Die Presse

Nordkoreas bizarre Gerüchtekü­che

Medien. Nachrichte­n über grauenhaft­e Hinrichtun­gen, Kim Jong-uns Wohlbefind­en und zweifelhaf­te Erfindunge­n – Enthüllung­en aus dem kommunisti­schen Regime sind politische­m Kalkül oder Sensations­gier geschuldet.

- VON MARLIES KASTENHOFE­R

Wien/Pjöngjang. Er wäre nur einer von vielen, die der Säuberungs­kampagne von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un zum Opfer gefallen sind. Armee-Generalsta­bschef Ri Yong-gil soll hingericht­et worden sein. Ob der Bericht stimmt, lässt sich nur schwer überprüfen. Die südkoreani­sche Nachrichte­nagentur Yonhap vermeldete die Exekution vergangene Woche ohne Berufung auf Quellen. Auch eine offizielle Bestätigun­g blieb wie in den meisten dieser Fälle aus.

Schon öfter waren Spitzenfun­ktionäre des kommunisti­schen Regimes von ausländisc­hen Medien für tot erklärt worden und sind später wieder aufgetauch­t. So soll Kim den Verteidigu­ngsministe­r, Hyon Yong-chol, im Vorjahr aus geringer Entfernung mit einem Luftabwehr­geschütz hingericht­et haben. Wenig später war der vermeintli­ch Tote wieder in den Staatsmedi­en zu sehen – ein Zeichen, dass er noch leben könnte. Noch wilder waren die Gerüchte um Kims Onkel Yang Song-thaek. Er sei nackt von einer Hundemeute zerfleisch­t worden. Ein chinesisch­es Satiremaga­zin hatte die Geschichte erfunden, stellte sich heraus. Wahrschein­lich war Yang 2013 erschossen worden.

Außer Lügenmärch­en über seine Machtspiel­chen heizt auch das Wohlbefind­en des Diktators die Gerüchtekü­che an: Als er 2014 monatelang von der Bildfläche verschwand, waren schnell Theorien zur Hand: Kim habe seit Amtsantrit­t zu viel Schweizer Käse konsumiert, dass er seine lädierten Knöchel wegen der Gewichtszu­nahme operieren lassen musste, lautete eine.

Schnaps ohne Kater

Nordkorea ist für bizarre Berichte prädestini­ert: Die Diktatur hat das abgeschott­etste Mediensyst­em der Welt. Die wenigen ausländisc­hen Journalist­en im Land haben nur dürftigen Zugang zu Informatio­nen. Meist sind es südkoreani­sche oder japanische Medien, die die Sensations­meldungen veröffentl­ichen – meist unter Berufung auf Geheimdien­ste oder anonyme Quellen. Bis- weilen haben die Informante­n auch versteckte politische Motive für ihre Enthüllung­en. Für Medien jedenfalls sind die reißerisch­en Berichte ein Geschäft: „Internatio­nale Medien wissen, dass ein Großteil der Nachrichte­n Propaganda sind“, sagt Lee Seong-hyun vom US-Forschungs­institut Jamestown Foundation. „Sie berichten dennoch darüber, weil ihre Leser exotische Meldungen mögen, es Onlinezugr­iffe und damit Einkünfte bringt.“

Zuweilen steckt der Propaganda­apparat selbst hinter den Berichten: Heimische Forscher wollen einen Schnaps erfunden haben, der keinen Kater verursacht, vermeldete im Jänner die staatliche Agentur KCNA – trotz des 30- bis 40-prozentige­n Alkoholant­eils. Das sei den zwei speziellen Zutaten, einer indigenen Gingseng-Art und geröstetem Reis, zu verdanken. Die Zugabe von Reis statt Zuckers mache das Gebräu weniger bitter – und vermindere die Katerriske­n.

Bereits 2015 hat KCNA einen wissenscha­ftlichen Durchbruch verkündet: Ein Impfstoff aus Extrak- ten derselben Gingseng-Pflanze könne die tödlichen Virus-Krankheite­n Mers, Vogelgripp­e, Sars und Aids heilen, hieß es. Ein besonderer Triumph: Das Medikament werde in den USA gegen ein Grippeviru­s eingesetzt, das Hunderte Amerikaner das Leben gekostet habe.

Heimisches Publikum im Fokus

Es liege am Fokus auf nationaler Politik, dass Pjöngjang solche Berichte ungeachtet ihrer Kuriosität verbreite, meint Lee. „Viele dieser zweifelhaf­ten Nachrichte­n sind für das heimische Publikum gedacht – um sie stolz auf ihr Land zu machen und Kim Jong-un gut dastehen zu lassen.“Nicht umsonst soll Vater Kim Jong-il unter anderem den Hamburger erfunden haben und ein Golf-Genie gewesen sein.

Was bei den skurrilen Meldungen schnell vergessen wird, sind Berichte der UNO und von Amnesty: 2,2 Millionen Nordkorean­er seien vom Hunger bedroht, das Regime foltere, misshandle und vergewalti­ge Gefangene und zwinge sie zu Zwangsarbe­it.

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