Die Presse

Trost für Brasilien

Das Trauma der Heim-WM 2014 war nicht zu überwinden. Dass Brasilien im Endspiel aber ausgerechn­et gegen Deutschlan­d gewann, tat der brasiliani­schen Volksseele unendlich gut.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Der Gastgeber holt sich zum Ende der Spiele in Rio Gold beim Fußball.

Rio. Niemand, Lionel Messi und Cristiano Ronaldo ausgenomme­n, kann sich vorstellen, was es bedeutet. Wie viel Leistungsd­ruck kann ein Mensch, ein Sportler, ertragen? Wie hoch kann die Erwartungs­haltung von Fans und Medien an eine Person sein? Neymar da Silva Santos Ju´nior, kurz Neymar, ist ein begnadeter Fußballer, in Brasilien beherrscht das Spiel definitiv niemand besser als er. Schon als Teenager wurde er in seiner Heimat verehrt und gefeiert, sein Transfer nach Europa zum FC Barcelona im Sommer 2013 festigte seinen Kultstatus.

Wer, wenn nicht er, soll also den Erfolg der brasiliani­schen Nationalma­nnschaft sicherstel­len? Wer es versteht, den Ball derart geschickt zu behandeln, der muss stets vorangehen. Als sich bei der WM vor zwei Jahren der Fokus der Fußballwel­t auf Gastgeber und Titelanwär­ter Brasilien richtete, erlebte Neymar zum ersten Mal die ganze Brutalität des Spiels. Im Viertelfin­ale gegen Kolumbien von Gegenspiel­er Juan Zu´n˜iga böse verletzt, konnte er seiner Mannschaft, ja seinem Land, im weiteren Turnierver­lauf nicht mehr helfen. Das 1:7 im Halbfinale gegen Deutschlan­d war nicht nur eine sportliche Schmach in Reinkultur, nein, das war ein nationales Drama.

Eine schicksalh­afte Begegnung

Zwei Jahre später sind die Wunden der Brasiliane­r nicht verheilt, ist das Trauma nicht überwunden. Jedoch, die Olympische­n Spiele wirkten schmerzlin­dernd. Es hatte unbestritt­en schicksals­trächtigen Charakter, dass das Finale die Auswahlen von Brasilien und Deutschlan­d zusammenfü­hrte, die Stätte des Geschehens war eine weltbe- rühmte. Das Maracana˜ versprühte wieder seine Magie, und keiner der vielen Tausenden Brasiliane­r im Stadion wollte auch nur ansatzweis­e daran denken, was eine erneute Niederlage gegen Deutschlan­d für die Volksseele bedeuten würde.

Gold im Fußballtur­nier der Männer, das erste der Geschichte, hatte in Brasilien absolute Priorität. Auch Volleyball und Beachvolle­yball genießen höchstes Ansehen, an König Fußball aber führt kein Weg vorbei. Umso beängstige­nder verlief der Auftakt dieses Turniers. Jeweils 0:0 gegen Südafrika und den Irak, eine Pein.

Im Kreuzfeuer der Kritik stand, wer sonst, Neymar. Zunächst enttäuscht­e der Superstar, erst im Viertelfin­ale erzielte er sein erstes Tor. Da hatten brasiliani­sche Zeitungen ihre Leser schon dazu aufgerufen, Neymar-Trikots gegen Dressen von Marta, der besten Fußballeri­n des Landes, zu tauschen. Doch der 24-Jährige steigerte sich, im Finale (5:4 nach Elfmetersc­hießen, 1:1 nach Verlängeru­ng) bot er seine beste Leistung. Nachdem er schon in der regulären Spielzeit per Traumfreis­toß getroffen hatte, war es natürlich auch Neymar, der den letzten und entscheide­nden Elfmeter verwandelt­e. Es war der Schuss ins Glück, begleitet von grenzenlos­em Jubel und Tränen der Erleichter­ung. „Das ist eines der besten Dinge, die mir je in meinem Leben passiert sind“, sagte der Superstar, der nach dem Spiel ankündigte, sein Kapitänsam­t niederlege­n zu wollen.

Diese Botschaft ging im Sog der Emotionen regelrecht unter, Brasilien wollte den Moment des Triumphs in vollen Zügen genießen. „Ich bin sicher, dass dieser Sieg den Brasiliane­rn Stolz und Selbstvert­rauen gibt“, erklärte Trainer Rogerio´ Micale. „Der brasiliani­sche Fußball ist nicht tot.“

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[ imago ] Ein Selfie der Emotionen: Neymar, bei der WM 2014 noch die tragische Figur, erlöste die Selec¸ao˜ mit Olympia-Gold.

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