: Das Stadtkino zeigt zwei Filme des vielverspr­echenden österreich­ischen Regisseurs Peter Brunner.

- VON ANDREY ARNOLD

Das Stadtkino zeigt Filme des vielverspr­echenden Regisseurs Peter Brunner (im Bild eine Szene aus „Jeder, der fällt, hat Flügel“).

Peter Brunner ist einer der interessan­testen Nachwuchsr­egisseure Österreich­s – nicht zuletzt, weil sich sein filmischer Zugang deutlich von dem abhebt, was man landläufig mit österreich­ischem Kino assoziiert. Michael Haneke zählt zwar zu seinen wichtigste­n Mentoren, doch Brunners ästhetisch­e Sensibilit­ät ist der eines Leinwandtr­aumwandler­s wie Andrei Tarkowski viel näher. Seine Filme sind phantasmag­orische Streifzüge durch das Fantasie- und Erinnerung­sdickicht versehrter Figuren, sie oszilliere­n zwischen Härte und Sanftmut, Surrealism­us und Sinnlichke­it und bleiben stets unerschroc­ken frei in Montage und Narration. Bisher waren sie fast nur auf Festivals zu sehen: Nun zeigt das Wiener Stadtkino zum Saisonauft­akt Brunners aktuelle Arbeit, „Jeder, der fällt, hat Flügel“im Verbund mit dessen 2013er-Soloregied­ebüt, „Mein blindes Herz“.

Letzteres ist das schroffe Porträt eines Außenseite­rs und Gesellscha­ftsverweig­erers: Das Marfan-Syndrom raubt Kurt die Sehkraft und treibt ihn in die Isolation. Nach dem Tod seiner Mutter (Susanne Lothar in ihrer letzten Rolle) streunt er durch Wiens desolate Winkel, wird zum wütenden Aktionskün­stler ge- gen das Schicksal – ein Weg, der trotz des (a)moralische­n Beistands durch Kurzzeitge­fährten (Jana McKinnon, Georg Friedrich) nur in Selbstzers­törung münden kann: Ein wiederkehr­ender (Zeitlupen-)Traum von einer unheimlich­en Todesturbi­ne zeichnet das Ende vor. Hauptdarst­eller Christos Haas leidet selbst an der Bindegeweb­serkrankun­g, seine Performanc­e ist von sengender Intensität. „Mein blindes Herz“fühlt sich mit seinen kontrastre­ichen Schwarz-Weiß-Bildern und der kompromiss­losen Low-Budget-Inszenieru­ng extremer Gefühlslag­en und antisozial­er Verhaltens­weisen an wie eine Punk-Geste („No future“, nicht „Gabba gabba hey“). Es ist zweifellos ein offensiver Film – doch aus der Innenschau, die er mit unvermitte­lten Rückblende­n und poetischen Voice-over-Passagen betreibt, spricht tiefe Melancholi­e.

Ein Finsterwes­en wandelt durchs Bild

Die Textur von „Jeder, der fällt, hat Flügel“– benannt nach einer Zeile aus Ingeborg Bachmanns Gedicht „Das Spiel ist aus“– mutet zunächst ganz anders an. Darin besucht die 15-jährige, asthmakran­ke Kati (wieder Jana McKinnon, die sich in Brunners Filmen als Jungtalent empfiehlt) mit der kleinen Schwester ihre Großmutter, die bald sterben wird – oder vielleicht schon gestorben ist. Der fragmentie­rt erzählte Film lässt innere und äußere Realitätse­benen ineinander­fließen, sein Hauptschau­platz – ein idyllische­s, sonnengekü­sstes Haus mit Garten – wird zur Tauchstati­on des Unbewusste­n. Impression­istische Berührungs­bilder wie bei Terrence Malick wechseln sich ab mit Dialogsequ­enzen von eindrucksv­oller Natürlichk­eit und betörender Intimität (die Großmutter wird von der Mutter des Regisseurs gespielt). Und immer wieder wandelt ein unheimlich­es Finsterwes­en als Todesvisio­n durchs Bild und schickt einem kalte Schauer über den Rücken.

„Jeder, der fällt, hat Flügel“ist ein von großem Schmerz und ebenso großer Zärtlichke­it erfülltes Werk über den Abschied von einem geliebten Menschen. Dass es auf persönlich­er Erfahrung fußt – das Haus, in dem der Film gedreht wurde, gehörte vor ihrem Tod Brunners eigener Großmutter –, spürt man in jeder Einstellun­g. Derzeit arbeitet Brunner in New York mit McKinnon und Michael Pitt an seinem neuen Projekt, „To the Night“. Man darf gespannt sein.

Filmhaus Kino (Wien VII, Spittelber­ggasse 3): 2. bis 8. September jeweils „Mein blindes Herz“um 19 Uhr, „Jeder, der fällt, hat Flügel“um 21 Uhr.

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 ?? [ Cataract Vision ] ?? Der letzte gemeinsame Sommer? Jana McKinnon als Kati und Renate Hild als todkranke Großmutter in Peter Brunners Film „Jeder, der fällt, hat Flügel“.
[ Cataract Vision ] Der letzte gemeinsame Sommer? Jana McKinnon als Kati und Renate Hild als todkranke Großmutter in Peter Brunners Film „Jeder, der fällt, hat Flügel“.

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