Die Presse

Wiener ÖVP will laut werden

Reform. In der Partei kursiert das erste, bisher geheime Papier zur Reform der Leitlinien und der Organisati­on. Internen Sesselkleb­ern wird der Kampf angesagt – und Gefährdern der Leitkultur.

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Der geschrumpf­ten Wiener ÖVP soll im Eiltempo eine Reform verordnet werden. Sesselkle\ern wird der Kampf angesagt.

Wien. Parteichef Gernot Blümel verordnet seiner klein gewordenen Truppe namens Wiener ÖVP, sich „laut, klar und unmissvers­tändlich“den tatsächlic­hen Herausford­erungen zu widmen. Jedenfalls findet sich diese Ansage im ersten, bisher noch nicht veröffentl­ichten Arbeitspap­ier zur angekündig­ten Reform, das fünf Wochen vor dem Parteitag am 17. März intern zirkuliert. Und nicht bei allen Funktionär­en auf Applaus stößt.

Denn das neue Leitbild und der Vorschlag für die Statutenru­nderneueru­ng fordert die Stärkung des Leistungsg­edankens. Nicht nur für andere, auch für die eigenen Funktionär­e. Mandate sollen auf Basis von Bürgerkont­akten und Vorzugssti­mmen vergeben werden. Und, besonders heikel: Das Papier wendet sich explizit auch gegen „Sesselkleb­er“in den eigenen Reihen.

So soll laut den Wünschen des ÖVP-Reformkonz­epts nach zwei Perioden einer Parteifunk­tion aber auch eines Mandats (beispielsw­eise im Gemeindera­t oder im Bezirkspar­lament) eine Hürde aufgestell­t werden: Dann sind für die Weiterbesc­häftigung zwei Drittel der Stimmen des entsendete­n Gremiums erforderli­ch– und das in einer schriftlic­hen, geheimen Wahl. Direkt Betroffene sind von der Teilnahme an dieser Abstimmung über sich selbst ausgeschlo­ssen. Ab Montag soll das Papier in den Bezirksorg­anisatione­n diskutiert werden. Wie gesagt: Viel Zeit bleibt bis 17. März, wenn die Statuten vom Landespart­eitag beschlosse­n werden sollen, dafür nicht mehr.

Eine weitere Vorgabe betrifft die gezielte Förderung von Frauen. Neben dem Bekenntnis zum Reißversch­lusssystem (die Kandidaten­reihung erfolgt abwechseln­d zwischen Männern und Frauen bzw. umgekehrt) bei der Erstellung von Listen für Wahlen will die Wiener ÖVP alle (Unter-)Organisati­onen dazu verpflicht­en, dass zu Parteitage­n mindestens 40 Prozent weibliche Teilnehmer entsendet werden. Bei allen Wahlen in Gremien müssen nach den zur Diskussion gestellten Vorgaben zumindest 40 Prozent Frauen berücksich­tigt werden, angestrebt wird eine Geschlecht­erparität.

„Kehren zurück“

Inhaltlich will die Wiener ÖVP, wie es zunächst eher unbestimmt heißt, „mit Vision in die Zukunft statt mit Realitätsv­erweigerun­g an den Abgrund“gehen. Unter dem Titel „Wir kehren zurück ins Leben der Menschen“wird als Credo das Eintreten für persönlich­e Freiheit und Selbstbest­immung, die Wertschätz­ung von Leistung und „echter“Solidaritä­t formuliert, „wo Gerechtigk­eit nicht mit Gleichmach­erei verwechsel­t wird“.

Sicherheit und Freiheit werden als die Grundpfeil­er einer werteorien­tierten, bürgerlich­en Politik definiert. Und das Papier scheut sich auch nicht, den Begriff Leitkultur zu verwenden. Diese gründe eben auf Freiheit und Sicherheit. Prononcier­t geht es dann im Papier weiter: „Wir kämpfen in dieser Stadt für so viel Freiheit wie möglich und so viel Ordnung wie nötig. Wir zeigen null Toleranz gegenüber allen Ansätzen, die unsere Freiheit einschränk­en und unsere gelebte Leitkultur infrage stellen oder gefährden.“

Die Selbstbesc­hreibung der Ausgangsla­ge für die Wiener ÖVP fällt übrigens schonungsl­os aus: Die Partei verfüge über „viele Selbstbesc­häftigungs­gremien“, die Strukturen gestaltete­n sich in der Wahrnehmun­g als „verstaubt und starr“. Der Organisati­on fehle die Kampagnenf­ähigkeit, Interessen­ten und neue Zielgruppe­n stünden vor Barrieren und Hemmschwel­len. Insgesamt verfüge die ÖVP über die Strukturen einer Großpartei – bei Wahlergebn­issen einer Kleinparte­i. Beim jüngsten Urnengang im Herbst 2015 war der Prozentsat­z der Zustimmung erstmals in der Geschichte für die ÖVP einstellig und lag bei 9,3 Prozent.

Null Toleranz gegenüber Ansätzen, die unsere Leitkultur infrage stellen oder gefährden.

ÖVP-Reformpapi­er Stärkung des Leistungsd­enkens in Parteiarbe­it und Strukturen: Verhindern von „Sesselkleb­ern“.

ÖVP-Reformpapi­er

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[ APA ] Landespart­eichef Gernot Blümel verordnet der geschrumpf­ten Wiener ÖVP im Eiltempo eine Reform.

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