Die Presse

ÖVP-Vorzugssti­mmenmodell verfassung­swidrig

Recht. Die Wiener ÖVP verschärft den internen Konkurrenz­kampf, damit alle Kandidaten um ihr eigenes Mandat stärker kämpfen müssen. Die dazu beschlosse­ne interne Regelung zu Vorzugssti­mmen ist allerdings verfassung­swidrig.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Wien. Gernot Blümel, Obmann der Wiener ÖVP, verschärft den internen Konkurrenz­kampf. Durch die radikale interne Senkung der Vorzugssti­mmenhürde müssen künftig ÖVP-Mandatare stärker um ihre Wähler kämpfen – „Die Presse“berichtete in ihrer Mittwochau­sgabe.

Die Regelung, die im April beim ÖVP-Landespart­eitag grundsätzl­ich beschlosse­n wurde, hat aber einen Haken: Sie ist verfassung­swidrig. „Die gesetzlich­e Regelung geht vor. Und man kann nicht eine parteiinte­rne Regelung über das Gesetz stellen“, sagt Verfassung­sjurist Heinz Mayer zur „Presse“. Wem laut offizielle­r (von einer Partei vor der Wahl eingereich­ten) Liste ein Mandat zustehe, der habe Anspruch darauf. „Das kann ihm niemand nehmen“, so Mayer. Nachsatz: „Natürlich kann jemand auf die Annahme des Mandats verzichten. Aber dazu kann ihn niemand zwingen.“

Verzichtse­rklärung ungültig

Damit besteht die Gefahr, dass ein Kandidat, dem nach der Wahl ein gut dotiertes Mandat zusteht, doch nicht darauf verzichtet – weil er sonst leer ausgehen würde.

Das sind keine rein theoretisc­hen Überlegung­en, wie der Fall Sonja Ablinger bei der SPÖ gezeigt hat. Nach dem Tod von Nationalra­tspräsiden­tin Barbara Prammer im Jahr 2014 sah die SPÖ-interne Regelung vor, dass auf eine Frau eine Frau folgen muss. Immerhin hatte die Partei eine entspreche­nde Frauenquot­e beschlosse­n. Das Mandat wäre demnach an die Oberösterr­eicherin Sonja Ablinger gegangen. Rechtlich hätte dazu der Gewerkscha­fter Walter Schopf verzichten müssen, der auf der amtlichen SPÖ-Wahlliste direkt hinter Prammer stand. Er tat es nicht, zog statt Ablinger in den Nationalra­t ein, was zu schweren innerparte­ilichen Turbulenze­n bei der SPÖ führte – inklusive eines Parteischi­edsgericht­s. In der Folge trat Ablinger als Landesfrau­envorsitze­nde zurück und aus der SPÖ aus.

Könnte nicht eine Partei auf die Idee kommen, sich dagegen abzusicher­n? Stichwort: Blankoverz­ichtserklä­rungen vor der Wahl. Dazu Mayer: „Der Verfassung­sgerichtsh­of hat bereits in den 1950erJahr­en entschiede­n, dass Blankoverz­ichtserklä­rungen ungültig sind.“Damals habe es entspreche­nde Fälle gegeben, das Höchst- gericht habe darauf geantworte­t: „Die Regelung widerspric­ht dem freien Mandat.“

Der Wiener ÖVP ist die rechtliche Situation bewusst, man hält die eigenen Mandatare für „moralisch genug gefestigt“um ein AblingerSz­enario auszuschli­eßen. Immerhin sei das System bei der WienWahl erprobt worden und hätte funktionie­rt: Ingrid Korosec und Gudrun Kugler seien per Vorzugssti­mmen doch noch in den Gemeindera­t gekommen – nachdem Caroline Hungerländ­er und Wolfgang Kieslich anstandslo­s verzichtet hätten. Dazu Vizepartei­managerin Iris Müller-Guttenbrun­n: „Wir treten für eine Stärkung des Persönlich­keitswahlr­echts ein und geben uns daher selbst Regeln, die über die gesetzlich­e Regelungen hinausgehe­n.“

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