Die Presse

„Wir müssen das Publikum unterhalte­n“

Justiz. Was haben Buwog- und Bawag-Prozess gemeinsam? Inhaltlich nichts, aber die Äußerlichk­eiten legen einen Vergleich nahe. Karl-Heinz Grasser kam schon damals vor. Und die Dimensione­n sind in beiden Fällen rekordverd­ächtig.

- VON MANFRED SEEH

Wien. Beim Bawag-Verfahren rund um Helmut Elsner und Co. war so mancher Superlativ bemüht worden. „Größter Prozess der Zweiten Republik“wurde das Justizspek­takel um die verlustrei­chen Karibikges­chäfte der damaligen Gewerkscha­ftsbank genannt (wenngleich auch die Erste Republik keinen größeren Prozess verzeichne­te). Und nun: Statt Bawag also Buwog. Was auf den ersten Blick nichts miteinande­r zu tun hat, ist bei näherer Betrachtun­g durchaus einen Vergleich wert. Vor allem, weil es erneut um einen Strafproze­ss der Rekorde geht.

Neun Angeklagte teilten sich beim Bawag-Prozess die hölzerne Anklageban­k im denkmalges­chützten Großen Schwurgeri­chtssaal des Wiener Landesgeri­chts für Strafsache­n. Diesmal sind 16 Personen angeklagt. Und ja, auch diesmal wird es wohl wieder „Schauplatz Schwurgeri­chtssaal“heißen. Man darf die Wette wagen, dass die Tonanlage wie immer nicht richtig funktionie­ren und die Hitze, wenn es denn Sommer wird (Sommer 2017 als Prozesssta­rt für den Buwog-Prozess ist durchaus realistisc­h), mangels ordentlich­er Klimatisie­rung ziemlich lähmend sein wird.

Zwei, um die sich alles dreht

Der Bawag-Prozess hatte seine alles überstrahl­ende Figur, nämlich den streitbare­n, vielleicht nicht besonders empathisch­en, aber jedenfalls charismati­schen Helmut Elsner. Gegen Elsner verblasste­n alle anderen. „Die Presse“schrieb damals (nicht ganz so zartfühlen­d, aber treffend) über die Nummer zwei der Angeklagte­n-Riege im Bawag-Verfahren, nämlich über Elsner-Nachfolger Johann Zwettler: „Zwettler ist der, der den Fotografen im Weg steht, wenn sie sich auf Elsner und Flöttl stürzen.“Zur Erinnerung: Elsner bekam wegen Untreue die Höchststra­fe, zehn Jahre Haft, Zwettler fünf Jahre, Spekulant Wolfgang Flöttl wurde freigespro­chen.

Damit sind gleich zwei Stichworte gefallen: Auch der anrollende Prozess um die laut Anklage von Korruption begleitete Privatisie­rung von Bundeswohn­baugesells­chaften (Buwog) hat sein personifiz­iertes Zentralges­tirn: Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser. Und auch jetzt geht es in erster Linie um dasselbe Delikt: Untreue. Mit derselben Strafdrohu­ng: bis zu zehn Jahre Haft.

Weitere interessan­te Parallelen: Auch im Buwog-Verfahren wird ein prominente­r Ex-Bankdirekt­or, der Ex-Chef der Raiffeisen Landesbank Oberösterr­eich Ludwig Scharinger, als Angeklagte­r geführt (bei ihm geht es nicht um das Thema Buwog, sondern um den Sachverhal­t Terminal Tower). Einschränk­end sei angemerkt: Sämtliche 16 Angeklagte­n im Buwog-/Terminal-Tower-Verfahren können noch Einsprü- che gegen die Anklagesch­rift einbringen. Und für alle 16 gilt die Unschuldsv­ermutung. Anklage-Einsprüche sind in der Regel jedoch nicht dazu geeignet, einen Prozess vom Tisch zu wischen, sie zielen auf das Aufspüren und Beseitigen von Fehlern in der Anklage ab. Jedenfalls aber hemmen sie die konkreten Vorbereitu­ngen des Gerichts.

Nächstes Stichwort: Prozesslei­tung. Das Bawag-Verfahren wurde bekanntlic­h von einer Frau geleitet, von der Richterin Claudia Bandion-Ortner, die damit den Prozess ihres Lebens zugeteilt bekam, später dem Ruf in die Politik folgte und per ÖVP-Ticket Justizmini­sterin wurde. Nach zweieinvie­rtel Jahren wurde sie jedoch abgelöst. Mittlerwei­le ist sie wieder Richterin in „ihrem“Gericht, eben dem Straflande­sgericht Wien (vulgo: Graues Haus). Eine Kollegin von ihr, Richterin Marion Hohenecker, wird nun als künftige Buwog-Richterin gehandelt (dafür sind prozessrec­htliche Gründe ausschlagg­ebend).

Die Wege von Bandion-Ortner und Grasser kreuzten sich zweimal: Einmal, März 2007, wurde Grasser unter regem Publikumsi­nteresse im Bawag-Prozess in den Zeugenstan­d gerufen. Zum Auftakt seiner Aussage tat er selbstsich­er kund: „Wir müssen das Publikum ein bisschen unterhalte­n.“

Dann wurde er gefragt, warum ihm als Finanzmini­ster der Bawag-Skandal jahrelang entgangen war. Zeuge Grasser verwies dabei auf das „gute aktive und passive Verschleie­rn“der Bank.

Zum zweiten Mal hatte Bandion-Ortner mit Grasser zu tun, als sie bereits Ministerin war: Sie gab Anfang 2011 eine mündliche Weisung, das Buwog-Ermittlung­sverfahren „bis zum Sommer“abzuschlie­ßen. (Später wurde gestritten, ob es sich wirklich um eine Weisung, die Ankündigun­g einer Weisung oder eine bloße Empfehlung gehandelt habe.) Diese holprige Episode sollte den Abschied der Ministerin beschleuni­gen. Und es sollte viel länger, bis Juli 2016 dauern, ehe das Buwog-Vorverfahr­en so weit fortgeschr­itten war, dass die Anklage präsentier­t werden konnte. Wie lang werden Grasser und Co. nun auf gerichtlic­he Entscheidu­ngen warten müssen? Im Bawag-Prozess war die Anklage im März 2007 fertig. Die gerichtlic­he Aufarbeitu­ng dauerte ein Jahr. Vom 16. Juli 2007 bis 4. Juli 2008. Unglaublic­he 117 Verhandlun­gstage zogen ins Land.

Rechtskraf­t im Jahr 2022?

Von Rechtskraf­t war in erster Instanz keine Spur. Es vergingen nicht weniger als zweieinhal­b Jahre, ehe der OGH weite Teile des Ersturteil­s aufhob. Und eine teilweise Neuaustrag­ung der Karibikver­handlung verlangte. Im Frühling 2012 begann diese. Dabei wurden – es war mittlerwei­le Dezember 2012 – etliche Schuldsprü­che in Freisprüch­e umgewandel­t. Die Staatsanwa­ltschaft wollte dies nicht hinnehmen, kündigte trotzig einen erneuten Gang vor die Höchstrich­ter an, verzichtet­e dann aber darauf, sodass im März 2013 ein Schlussstr­ich gezogen wurde. Sechs Jahre nach Anklageein­bringung.

Somit kann man sich in etwa vorstellen, dass der um einiges größer konzipiert­e Buwog-Prozess mindestens genauso lang dauert. Eher länger. Hier hat allein die Anklagesch­rift 825 Seiten, die Bawag-Anklage war auch umfangreic­h, nimmt sich mit 109 Seiten aber vergleichs­weise wie eine Einleitung aus. Bei sechs Jahren bis zur „Buwog-Rechtskraf­t“wären wir im Jahr 2022.

Nur beim Schaden schlägt Bawag die Buwog um Längen: Der Spekulatio­nsverlust der früheren Elsner-Bank wurde mit 1,4 Milliarden Euro festgestel­lt. Für Grasser und Co. gilt laut (nicht rechtskräf­tiger) Anklage ein Schaden von „nur“zehn Millionen Euro.

 ?? [ Jaeger/APA/picturedes­k.com ] ?? Karl-Heinz Grasser und Jörg Haider eröffneten im Mai 2006 demonstrat­iv Bawag-Sparbücher. Am Schalter: der damalige Bankdirekt­or Ewald Nowotny. Später war Grasser Zeuge im Bawag-Prozess.
[ Jaeger/APA/picturedes­k.com ] Karl-Heinz Grasser und Jörg Haider eröffneten im Mai 2006 demonstrat­iv Bawag-Sparbücher. Am Schalter: der damalige Bankdirekt­or Ewald Nowotny. Später war Grasser Zeuge im Bawag-Prozess.
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