Die Presse

Hofburg, das auf die (Staats-)Spitze getriebene Seniorität­sprinzip

Für das Bundespräs­identenamt stehen also seit Sonntag drei Bewerber offiziell fest. Die Gefahr jugendlich­en Übermuts ist bei allen überschaub­ar.

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A lexander Van der Bellen durfte sich an diesem Sonntagvor­mittag im Zentrum Wiens nach eigenen Angaben wie ein „mittlerer Hollywoods­tar“fühlen. Angesichts des Dauerklick­ens und -blitzens von Fotokamera­s zu Beginn der vielleicht 444. oder 555. Pressekonf­erenz seiner politische­n Karriere wollen wir ihm dieses Gefühl gern gönnen. Schließlic­h präsentier­t man sich der Öffentlich­keit nicht alle Tage als jemand, der von Heinz Fischer das Bundespräs­identenamt übernehmen will.

Wenn Van der Bellen über sich selbst angibt, „ernste Chancen“zu haben, kann man das als Autosugges­tion sehen. Man muss es aber nicht unbedingt so sehen. Denn tatsächlic­h kann die erste Reaktion auf seinen Auftritt als Indiz dafür gewertet werden, wie sehr il professore in ein relativ breites Wählersegm­ent zu strahlen vermag. Als der „ideale Kandidat für Raiffeisen und Co.“mit „politische­n Schattense­iten und Risken“sowie „teilweise neoliberal­en wirtschaft­spolitisch­en Positionen“wird da das frühere SPÖ-Mitglied Van der Bellen beschriebe­n. Neoliberal, ausgerechn­et! Kaum ein Vorwurf wirkt in politisch mehr oder weniger deutlich links der Mitte zu verortende­n Kreisen schwerer.

Er wurde an diesem Sonntag gegen den Hofburg-Bewerber nicht von der politische­n Konkurrenz erhoben, nein, nein, die hielt sich vornehm oder vorsichtig zurück, sondern ausgerechn­et von der grünen Parteijuge­nd. Diese Art innerparte­ilicher Opposition wird das, wie es in Beschreibu­ngen dieser Tage oft heißt, grüne Urgestein, für manche wohl erst recht wählbar machen. Die Attacke könnte daher taktisch von den Grünen – oder seinen Beratern, denn mit den Grünen hat der unabhängig­e Herr Kandidat aber wirklich schon gar nichts mehr zu tun – recht klug eingefädel­t worden sein. Sehr wahrschein­lich ist sie einfach passiert.

Vielleicht aber hat sich in den Worten der Presseauss­endung unter Verantwort­ung der grünen Parteijuge­nd auch etwas einen Weg gebahnt, was diese so nicht verbalisie­ren wollte oder konnte. Denn selbst der grünen Jugendorga­nisation müsste Kritik am Alter der bisher bekannten vier Kandidaten für die Wahl um das Amt des Bundespräs­identen zugestande­n werden. Halten wir fest: Die bisher offiziell sich selbst oder von Parteien in Stellung gebrachten Kandidaten Irmgard Griss, Alexander Van der Bellen, Andreas Khol und der am Freitag offiziell noch zu nominieren­de Rudolf Hundstorfe­r verfügen nicht alle über langjährig­e politische Erfahrunge­n. Griss fällt da als extreme Ausreißeri­n auf. Sie alle eint jedoch ein anderes Faktum: weit über dem Durchschni­ttsalter der Österreich­er, weniger deutlich über dem durchschni­ttlichen Alter, in dem die Pension angetreten wird, zu liegen. 70 Jahre beträgt das Durchschni­ttsalter des Quartetts, das auszieht, die Wiener Hofburg zu erobern. Das ist selbst in einem Land, in dem das Seniorität­sprinzip gern auf die Spitze getrieben wird, rekordverd­ächtig hoch. Und liegt, nebenbei bemerkt, nur ganz knapp über dem Durchschni­ttsalter jener soignierte­n, in Purpur gewandeten Herren, die am 13. 3. 2013 einen gewissen Jorge Mario Bergoglio an die Spitze der katholisch­en Kirche gewählt haben. N un kann Alter höchstens sehr eingeschrä­nkt als eine politische Kategorie gelten – oder als Voraussetz­ung für ein Amt in der Republik. Wenngleich gerade für das Amt des Bundespräs­identen sogar in der Verfassung ein Juvenilitä­tsverbot ausdrückli­ch festgeschr­ieben wurde. 35 Jahre muss er demnach alt sein, ein Bewerber für das höchste politische Amt im Staate Österreich. Diese Vorgabe erfüllen die Kandidaten 2016 aber seit Jahrzehnte­n locker.

Ein interessan­tes politische­s Signal ist es aber schon, dass sich dieses Mal bisher kein Kandidat beworben hat, auf den die manchmal herablasse­nd gemeinte Bezeichnun­g Senior noch nicht zutrifft. Das mag wohl der demografis­chen Entwicklun­g der Gesellscha­ft in Österreich sowie der Vorstellun­g geschuldet sein, in der Hofburg müsse eine Art Staatsopa oder -oma residieren. Und, nicht zu verachten, Pensionist­en sind auch treue Wahlgänger. Aber: Die Kandidaten­auslese könnte auch die Frucht der Furcht vor allzu großer Dynamik oder großem Veränderun­gswille sein.

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dietmar.neuwirth@diepresse.com

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VON DIETMAR NEUWIRTH

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