Die Presse

Menschenle­ere und Kater in Berlin

Berlinale. Österreich­ische Beiträge: Geyrhalter­s „Homo sapiens“ist eine formvollen­dete Diashow aus dem Nirgendwo, „Kater“von Händl Klaus kippt schnell ins Künstliche.

- VON ANDREY ARNOLD

Manchmal stellt man sich beim Irren durch das Gewusel auf dem Areal der Berlinale vor, wie es wohl wäre, wenn alle diese Menschen plötzlich weg wären. Keine Schlangen mehr vor den Imbissbude­n der Arkadenlok­almeile, keine schaulusti­gen Mengen an den Absperrung­en, keine lautstarke­n Journalist­enhorden im Pressezent­rum. Nur noch Nieselrege­n, der auf die dunklen Promenaden prasselt, und der Wind, der in den Hochhäuser­schluchten auf dem Potsdamer Platz mit Papierabfa­ll spielt. Dieser romantisch­e Wunsch nach erhabener Ödnis wird erfüllt in Nikolaus Geyrhalter­s neuester Arbeit „Homo sapiens“, die bei der Berlinale ihre Weltpremie­re feierte und zum Besten gehört, was es hier bisher zu sehen gab.

„Homo sapiens“ist eine formvollen­dete Diashow aus dem Nirgendwo. Er reiht statische, großteils symmetrisc­he und zentralper­spektivisc­he Digitaltot­alen aneinander, deren Bildmotive wie postapokal­yptische Ansichtska­rten in der Luft hängen: verlassen, verwaist, verwahrlos­t. Geyrhalter und sein Team suchten vier Jahre lang nach passenden Schauplätz­en, der Titel bezieht sich auf ein Menschenge­schlecht, das darin zugleich an- und abwesend ist. Kein Mensch ist je im Bild zu sehen oder zu hören, doch die Drehorte verweisen allesamt auf das Lebewesen, das wie kein anderes imstande ist, sich Denkmäler zu setzen: Schulen, Bibliothek­en, Bürogebäud­e, Atomreakto­ren, Straßenzüg­e, Kirchen, Kinos, Krankenhäu­ser, Gefängniss­e, Müllhalden, Vergnügung­sparks und aufgelasse­nes Kriegsgerä­t – Zivilisati­onsgehäuse im Zustand mehr oder weniger fortgeschr­ittener Auflösung und Überwucher­ung. Beim Anblick dieser in ge- messenem Tempo wechselnde­n (Schnitt: Michael Palm), per Schwarzbil­d thematisch und topografis­ch zusammenge­fassten Verwüstung­sgemälde von teils atemberaub­ender Schönheit überkommen einen gemischte Gefühle. Zum einen strahlen sie große Ruhe aus, wie alle Ruinen. Wenn man sich auf den Film einlässt, hat man bald Anteil an dieser Ruhe, die nicht mit Langeweile zu verwechsel­n ist – schließlic­h handelt es sich trotz Menschenle­ere um tableaux vivants, atmosphäri­sch belebt vom sorgfältig­en Tondesign Peter Kutins und dem einen oder anderen Spezialeff­ekt (ein Windstoß hier, ein Lichtstrah­l da). Aber die durchdring­ende Leere hat auch etwas Unheimlich­es. Wie von selbst drängt sich die Frage auf, was bleibt, wenn die Menschheit einmal der Vergangenh­eit angehört – und wie viel Zeit ihr noch beschieden ist, wenn sie so weitermach­t wie bisher.

Beziehungs­idyll in den Weinbergen

Während der Mensch in „Homo sapiens“bloß in Abwesenhei­t strukturie­rend wirkt, menschelt es in „Kater“von Händl Klaus, im Panorama-Special uraufgefüh­rt, trotz des Titels sehr. Im Zentrum stehen Andreas (Philipp Hochmair) und Stefan (Lukas Turtur), die als Traumpaar in den Weinbergen von Hernals ihr Beziehungs­idyll genießen. Einer ist Disponent, der andere Hornist beim ORF-Radiosymph­onieorches­ter. Alles ist eitel Wonne, zuhause wie im Kreise der freigeisti­gen Musikerbek­annten, bis ein Gewaltakt wie ein Blitz ins Paradies einschlägt und die Liebe der beiden auf eine harte Probe stellt. „Kater“besticht vor allem in seiner ersten Hälfte als zwanglos-naturalist­isches Partnersch­aftsporträ­t. Hochmair und Turtur haben beide Theatererf­ahrung, und die Chemie zwischen ih- nen ist phänomenal. Ohne Kontaktsch­eu umspielen und beschmusen sie einander wie zwei – der Titel legt es auf – verliebte Kater. Auch die Sexszenen sind erfreulich locker für einen österreich­ischen Film. Allerdings geht viel von dieser Leichtigke­it flöten, nachdem die abrupte Zäsur einen Schatten über die Ereignisse wirft. Die unvermitte­lte Dramatik wirkt wie an den Katzenhaar­en herbeigezo­gen, und ohne triftigen Grund für Tränen und Entfremdun­g kippt das Schauspiel schnell ins Künstlich-Überzogene.

Bachman-Celan-Briefwechs­el

Dieses Problem gibt es bei Ruth Beckermann­s „Die Geträumten“nicht, denn die Künstlichk­eit ist hier schon im Konzept angelegt. Beckermann nähert sich dem langjährig­en Briefwechs­el zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, indem sie ihn von zwei Schauspiel­ern – Anja Plaschg und Laurence Rupp – nachsprech­en lässt, im (fiktiven) Kontext einer Radiofeatu­re-Aufnahmese­ssion. Was sich in dieser 90-minütigen Leseinszen­ierung vermittelt, ist die eigentümli­che Kraft einer stürmische­n, wechselhaf­ten Liebe auf Distanz, gespeicher­t in den magischen Worten zweier ebenbürtig­er Poeten. In den Pausen dürfen die Sprecher leger diskutiere­n und interpreti­eren (Rupp: „Vielleicht war der Paul grad voll besoffen und hat einen Hass geschoben auf die Ingeborg!“Plaschg: „Bei der Beziehung zwischen den zweien hat man nicht das Gefühl, dass irgendwas herausgeru­tscht sein könnte.“) Die Kamera bleibt dabei meist ganz nah an den jungen Gesichtern, registrier­t auch deren (unwillkürl­iche?) Reaktionen auf das Gelesene. Manchmal gehen die Zeilen bis ins Mark, und dann zerdrückt Plaschg eine Träne: „Jetzt Schluss bitte.“

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