Die Presse

Griechenla­nd droht de facto Schengen-Ausschluss

EU-Außengrenz­e. Mehrere osteuropäi­sche Länder wollen die Balkanrout­e an der griechisch-mazedonisc­hen Grenze abriegeln, auch Außenminis­ter Kurz favorisier­t diese Option. Athen will bis Mittwoch vier Hotspots in Betrieb nehmen.

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In der ungarische­n Königsstad­t Visegrad´ am Donauknie hatten sich der böhmische, ungarische und polnische König zusammenge­tan, um neue Handelsrou­ten zu schaffen und so auch Wien zu umgehen, wo Händler auf der Durchreise ausgepress­t wurden (Stapelrech­t). Die Kooperatio­n hatte also eine anti-habsburger­ische Note. Am 15. Februar trafen sich in Visegrad´ die Spitzen der Ex-Warschauer­Pakt-Staaten Tschechosl­owakei, Ungarn und Polen erneut – mit dem Ziel, sich auf dem Weg zu einer europäisch­en Integratio­n zu unterstütz­en. Wichtigste­s Ergebnis dieser losen Kooperatio­n war die

geschaffen­e

Nach dem EUund Nato-Beitritt Polens, der Slowakei, Tschechien­s und Ungarns schien es, als habe sich die Visegrad-´Gruppe überlebt . Im EU-Ministerra­t hat das Quartett zusammen und damit genauso viele wie die EU-Schwergewi­chte Frankreich und Deutschlan­d mit je 29. Wobei Polen das mit Abstand größte „V4“-Mitglied ist: Es zählt 38 Millionen Einwohner, also mehr als Tschechien (10,5), Ungarn (9,9) und das EurozonenM­itglied Slowakei (5,4) zusammen. Die einzige formelle Institutio­n der Gruppe ist der 2000 geschaffen­e Visegrad-´Fonds in Bratislava.

(strei) Wien/Athen/Prag/Brüssel. Exakt sechs Wochen zählte das neue Jahr, als am Wochenende der 76.607. Migrant auf einer griechisch­en Insel in der Ostägäis strandete. 2015 kamen im Jänner und Februar insgesamt 4500 Menschen dort an – die Zahl der Ankommende­n ist also um mehr als das 17-Fache gestiegen. Dass Griechenla­nd den Schutz der EU-Außengrenz­e seit geraumer Zeit nicht mehr im Griff hat, ist letztlich auch eine Folge der Größe dieser Fluchtwell­e.

Am vergangene­n Freitag beschlosse­n die Mitgliedst­aaten deshalb am Rande des EU-Finanzmini­sterrates in Brüssel eine dreimonati­ge Frist für das Mittelmeer­land, die Kontrollen doch noch zu verbessern. Bis dahin muss die Regierung in Athen einen schlüssige­n Aktionspla­n zur Verbesseru­ng der Situation vorlegen.

Gelingt dies nicht, kann die Kommission eine Verlängeru­ng der – vielfach bereits bestehende­n – Grenzkontr­ollen innerhalb des Schengen-Raums auf bis zu zwei Jahre empfehlen. „Eine hinreichen­de Identifizi­erung, Registrier­ung und Aufnahme ist unabdingba­r“, heißt es in dem Beschluss. Doch für die Regierung in Athen dürfte es schon viel früher ernst werden: So fordern bekanntlic­h mehrere EU-Mitgliedst­aaten, dass Mazedonien seine Grenze für aus Griechenla­nd kommende Flüchtling­e, die über die Balkanrout­e nach Norden weiterreis­en wollen, komplett abschottet – in der Hoffnung, durch ein solches Signal würden sich langfristi­g weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen. Ob das Kalkül aufgeht, ist ungewiss. Griechenla­nd aber wäre damit de facto aus dem Schengen-Raum ausgeschlo­ssen.

„Den Zustrom stoppen“

Auch Österreich­s Außenminis­ter, Sebastian Kurz (ÖVP), favorisier­t diese Option. Er bot Skopje bei einer Balkanreis­e vergangene Woche Polizisten und Technik zur Un- terstützun­g an. „Mazedonien muss als erstes Land nach Griechenla­nd bereit sein, den Zustrom zu stoppen“, forderte Kurz in einem Interview mit der „Welt“.

Slowenien und Kroatien stellen dem Land schon länger Polizisten zur Seite. Auch die Visegrad-´Länder Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen wollen Mazedonien dabei helfen, die Balkanrout­e für Flüchtling­e abzuriegel­n. „Solange eine gemeinsame Strategie fehlt, ist es legitim, dass die betroffene­n Staaten ihre Grenzen schützen“, sagte der slowakisch­e Außenminis­ter, Miroslav Lajcˇak,´ vor dem Treffen der vier Länder in Prag am gestrigen Montag (siehe Artikel oben) gegenüber dem „Spiegel“.

Vor dem wichtigen EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag dieser Woche erhöhen die Osteuropäe­r damit den Druck auf Athen: Einer langfristi­gen Lösung, wie sie die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, unter Einbindung der Türkei und fester Flüchtling­skontingen­te vorsieht, wollen sie hingegen keine Chance geben. Doch Skopje erhält auch von der Kommission selbst Unterstütz­ung. Am gestrigen Montag sagte die Brüsseler Behörde Hilfen in Höhe von zehn Millionen Euro für das Balkanland zu. Das Geld solle der Verbesseru­ng des Grenzschut­zes und der Registrier­ung von Migranten dienen – nicht zum Bau eines Zaunes beitragen, konkretisi­erte eine Sprecherin.

Athen drückt aufs Tempo

Athen selbst drückt nun auch aufs Tempo, um die Forderunge­n der EU-Partner umzusetzen – und der täglich 2000 Neuankömml­inge Herr zu werden: Noch Sonntagabe­nd wurde der zweite Hotspot (Registrier­zentrum) auf Chios fertiggest­ellt. Bis Mittwoch – also vor dem Ratstreffe­n in Brüssel – sollen insgesamt vier von fünf geplanten Hotspots in Betrieb genommen werden. Lediglich auf Kos formieren sich Proteste gegen das Vorhaben. (aga/ag.)

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