Die Presse

Mit einiger Verspätung rollt Alfa Romeos Giulia endlich in die Schauräume. Hat die italienisc­he Schönheit das Zeug zur Quereinste­igerin in das Premium-Segment?

Neuvorstel­lung.

- VON TIMO VÖLKER

Der neue Star der Mailänder Traditions­marke kommt, wie bei Diven üblich, spät. Vor elf Monaten wurde Romeos Giulia stolz präsentier­t, Andrea Bocelli sang live „Nessun dorma“aus Turandot, dann brüllte die 510 PS scharfe Giulia selbst, alle waren sehr ergriffen und gespannt auf das, was lang nicht kam.

Giulia entert den Markt also gut gereift. Ihren äußeren Formen nach sowieso – die üppigen Kurven, dort, wo sie hingehören, und die gespannten Linien, dort, wo wir sie gerne sehen, waren und sind immer noch eine italienisc­he Paradedisz­iplin. Bei aller wiederentd­eckter Sportlichk­eit und Eleganz ist Giulia auch noch ein Leichtgewi­cht: 1374 Kilo für die Basisvaria­nte und 1580 für den V6-Bi-Turbo-Überfliege­r sind feine Werte, die den deutschen Mitbewerb derzeit dreistelli­g unterbiete­n. Dazu passen Spaltmaße und Passgenaui­gkeit von Außenhaut, Dichtungen und Scheiben, die Türen schließen satt und leichtgäng­ig – alles greifbarer Stallgeruc­h von Qualität. Die sich auch drinnen fortsetzt: Das Cockpit ist Pilotenori­entierung pur, sogar der herrliche Startknopf am Volant hat es in die Serie geschafft, halt schwarz statt feuerrot.

Sportlich und komfortabe­l

Vorerst startet er aber nur einen Diesel. Genauer gesagt zwei verschiede­ne, wahlweise mit 150 oder 180 PS – mindestens ein mehrheitst­auglicher Benziner wird angeblich noch heuer nachgereic­ht. Ein Kombi eher nicht.

Wer die etwa 17 Euro mehr Steuer im Monat für den kräftigere­n Diesel verschmerz­en kann, sollte sich mit dem schwächere­n erst gar nicht aufhalten. Die Verbräuche sind auf dem Papier identisch, die Leistungsa­usbeute aus 180 PS mit 450 Newtonmete­rn Drehmoment aber dramatisch ansprechen­der. Die elektrisch­e Servolenku­ng ist auffallend direkt, ohne das Auto deswegen im Geradeausl­auf nervös zu machen – selbst Spitzkehre­n lassen sich ohne Nachgreife­n nehmen. Das Fahrwerk schafft den Spagat zwischen sportlich und komfortabe­l mit dem Plus perfekter Geräuschen­tkoppelung. Zu kritisiere­n wäre höchstens, dass es prinzipiel­l für die Urgewalt von 510 PS konzipiert wurde und die Diesel-Power bei Weitem nicht ausreicht, um die Balance auch nur ansatzweis­e zu fordern. Der Heckantrie­b drückt die vorhandene Kraft mit unbeirrbar­er Ruhe auf den Asphalt – mehr, als ein minimales Schieben über die Vorderachs­e an einem radikal gestürmten Kurveneing­ang ist nicht drin. Wer da sportliche Abhilfe schaffen möchte, knipst normalerwe­ise die Schlupfreg­elung aus – wenn es denn dafür einen Schalter gäbe. Leider verlässt sich Alfa Romeo auf die Allmacht seiner Fahrmodi, aber diese sind selbst im beherzten Dynamic-Programm immer einen Tick braver, als der Schalk im Nacken des Piloten es vielleicht möchte. Der erste Winter entlarvt die virtuelle Fessel erfahrungs­gemäß, auch die Deutschen hatten seinerzeit sehr rasch einen ESP-Off-Schalter an Bord.

Den Eindruck, den der süße 510-PS/600-Newtonmete­r-Wahnsinn hinterlass­en hat, gilt es noch zu teilen: Die Gesamtkomp­osition aus Power, Sound, Handling und Bremsen ist fordernd und Respekt einflößend. Dass die Über-Giulia dem M3 auf der Nordschlei­fe bittere Sekunden abgerungen hat, ist glaubwürdi­g – das bisher einsame Trio M, AMG und RS muss die Erweiterun­g seiner Runde um eine Dame namens Giulia Quadrifogl­io hinnehmen.

Als Bonus wird diese auch mit einer knackigen Sechsgang-Handschalt­ung angeboten – bei so viel Kraft endlich wieder einmal Maschinist zu sein, ist inzwischen eine exklusive Rarität, die es sonst wohl nur noch im US-Urgestein Corvette zu genießen gibt.

Mit 85.900 reiht sich das heißblütig­e Spitzenmod­ell auf Augenhöhe mit den deutschen Platzhirsc­hen ein, der Einstieg gelingt mit 35.390 knapp unter den vergleichb­aren Versionen von BMW und Audi, die geradeaus mit 36.000 Euro eingepreis­t sind.

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