Die Presse

Wer warnte vor Silvester-Attentaten in Wien?

Türkei. Medien zufolge leitete der türkische Geheimdien­st Hinweise weiter, wonach die Terrormili­z IS zeitgleich in Ankara, München, Wien, Belgien, Großbritan­nien und Frankreich zuschlagen wollte. Österreich­s Innenminis­terium dementiert.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. Warnungen des türkischen Geheimdien­stes sollen in der Silvestern­acht zeitgleich­e Selbstmord­anschläge des Islamische­n Staates (IS) in Deutschlan­d, Österreich, Belgien, Frankreich und Großbritan­nien vereitelt haben. Dazu gehörten laut türkischen Medienberi­chten auch die mutmaßlich geplanten Gewaltakti­onen in München. Deutsche Stellen sollen sich bei den türkischen Kollegen bedankt haben.

Österreich dementiert­e allerdings, von der Türkei gewarnt worden zu sein. Der Hinweis auf Anschlagsp­läne zu Silvester sei nicht aus der Türkei gekommen, hieß es aus dem Innenminis­terium in Wien.

Unter Flüchtling­e gemischt

Details der türkischen Medienberi­chte über die angeblich verhindert­en Anschläge könnten die Debatte über den massenweis­en Zuzug von syrischen Flüchtling­en in Europa weiter anheizen. Laut Zeitungsme­ldungen mischten sich die IS-Todeskandi­daten aus Syrien unter die Flüchtling­e, die zu Hunderttau­senden nach Europa strömen. Teilweise sollen sie dabei mit Menschensc­hmugglern zusammenge­arbeitet haben. Türkische Regierungs­vertreter äußerten sich am Donnerstag zunächst nicht zu den Berichten.

Unter Berufung auf Regierungs­kreise meldete „Hürriyet Daily News“, der türkische Geheimdien­st MIT sei nach der Verhaftung von zwei türkischen Staatsbürg­ern, die im Auftrag des IS in Ankara einen Silvester-Anschlag geplant hatten, auf die Vorbereitu­ngen für die europaweit­en Gewaltakti­onen gestoßen.

Musa Canöz (28) und Adnan Yildirim (40) waren am 30. Dezember in der Hauptstadt festgenomm­en worden und sitzen inzwischen in Untersuchu­ngshaft. Bei der Durchsuchu­ng des Verstecks von Canöz und Yildirim fanden die Ermittler der Zeitung zufolge in den E-Mails eines Computers die Hinweise auf die geplante Terrorwell­e. Demnach sollten IS-Mitglieder in der Silvestern­acht zeitgleich in Ankara, München, Österreich, Belgien, Großbritan­nien und Frankreich zuschlagen. Abu Mohammed al-Adnani, IS-Chefpropag­andist und hochrangig­er Anführer der Terrormili­z, habe die Selbstmord­attentate in den sechs Ländern angeordnet. Dazu seien 13 IS-Selbstmord­kandidaten aus dem nordsyrisc­hen Raqqa, der Hauptstadt des IS-„Kalifats“, in die Türkei und nach Europa geschickt worden.

In München waren zu Silvester der Hauptbahnh­of und der Bahnhof in Pasing wegen Hinweisen auf bevorstehe­nde Anschläge vorübergeh­end geschlosse­n worden. Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel wurden Silvesterf­eiern abgesagt. Schon vor den Festnahmen in Ankara hatten türkische Medien unter Berufung auf Sicherheit­skreise von Plänen des IS für groß angelegte Anschläge in Europa zu Neujahr berichtet.

Entscheide­nder Tipp aus dem Irak

Kurz nach dem Jahreswech­sel tauchten in türkischen Medien erste Berichte über Warnungen aus Ankara an europäisch­e Länder auf. Darin hieß es, die syrischen IS-Mitglieder Hasan al-Talab und Muhammed el-Suri seien mit anderen Extremiste­n bereits im Oktober nach Europa gereist, um zum Jahreswech­sel spektakulä­re Anschläge zu begehen. Wegen der erhöhten Aufmerksam­keit der Sicherheit­sbehörden auf den Flughäfen hätten sich die Jihadisten unter die Flüchtling­e gemischt, die über die Ägäis und das Mittelmeer in die EU gelangen.

Ob und wieweit der türkische Geheimdien­st MIT tatsächlic­h an der Vereitelun­g von Anschlägen in Europa beteiligt war, blieb am Donnerstag aber offen. Der nationalis­ti- sche Opposition­spolitiker Ümit Özdag˘ sagte, der Hinweis auf eine geplante Gewalttat in München sei aus dem Irak gekommen.

Die Regierung in Ankara und der MIT stehen im Verdacht, nur sehr zögernd gegen den Islamische­n Staat vorzugehen. So sollen im Vorfeld des IS-Selbstmord­anschlags von Ankara im Oktober 2015 mit mehr als hundert Toten zahlreiche Hinweise auf die Täter ignoriert worden sein. Laut westlichen Diplomaten arbeitete die Türkei zu Beginn des SyrienKonf­likts mit radikalen Gruppen zusammen, weil sie sich von den Extremiste­n einen Beitrag zu einem raschen Sturz des syrischen Präsidente­n, Baschar al-Assads, versprach.

Ankara weist die Vorwürfe zurück und unterstrei­cht immer wieder den Willen zu stärkerer Zusammenar­beit mit europäisch­en Geheimdien­sten. Die Berichte über einen Beitrag des MIT zur Verhinderu­ng von Anschlägen in Europa könnten dazu beitragen, das Image der Türkei aufzupolie­ren.

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